>>Sechs<<

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Als ich wieder wach wurde war ich immernoch nackt und lag auf dem Betonboden. Ich versuchte wieder einmal von alleine aufzustehen, doch in meinen Armen war immernoch kein Gefühl. Ich hatte Angst, dass sie bald absterben und abfallen würden, wenn sich die nicht bald ein Arzt anschauen würde. Ich wusste allerdings, dass er mich niemals zu einem Arzt bringen würde.

Ich überlegte kurz, doch es war offensichtlich und unausweichlich: Ich musste weg.

Eigentlich schwirrte mir dieser Wunsch schon die ganze Zeit im Kopf herum, doch ich habe mich nicht getraut, weiterhin nach Fluchtmöglichkeiten zu suchen, da ich erstens die Erkenntnis, dass es eventuell doch keinen Ausweg gab, nicht ertragen könnte, und zweitens hatte ich einfach Angst. Angst vor seinen Bestrafungen. Angst vor ihm.

Ich schaffte es, mich auf den Rücken zu drehen, und nun war das Aufstehen kein Problem mehr. Ich zitterte ein wenig, da der kalte Betonboden meinen Körper sehr abgekühlt hat. Am liebsten wollte ich die Arme überkreuzen und mit den Fingern über meine Oberarme streichen, damit mir etwas wärmer wird, aber das konnte ich ja vergessen.

Mir blieb also nichts anderes als mich zu bewegen, womit ich sonst kein Problem gehabt hätte, aber hier war alles anders. Eigentlich wollte ich keine zusätzlichen Kalorien verbrennen, mein Körper war sowieso schon knochig und ausgehungert.

Ich schmiss mich gegen die Eisentür, die aus der Kammer führte, um sie aufzubekommen, und lief dann auf meinen Absatzschuhen durch die rosa Hölle. Meine Route war nicht zufällig gewählt, nein. Ich lief extra langsam, um meine Umgebung nochmals erkunden zu können. Meine Augen suchten jeden Zentimeter beim Laufen grob ab, später würde ich mir auffällige Stellen noch einmal ansehen.

Als ich an den Bildern vorbeilief, blieb ich augenblicklich stehen und betrachtete sie wieder. Ich musste herausfinden, wer mein Entführer war, damit ich eine Art Beziehung zu ihm aufbauen konnte.

Ich kniff die Augen zusammen und musterte den kleinen, braunhaarigen Jungen auf den Fotos wieder einmal. Sein glattes Haar fiel ihm auf die Stirn, es war sehr kurz geschnitten und hatte keine wirkliche Form.

,,Wer bist du?", hauchte ich, berührte verzweifelt einen Bilderrahmen und senkte den Blick. Ich versuchte gerade ernsthaft über Kinderfotos die Identität meines Entführers herauszufinden. Ich war wirklich verzweifelt gewesen.

Ich hob meinen Kopf und betrachtete das Bild nun, man sah den Jungen oberkörperfrei. Ich runzelte die Stirn, da er nicht wie normale Menschen zwei, sondern gleich vier Nippel hatte. Er war also nicht nur von der Psyche aus eine Missgeburt.

Aber damit hatte ich schonmal einen Hinweis zu seiner Person, und das bedeutete mir sehr viel. Ich beschloss, alle Informationen, die ich über ihn bekam, zu sammeln und später wie eine Art Detektiv auszuwerten.

Leider waren die einzigen Punkte auf meiner Liste, dass er braunes Haar, grüne Augen und vier Nippel hat. Abgesehen von der einen körperlichen Besonderheit könnte er jeder x-beliebige Typ von der Straße sein, denn die Kombination von braunem Haar und grünen Augen ist nicht unbedingt selten.

Ich wendete meinen Blick ab. Was hätte ich dafür getan, dass ich mich mit irgendwem über meine bisherigen Erkenntnisse unterhalten hätte können. Oder hätte ich es einfach laut ausgesprochen, auch dann hätte ich schon längst gewusst, wer mein Entführer war.

,,Darcy? Wo bist du?", rief er und riss mich dadurch aus meinem Gedankengang. Ich antwortete nicht, ich lief so leise wie möglich weiter und war auf der Suche nach einem halbwegs guten Versteck. Ich wollte nicht, dass er sich mir näherte, es bedeutete immer nur Schmerzen für mich.

Ich sah das große, rosane Bett einige Meter von mir entfernt und beschloss, darunter zu kriechen. Ich fragte mich allerdings auch, warum es überhaupt hier stand, denn geschlafen hatte ich darin noch nicht.

Ich legte mich also auf den Boden und robbte so schnell es ging unter das Bett, und versuchte dann meinen Atem zu beruhigen, damit er mich auch nicht entdeckte. Ich war mir nicht sicher, was er mit mir vorhatte, aber es trieb mir Schweißperlen auf die Stirn.

,,Wo bist du, Darcy? Ich will mit dir spielen!", rief er erneut und kicherte leise. Er war noch nicht in meinem Sichtfeld, aber der Lautstärke seiner Stimme zu urteilen war er auch nicht mehr weit entfernt.

Ich robbte ein wenig nach hinten und versuchte mich so klein wie möglich zu machen, mit zittrigem Atem wartete ich darauf, dass er endlich wegging und ich wieder herauskommen konnte.

Ich hörte, wie seine Schritte immer näher kamen, deswegen hielt ich die Luft an und schloss die Augen, in der Hoffnung, er würde einfach weitergehen. Mein Entführer blieb aber stehen, und für einige Sekunden blieb es ruhig. Zu ruhig.

,,Da bist du ja Darcy", sagte er, bückte sich und schaute mich durch seine Maskierung hindurch mit seinen grünen Augen an. Ich zuckte zusammen und öffnete die Augen wieder, ich war enttäuscht und verängstigt zugleich. Enttäuscht, weil ich mich nicht besser versteckt und er mich gefunden hatte, verängstigt, weil ich mir gar nicht ausmalen wollte, was jetzt mit mir geschehen würde.

,,Komm raus", raunte er, griff nach meinen Armen und zog mich unter dem Bett hervor. Ich zischte vor Schmerz und strampelte mit den Beinen, doch er ignorierte es.

,,Schau mal, was ich für dich habe", sagte er nun in einer süßen Stimme, als ich vor ihm stand. Er hielt mich immer noch mit einer Hand fest, sodass ich nicht weglaufen konnte. Ich hätte es trotzdem tun sollen.

Er zog ein kleines Fläschen und eine Spritze hinter seinem Rücken hervor, meine Augen weiteten sich. Ich wollte nicht, dass er mir schon wieder etwas verabreicht. Ich schüttelte heftig den Kopf und beginn zu schreien, doch als die Nadel in meine Haut stach und er mir den Inhalt ins Blut spritzte, verstummte ich augenblicklich. Ich sackte zusammen und wurde ohnmächtig. Mal wieder.

Ich wachte auf, da ich von irgendetwas geblendet wurde. Ich versuchte die Augen zu öffnen, jedoch kniff ich sie direkt wieder zu, da mir große Scheinwerfer direkt ins Gesicht schienen.

Ich hatte eine Maske auf, deswegen war mein Sichtfeld beschränkt, trotzdem versuchte ich mich zu orientieren. Ich schaute zuerst an mir herunter, ich stand auf einer Art Holzboden, ich trug ein viel zu kurzes und kitschiges Kleid, meine Arme und Beine waren an Seilen befestigt. Ich richtete meinen Blick wieder nach vorne, und ich konnte erkennen, dass eine Art Vorhang vor mir war.

Langsam wurde er aufgezogen, unter dem lauten Jubel von Zuschauern. Ungläubig starrte ich in die Menge. Merkten die etwa nicht, was hier vor sich ging?

,,Ladies and Gentlemen, bitte begrüßen sie Darcy, unsere menschliche Marionette!"



DOLLHOUSE / h.s/Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt