Ich erwachte in der Kammer, so nannte ich sie immer. Sie war fast leer, nur der graue Betonboden, die weißen Wände, die viel zu helle Neonlicht-Lampe und der große Spiegel. Manchmal, wenn ich mich nicht gut benommen habe, sperrte er mich dort ein. Doch weil es mein erstes Fehlverhalten war, hatte er Erbarmen mit mir.
Es fühlte sich an, als würde meine Wirbelsäule nicht mehr existieren, da ich was weiß ich wie lange auf dem harten Boden gelegen habe. Ich versuchte mich aufzurichten, doch ich hatte jegliche Kontrolle über meine Arme verloren. Ich wunderte mich, warum meine Finger noch nicht abgestorben waren, ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich sie das letzte Mal benutzt habe.
Ich versuchte mich fortzubewegen, was nur durch auf dem Boden robben ging, und das auch nur sehr langsam. Es schmerzte sehr, denn ich rieb mir das Gesicht an dem rauen Boden auf. Meine Schultern musste ich auch dabei auch belasten, weswegen jeder Zentimeter schmerzte und ich nicht aufhören konnte zu zittern.
Irgendwann kam ich bei der Tür an, die nur angelehnt war. Mühsam nahm ich meinem Kopf vom Boden hoch und es war wie ein Kulturschock für mich: Von der kahlen, kalten Kammer ins rosa Plüschhaus.
Und dann sah ich sie, wie sie mit geradem Rücken auf dem Bett saß und mich mit ihren großen, leeren Kulleraugen musterte: Sie war ähnlich wie ich angezogen, doch sie sah noch dürrer, blasser und gebrochener als ich aus. Wie lange sie wohl schon hier ist?, schoss es mir durch den Kopf.
,,Hilf mir... Bitte", krächzte ich. Sie stand auf, ich hörte wie sie auf ihren hohen Schuhen zu mir tippelte. Sie versuchte mich an den Armen hochzuziehen, doch ich schrie auf vor Schmerz. Die Wirkung der Spritzen hatte offensichtlich nachgelassen, denn ich konnte alles spüren. So deutlich, dass ich mich von den Schmerzen benebelt fühlte. Sie war zwar sehr schwach, schaffte es aber irgendwie mich auf einen Stuhl zu ziehen.
Jetzt konnte ich ihr das erste Mal richtig ins Gesicht gucken. Mein Hals war zwar sehr trocken, dennoch wollte ich mit ihr sprechen. Vielleicht wusste sie ja etwas, was ich nicht wusste. Zum Beispiel wer der Entführer war und warum ausgerechnet wir das hier machen mussten.
,,Wie heißt du?", fragte ich sie und sah, wie sich ihre leeren Augen auf mich richteten.
,,Darcy", antwortete sie.
,,Wie lange bist du schon hier?"
,,Ich weiß es nicht"
Ich runzelte die Stirn und überlegte. Ich schob die Gedanken über meine letzte Mahlzeit, meine fast absterbenden Arme und Finger und meine sich verschiebenden Organe für einen Moment bei Seite, und dann fiel mir ein, dass eine gewisse Juliette Smith, ein Mädchen, welches vorher auf meine Schule ging, seit einem Jahr vermisst wird. Wir waren nicht wirklich Freunde gewesen, wir hatten aber einige Kurse zusammen bevor sie verschwunden war.
Ich musterte sie ein weiteres Mal, und ja, unter der dicken Schicht Make-Up und den viel zu bunten Kleidern konnte ich sie erkennen, die Juliette, die der Captain der Hockey Mannschaft war, die Chris Hemsworth anhimmelte und in der Mittagspause immer Schokoladenpudding mit Bananenstückchen aß. Und auf einmal wurde ich traurig, denn jetzt war sie nichts mehr. Ihre ehemaligen Freunde dachten wahrscheinlich gar nicht mehr an sie, und auch ihre Eltern sind einige Monate nach ihrem Verschwinden in ein anderes Land gezogen. Sie war nur noch eine leere Hülle.
,,Juliette?", fragte ich vorsichtig und sie zuckte zusammen. Ungläubig blickte sie mich an.
,,Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, dass jemand jemals meinen Namen ausgesprochen hat", murmelte sie.
Und auf einmal bekam sie wieder etwas menschliches, aber trotzdem konnte ich ihr ansehen, was in den letzten Monaten mit ihr passiert sein muss. Ihr dürrer, blasser Körper zitterte und ich konnte sehen, dass auch ihre Schultern ausgekugelt wurden. Ich spürte einen Würgereiz, aber in meinem Magen gab es nichts mehr, was ich hätte erbrechen können. Ich wandte meinen Blick ab und versuchte ihre von dunkel-lila Blutergüssen gezierten Arme zu verdrängen.
,,Wer bist du?", fragte sie mich plötzlich, nachdem sie einige Minuten still gewesen war. Ich musterte sie, bevor ich antwortete.
,,Abby", murmelte ich und schluckte schwer.
,,Abby..", hauchte sie und ihre Augen weiteten sich. Sie schien sich an mich erinnern zu können, denn auf einmal sah ich ein Funkeln in ihren Augen. Ich hatte wohl das letzte Stückchen Menschlichkeit in ihr wiederbelebt.
,,Suchen sie noch nach mir? Meine Eltern, meine Freunde, die Polizei?", fragte sie. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf.
,,Ich fürchte nein. Deine Eltern wohnen jetzt in Neuseeland, und deine Freundinnen... Sagen wir es mal so, sie leben ihr Leben weiter", antwortete ich. Ich brachte es einfach nicht übers Herz ihr zu sagen, dass ihre beste Freundin Lola sich direkt nach ihrem Verschwinden ihren festen Freund gekrallt hat, und sich jetzt durch ganz London vögelt. Obwohl ich das auch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen hätte können, denn ich wusste ja nicht, wie lange ich bereits hier war.
Juliette nickte als Antwort und starrte auf ihre tauben Finger. Sie war zwar sehr still, aber ich glaubte, dass man zu zweit eine Situation wie diese besser ausstehen könnte. Das erste Mal seit langem huschte ein kleines Lächeln über mein Gesicht, denn ich war nicht allein. Und ich war nicht die einzige, die Schmerzen hat, die gefoltert wurde, die am Verhungern ist.
Ich stand von meinem Stuhl auf, ich wollte meine Umgebung ganz genau erkunden. Vielleicht hätte ich ja eine Schwachstelle finden können, und wir hätten einen Fluchtplan aushecken können. Oder einen Hilferuf versenden. Irgendetwas, was uns beide befreien könnte.
Ich lief also kreuz und quer durch das rosa Haus, und als ich in der Küche war, konnte ich nicht anders. Ich öffnete den rosa Kühlschrank, in der Hoffnung, dass ich meinem Magen und meiner Verdauung Beschäftigung geben könnte. Aber da war nichts. Der Kühlschrank war gefüllt mit unechten Lebensmitteln, die meinen Hunger nur noch unerträglicher machten.
Ich checkte auch noch einmal alle Fenster und Türen, so gut es eben ohne die Hilfe meiner Arme ging. Es war aber - wie zu erwarten - alles verriegelt.
Enttäuschung machte sich in mir breit, und ich wollte gerade zurück gehen, als ich Fotos an einer knallpinken Wand entdeckte. Auf allen war ein kleiner Junge zu sehen, der mit seiner Mutter posierte. Ich betrachtete das Bild sorgfältig, vielleicht hätte ich dadurch herausfinden können, wer mein Entführer ist.
Die Mutter hatte braunes, langes Haar, war leicht gebräunt und hatte ein sehr schönes Gesicht, was jedoch durch einen genervten Blick auf allen 19 Fotos entstellt aussah. Sie hatte immer eine Zigarette in der einen, eine Flasche Wein in der anderen Hand. Daneben posierte ein kleiner, braunhaariger Junge. Er war ein wenig blass, und hatte ein schönes Lächeln mit einem Grübchen auf seiner linken Wange. Trotzdem sah er irgendwie traurig aus, besonders auf dem Bild, wo Püppchen um ihn herum lagen. Welch Ironie...
Ich wandte meinen Blick ab, nachdem eine Gänsehaut meinen Körper durchfahren ist. Auf einmal ertönte eine Melodie, so als würde man eine Spieluhr mit einer kleinen Ballerina darin öffnen. Verwirrt ging ich zu Juliette, die mit den Tränen zu kämpfen hatte.
,,Was ist los?", fragte ich sie.
,,Es gibt Essen", antwortete sie und eine Träne kullerte an ihrer Wange herunter.
,,Warum weinst du? Das ist doch gut", versuchte ich sie aufzumuntern. Ich war am verhungern und konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum man deswegen weint, außer vor Freude natürlich. Aber ihr Gesichtsausdruck hatte etwas verbittertes, ihr Körper zitterte heftig, der Tränenfluss stoppte nicht.
,,Du verstehst das nicht", setzte sie an und holte tief Luft. ,,Du isst, ich werde gegessen."

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DOLLHOUSE / h.s/
FanfictionJeder liebt Puppen, nicht wahr? Doch Harry hat seine Darcy besonders gern. Das Leben von Abigail Preston änderte sich schlagartig, als sie von einer Party nach Hause ging und dort von einem Unbekannten entführt, und später gefoltert und gezwungen wi...