>>Vier<<

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Wie angewurzelt blieb ich auf der Stelle stehen, mein ganzer Körper verkrampfte sich.

,,W-Wie meinst du das?", hakte ich mit zittriger Stimme nach. Ich konnte einfach nicht glauben, dass das, was sie gerade gesagt hat, der Wahrheit entsprach.

,,Er wird mich gleich abholen. Und etwas später wird es Essen geben", sagte sie, dann blickte sie mir direkt in die Augen. ,,Weigere dich nicht, mich zu essen. Widersetze dich nicht. Tu alles was er sagt. Dann wird er dich nicht quälen, dann wird er sich um dich kümmern. Tu es. Für mich", flehte sie.

Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich nickte nur. Ich sah, wie erleichtert sie aussah, ich sah ihr an, wie sehr sie bereit war zu sterben. Sie würde sterben und würde mir dadurch in irgendeiner Weise das Leben schenken, auch wenn es in Puppenkleidern nicht lebenswert war.

Ich versprach es ihr, doch innerlich führte ich einen Kampf mit mir selbst. In meinem Kopf drehte sich die Frage der Moral, der Menschenwürde und der Freundschaft. Ich bekam Kopfschmerzen, da ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

Sollte ich sie essen?
Nein, sie ist meine Freundin.
Sie sagte selber, dass ich sie essen soll.
Du kannst keinen Menschen essen, das ist Kannibalismus.
Es ist meine einzige Chance zu überleben.

Ich bekam zuerst gar nicht mit, dass er sich uns näherte. Ich vegetierte im Stehen vor mich hin, unfähig meinen eigenen Gedanken zu folgen. Doch als er dann, wie immer verhüllt, vor ihr stand und sie mit sich zog, und ihr Schluchzen und ihr Flehen immer lauter wurde, dann realisierte ich es. Juliette würde jetzt sterben.

,,Nein", krächzte ich und folgte den beiden mit schnellen Schritten. ,,Nein!", schrie ich nun, mein Gesicht rötete sich vor Wut und Verzweiflung. Doch er reagierte nicht. Er führte sie unsanft hinter eine rosa Tür und ließ sie mit einem lauten Knallen zufallen. ,,Nein... Neeein! Lass sie in Ruhe, lass sie verdammt nochmal in Ruhe", schrie ich und warf mich immer wieder gegen die Tür.

Irgendwann tat mein gesamter Körper weh und ich hatte einfach nicht die Kraft, irgendetwas gegen die immernoch verschlossene Tür auszurichten. Verzweifelt sank ich zu Boden und kämpfte mit den Tränen. Ich hatte gerade nicht nur eine Freundin, sondern auch den einzigen Weg hier nicht verrückt zu werden verloren. Ich war für einen Moment glücklich, konnte für einen Moment das Beste in dieser Situation sehen - doch es wurde alles von meinem Entführer zerstört.

Ich hasste ihn. Ich hasste ihn wirklich, denn er hatte mir alles genommen, was mir einmal wichtig gewesen war: Mein Aussehen, meine Familie und Freunde, mein komplettes Leben. Ich dachte daran, wie das Leben von Juliette's Umfeld nach ihrem Verschwinden einfach weiterging, als hätte sie niemals existiert. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Was, wenn niemand mehr an mich denkt?

Ich ließ mich an der Wand herunter auf den Boden gleiten, in den Moment vergaß ich, dass ich nicht wieder aufstehen konnte. Es war mir egal, denn in diesem Moment wurde meine Freundin getötet. Wahrscheinlich grausam. Vielleicht schnitt er ihr Fleisch während sie noch lebt ab. Ein Schauer durchfuhr meinen Körper. Wenn ich es nicht schaffte, rechtzeitig hier abzuhauen, würde ich vielleicht auch so enden. Auf dem Teller der nächsten Darcy.

Ich kauerte immernoch auf dem Boden als er wieder reinkam, meine Schminke war verschmiert und ich zitterte heftig. Aus der Tür strömte ein herrlicher Geruch, und ich hasste mich dafür, dass ich den Geruch von Juliette's Fleisch als gut empfand. Sofort lief mir das Wasser im Mund zusammen, ich hatte schließlich seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen.

Er zog mich an meinen ohnehin augerissenen Armen unsanft hoch, sodass ich aufstöhnte. Er kicherte nur leicht und begann, mir Seile um die Handgelenke zu binden, und mich dann zu einer langen Tafel zu führen. Er setzte mich an das eine Ende, band mir ein kleines Lätzchen um und befestigte die Seile an Holzriemen, die an der Decke angebracht waren. Er wiederum setzte sich ans andere Ende des Tisches und bewegte meine Arme durch das Ziehen an den Seilen. Nicht nur jede Bewegung schmerzte, sondern auch die Tatsache, dass er die vollkommene Kontrolle über mich hatte.

Vor mir lag ein Teller, auf dem das Fleisch war. Ihr Fleisch. Tränen strömten aus meinen Augen, als er begann durch meine Arme das Fleisch zu zerschneiden. Ich schüttelte heftig meinen Kopf und presste meine Lippen fest aufeinander, als das erste Stück direkt vor meinem Mund war. Es sah lecker aus. Es roch lecker. Aber es war ein Mensch, und das hinderte mich daran, es freiwillig zu essen. Ganz egal, was ich Juliette versprochen habe.

,,Iss", sagte er barsch.

,,Ich kann nicht", hauchte ich wimmernd.

,,ISS!", schrie er, sprang auf und ließ die Seile los, sodass meine Arme wie nasse Sandsäcke auf meine Oberschenkel klatschten.

,,Du sollst essen. Ich habe dir gesagt, dass du essen sollst. Wieso hörst du nicht auf mich? Ich habe es dir doch gesagt. Iss, verdammte scheiße! Ich hab für dich gekocht du Nutte", murmelte er und drehte sich dabei im Kreis. Mir wurde in diesem Moment sofort bewusst, dass er ein Psychopath ist. Nicht so einer, der eine besondere sexuelle Neigung oder ähnliches hat, nein. Er war wirklich einfach nur krank.

,,Darcy, bitte iss. Daddy hat für dich gekocht", sagte er auf einmal mit zuckersüßer Stimme, und trat an mich heran. Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und murmelte immer wieder: ,,Mach Daddy stolz."

Mein Magen zog sich zusammen und ich musste würgen, jedoch kam nichts heraus. Ich musste wirklich etwas essen. Mein Blick fiel auf das köstlich riechende Stück Fleisch vor mir, und ich merkte, wie ich zu sabbern begann. Er schnaubte zufrieden, setzte sich wieder ans andere Ende des Tisches und brachte meine Arme dazu, einen Happen vor meinem Mund zu halten.

Diesmal hielt ich mich nicht zurück, ich schnappte mit meinem Mund blitzschnell nach dem Fleisch und zerkaute es vorsichtig. Es tat so gut, endlich mal wieder etwas anderes als die eigene Zunge zwischen den Zähnen zu haben, gleichzeitig heulte ich aber Rotz und Wasser: Ich aß schließlich gerade Juliette.

Zu meiner Überraschung schmeckte das Fleisch wirklich gut, es war leicht zu zerkauen und ähnelte vom Geschmack her einem Hühnchen, was aber auch daran liegen konnte, dass ich mir einredete es wäre ein Hühnchen, damit ich keine zu großen Gewissensbisse hatte.

,,So ist es gut, Darcy", wiederholte er immer wieder und schob mir einen Happen nach dem anderen in den Mund. Mit jedem Bissen fühlte ich mich etwas besser, mein Magen hatte endlich wieder Inhalt, mein Hals fühlte sich nicht mehr ausgestorben an und auch meine Zitteranfälle wurden weniger.

Nachdem ich meinen letzten Bissen zu mir genommen hatte, ließ er die Seile und somit auch meine Arme wieder fallen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Trotz seiner Maskierung konnte ich auch schon während des Essens ganz genau sagen, dass er mich die ganze Zeit beobachtet hat. Es war mir sehr unangenehm, aber das Essen hatte für mich Vorrang.

Als ich fertig mit dem Essen war beugte ich mich zu ihm vor, nahm meinen ganzen Mut zusammen, holte tief Luft und fragte:

,,Wer bist du und warum tust du das mit mir?"

DOLLHOUSE / h.s/Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt