15. _Naomi_

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Das Casting war super gelaufen! Ich hatte heute Morgen im Hotel die Zustimmung bekommen, dass ich ab sofort einen Job beim Radio hatte und freute mich schon darauf das Will zu erzählen. Und ich freute mich darauf, seinen Freund endlich kennenzulernen.

Gegen Mittag bog ich in unsere Straße ein und kam vor unserem Haus zum Stehen. Drinnen brannte kein Licht, aber Tagsüber hatte das nichts zu bedeuten. Ich ging durch den Vorgarten und kramte im Gehen meinen Schlüssel aus der Handtasche. Gar nicht so leicht, wenn man mit einer Hand einen Koffer hinter sich herzog.

Als ich In den Flur trat hörte ich Will aus dem Wohnzimmer rufen: "Mom? Hey Mom!" Ich ließ den Koffer stehen und ging zu meinem Sohn. Er saß am Sofa, auf dem Wohnzimmertisch stapelten sich verschiede Arztaurüstung. Er hatte kein T-Shirt an, sodass ich die Wunde an seiner Hüfte sofort sah. 

Ich schnappte nach Luft. Wills Lächeln verrutschte und er legte schnell die Hand darüber. "Ist nicht so schlimm, Mom.", murmelte er, aber es hörte sich schuldbewusst an. Rechts von mir hörte ich ein leises schnauben. Erst jetzt fiel mir der andere Junge auf, der sich im Raum aufhielt. Wieder verschlug es mir den Atem. Es war genau der Junge, den ich am Rücksitz der Limousine gesehen hatte. Der Junge, Nico di Angelo, schenkte mir ein kurzes, wachsames Lächeln, dann schaute er wieder besorgt zu Will. Der tupfte etwas auf die Wunde und wickelte einen Verband darüber. 

"Was ist passiert?", brachte ich heraus. Es war Nico der antwortete. Seine Stimme klang ein wenig kühl und leise als er sprach: "Wir wollten ins Kino, als uns ein paar Trottel im Park angegriffen haben. Sie haben auf uns geschossen und Will... er hat eine der Kugeln abgefangen, die mich sonst wahrscheinlich umgebracht hätte." Beide sahen aus, als ob sie das gerade zum ersten Mal aussprachen. Ich musste ein paar mal durchatmen, bevor ich sprechen konnte. "Soll.. soll ich dich ins Krankenhaus fahren, Will?" 

Will schüttelte den Kopf. "Es passt schon, Mom." "Krankenhäuser können nix.", fand Nico. Will schaute ihn an und konterte: "Die heute schon." Ich beobachtete den Wortwechsel der beiden und mir ging auf, wie vertraut sie miteinander umgingen. Trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass mein Sohn nicht ins Krankenhaus musste. Immerhin war er angeschossen worden! Und ich ärgerte mich über diesen Nico, weil er ihn nicht längst hingebracht hatte. Ich stand auf. "Nein, Will, du bist verletzt, ich bring dich jetzt ins Krankenhaus!" Will presste die Lippen aufeinander. Er und Nico sahen sich an und schienen ein stummes Gespräch zu haben. "Will!", sagte ich ungeduldig. Mein Sohn seufzte. 

"Mom, wir, also ich muss dir da noch was erzählen." 

"Später. Will du bist angeschossen worden! Du musst behandelt werden!" 

"Ich bin behandelt worden.", widersprach Will, "Neeks hat die Kugel herausgeholt und alles verbunden, es geht mir gut!" Ich wollte gerade einwerfen, dass Nico sicher kein ausgebildeter Arzt war, aber Will redete schon weiter: "Außerdem funktionieren Krankenhäuser für Leute wie uns nicht. Mom, es geht um Dad!" 

Das ließ mich aufhorchen. Ich war Wills fragen zu seinem Vater, Jimmy, bis jetzt immer ausgewichen. Irgendwann hatte Will aufgehört zu fragen, ungefähr zu der Zeit, als ich begonnen hatte ihn nach Camp Half-Blood zu schicken. "Ich bin Dad begegnet. Ein paar mal sogar.", sagte Will jetzt. Ich fuhr erschrocken zu ihm herum.

Langsam ging ich zu dem Sessel gegenüber und setzte mich. Will redete mit ruhiger Stimme weiter. "Mom, kennst du dich mit den griechischen Göttern aus?" ich nickte leicht. Ja, ich wusste, wer Apollo, Hades, Dionisos und der Rest waren. 

"Was wenn ich dir sage, dass es sie wirklich gibt?", fragte mein Sohn weiter. Ich stieß ein trockenes Lachen aus. Ich konnte einfach nicht anders. Mein Sohn saß verletzt vor mir und redete über Mythen, als wären sie echt! Was war mit einem kleinen, bodenständigen Will passiert?

"Was, wenn ich dir sage, dass sie sich manchmal in Sterbliche verlieben, und dann mit oder ohne Verkleidung zu ihnen gehen? Und dann oft Kinder herauskommen, die halb Gott, halb Sterblich sind?", redete mein Sohn weiter. In diese Richtung lief das also. ich holte tief Luft und versuchte mich vernünftig anzuhören: "Will, mein Süßer, das kann einfach nicht sein. Selbst wenn dein Vater... Ich meine, warum hätte er sich verkleiden sollen?"

Diesmal war es Nico, der Antwortete: "Weil manche Sterbliche es einfach im Kopf nicht aushalten, zu erfahren, dass sie von einem Gott angemacht werden. Der Vater einer Freundin wäre daran fast Wahnsinnig geworden. Sie musste ihm einen Vergessenstrank geben, damit er sich nicht mehr erinnern konnte, dass die Mutter seiner Tochter in Wirklichkeit eine Göttin ist." Ich ließ mir das erst mal durch den Kopf gehen. Aus irgendeinem unerklärlich, dämlichen Grund, hatte ich das Gefühl, dass an der ganzen Geschichte etwas dran sein konnte. Will versuchte etwas zu sagen, aber Nico schüttelte leicht den Kopf. Mein Sohn zischte leise: "Was?" Nico lächelte. "Du hast den selben Gesichtsausdruck, wenn du versuchst etwas zu akzeptieren. Da redet man besser nicht dazwischen.", erklärte er mit gesenkter Stimme.

Ich atmete durch und lehnte mich im Sessel zurück. Besser ich hörte mir erst einmal alles an, was mein Sohn und sein Freund zu diesem Thema zu sagen hatten. 

"Wer war es?", fragte ich. Will antwortete: "Apollo. Gott der Heilkunst, der Musik, des Bogenschießens und der Sonne." Ich schaute Will lange an und mir fielen Dinge auf, die ich vorher so nicht bemerkt hatte. Ich erinnerte mich daran, in welcher Rekordzeit mein Sohn Gitarre und Ukulele spielen gelernt hatte, dass er in seinem Leben noch nie einen Sonnenbrand gehabt hatte und sein Traum eines Tages Arzt zu werden. Konnte das ein Erbe sein? "Inwiefern wirkt sich das auf dich aus?", fragte ich nervös. 

Mein Sohn zuckte mit den Schultern. "Ich kann keinen Sonnenbrand bekommen, was ziemlich cool ist. Ich bin ganz gut mit der Gitarre und so und ich kann heilen." Nico räusperte sich vernehmlich und Will seufzte. "Ach ja und die Lieblingskraft meines Freundes hier..." Er schloss die Augen, atmete tief ein und als er die Luft wieder ausstieß begann seine gesamte Haut Licht auszustrahlen. Nico lächelte zufrieden. 

Solangelo 1 - Wills GeburtstagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt