Prolog

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Ein hell schrillender Ton ließ Summer Davis aufschrecken und keine Sekunde später saß sie kerzengerade in ihrem Bett. Vergessen war die Traumwelt, in der sie bis eben noch verweilt hatte.
Frustriert griff sie nach dem Übeltäter – dem kleinen Wecker auf ihrem Nachtschränkchen – und stellte ihn noch halb blind ab. Kaum hörte das Klingeln auf, ließ die junge Frau sich erleichtert aufseufzend zurück in ihre Kissen fallen und schloss für einen Moment die Augen. Jeden Morgen könnte sie sich selbst verfluchen für ihren abendlichen Anflug an Motivation, der sie zum Stellen eines früheren und lauteren Weckers verleitete.

Zu gerne hätte sie ihren Traum zu Ende geträumt. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen und in Gedanken versunken versuchte sie, das warme Gefühl, das von ihrem Traum zurückgeblieben war, noch für einige weitere Sekunden einzufangen. Ein undeutliches Bild einer verschwommenen Gestalt die sie anlächelte, tauchte vor ihrem inneren Auge auf.
Erschrocken und von sich selbst überrascht schüttelte Summer schnell den Kopf, als wollte sie den Gedanken selbst von sich abschütteln und setzte sich wieder auf.
Normalerweise war sie nicht der Typ für solche kindischen Schwärmereien. Für solche, die sich auf fiktive Personen bezogen jedoch schon eher. Vor allem die äußerst charmanten und gutaussehenden. Ihr Blick fiel auf das Buch, das neben ihrem Wecker lag und das sie bis tief in die Nacht verschlungen hatte. Sie hatte den Roman gestern auf einem alten Bauernmarkt gefunden und obwohl sie nicht allzu viel von kitschigen Romanzen hielt, hatte sie das Alter des Buches fasziniert. Und nach den ersten paar Seiten hatte sie die Geschichte dann auch gefesselt und nicht mehr losgelassen. Erst als sie ihre Augen nicht mehr hatte offen halten können, hatte sie das Buch zur Seite gelegt und sich ihrem wohlverdienten Schlaf hingegeben.

Verträumt griff sie nach dem Buch und strich vorsichtig über den Einband. Wie die Seiten war auch er verblichen und hatte einen bräunlichen Farbton angenommen. Er war schlicht gehalten, lediglich der Titel war in verschlungenen Buchstaben darauf eingraviert;

Timeless Love.

Ein leicht modriger Geruch stieg Summer in die Nase, als sie das Buch ein wenig höher hob. Für andere unangenehm, hatte dieser Duft für sie schon immer etwas Beruhigendes an sich.
Seufzend legte sie das Buch zur Seite und stand auf, um sich fertig zu machen.

Endlich eine dampfende Tasse Kamillentee und eine Schüssel Müsli vor sich, konnte Summer noch ein wenig entspannen, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit machen musste. Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie sich gestern Abend vorgenommen hatte und euphorisch griff sie zu ihrem Laptop, der noch auf dem Küchentisch gelegen hatte. Gespannt klickte sie auf ihre Suchmaschine und gab den Namen des Autors ihres neuen Lieblingsbuches ein.
Es war so ergreifend und gefühlvoll geschrieben, dass sie unbedingt mehr über den Autor erfahren wollte. Vor allem, da sie dem Vorwort entnehmen konnte, dass er wohl über seine eigene Herzensdame geschrieben hatte. Und Summer wollte unbedingt wissen, ob zwei Menschen wirklich eine solche Verbindung zueinander haben konnten oder ob alles erlogen war. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, aber irgendwas an diesem Buch hatte sie in seinen Bann gezogen.

Ungeduldig überflog sie die Einträge, die ihr angezeigt wurden, doch keiner schien von ihrem gesuchten Autor zu handeln. Fast hätte sie weitergescrollt, doch im letzten Moment hielt sie inne und sah sich die Überschrift des Artikels, der ihr eben aufgefallen war, genauer an. Voller Vorfreude klickte sie auf den Link und las sich den kurzen Artikel in Rekordgeschwindigkeit durch. Kaum war sie am Ende angekommen, klappte sie ihren Laptop enttäuscht zu und schob ihn ein Stück von sich weg.
Zwar hatten der Name und der Zeitraum übereingestimmt, doch es war nur die Rede von einem Soldaten gewesen, der auf tragische, doch heldenhafte Weise sein Leben verloren hatte.

Ihre fröhliche Stimmung wie verpufft, räumte Summer die Reste ihres Frühstücks weg und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Ein Seufzen entfloh ihren Lippen als sie daran dachte, dass heute ein wichtiges Meeting anstand. Die Menschen, denen sie unweigerlich begegnen würde, konnten ihr gestohlen bleiben. Doch das war nichts Neues. Denn wenn man es genau nahm, erging es der jungen Frau so mit allen Menschen. Sie konnte einfach keine persönlichen Verbindungen zu anderen Menschen aufbauen, geschweige denn Freundschaften schließen. So war es schon seit ihrer frühesten Kindheit gewesen und der Tod ihrer Mutter hatte das Ganze auch nicht besser gemacht.
Sie hatte eine einsame Kindheit gehabt, die einzige Gesellschaft waren ihr stets betrunkener Vater und die Bücher ihrer Mutter gewesen. Als ihr Vater dann schlussendlich seiner Sucht erlegen war, war sie Gott sei Dank schon volljährig gewesen und hatte nicht in ein Heim gehen müssen. Doch Freunde, Bekannte und Familie hatte sie dennoch nicht gehabt.

Vielleicht sollte sie doch lieber auf die Gesellschaft von Katzen zurückgreifen.

...

Zügig schlängelte Summer sich durch die Menschenmenge. Anscheinend hatte gerade jeder einzelne Mensch in ihrer Heimatstadt Feierabend und wollte so schnell wie möglich nach Hause. Doch anders als bei den Menschen um sie herum, warteten auf die 27-Jährige zuhause keine Familie, sondern eine Aufgabe.
Denn während sich ihr Meeting immer weiter in die Länge gezogen hatte, waren ihre Gedanken abgeschweift. Und natürlich bei einem gewissen Buch gelandet. Sie hatte darüber nachgedacht, wie sie an weitere Informationen kommen konnte und dabei war ihr eingefallen, dass das Buch nicht nur ein gedrucktes Vorwort enthielt, sondern auch eine handgeschriebene Widmung. Diese war zwar nicht mit einem Absender versehen, doch was wenn auch diese vom Autor selbst geschrieben worden war. Dann hätte sie einen weiteren Namen für ihre Suche.

Meine liebste Paige
Ich zähle die Minuten, bis ich Dich endlich wieder in meine Arme schließen kann. Für Dich werde ich die Grenzen von Raum und Zeit überwinden. Ich liebe Dich.

War sie die Herzensdame des Autors, die Liebe seines Lebens? Und damit auch die weibliche Hauptfigur des Buches?
Verträumt schloss Summer für einen Moment ihre Augen und streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. So sehr hatten die Worte sie berührt, dass sie sie auswendig aufsagen konnte. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Wie schön wäre es wohl, einen Partner zu finden, der mit einer solchen Tiefe für einen empfindet.

Wieder in der Realität angekommen, vergewisserte sie sich, dass kein Auto in Sicht war und setzte dazu an, die Straße zu überqueren. Doch kaum hatte sie zwei Schritte getan, kam ein laut hupender LKW rechts von ihr um die Ecke gerast und geradewegs auf sie zu. Das helle Licht blendete sie und vor Schreck war sie wie gelähmt. Panik ergriff sie. Sollte das ihr Ende sein?
Bevor sie noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, wurde das Licht auf einmal so hell, dass sie ihre Augen schließen musste. Und plötzlich war es vollkommen still; kein einziger Ton drang zu ihr durch.

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus, schien sie zu lähmen. Fast glaubte Summer, leise Stimmen hören zu können, als wären sie weit entfernt. Kam ihr jemand zu Hilfe? Doch sie selbst konnte nichts sagen, ihr fehlte der Atem; ihr Körper schien nicht mehr auf ihre Befehle zu reagieren. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrer Haut aus und in der nächsten Sekunde wurde ihr vollends schwarz vor Augen und sie entglitt in eine Welt ohne Schmerz und lähmende Gedanken. Eine Unendlichkeit, die weit über die Grenzen ihres Verstandes hinaus ging.

Timeless Love - Liebe kennt keine ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt