1 ♛ Das Dorf der Sieger

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Wenn ich etwas die letzten Monate gelernt hatte, dann war es, dass nicht ein Ort Heimat für mich bedeutete - sondern die Menschen, die ich liebte.

Als ich also mit schnellen Schritten aus dem Zug lief und geradewegs in Elio's Arme fiel - war ich zu Hause.

Nicht, weil ich wieder beim Bahnhof von Distrikt 7 war - sondern wegen ihm.
Meiner Heimat - er war mein sicherer Hafen und meine Ruhe. Mein Glück und meine Entspannung.
Elio war mein Alles.

"Hey.",flüsterte der Schwarzhaarige leise in mein Haar und strich liebevoll über meinen Rücken.

"Hey.",hauchte ich leise zurück und stiess ein ganz leises Lachen aus - da ich ihn gleich nochmal umarmte, als wir uns voneinander lösen wollten.

"Ich nehme mal an, dass du mich vermisst hast.",murmelte er verschmitzt grinsend, als er sogleich nach meiner Hand griff und in meine Augen sah.

Seine Augen - dunkel und tief. Manchen könnte diese Augenfarbe schon fast Angst machen, welche Elio besass.
Doch mir nie - sie gab mir die Sicherheit und Ruhe, wenn auch in der Dunkelheit.

"Kein Stück.",flüsterte ich sarkastisch und gab ihm dann sanft grinsend einen Kuss auf die Lippen.

Mein Herz hüpfte in meiner Brust - wie immer, wenn wir dies taten.
Konnte manchmal von diesem Gefühl gar nicht genug bekommen. Mich nicht davon sattfühlen.
Nach all dem Schmerz und schlechten Erinnerungen, welche ich erlebt hatte.

Konnte die Augen schliessen und mich ihm hingeben - ihm vertrauen.
Nach angsterfüllten Schreien in der Nacht - nach bitterbösen Albträumen.
Nach Flashbacks mitten in einer alltäglichen Situation.
Nach Panikattacken und abrupten Gefühlsausbrüchen.
Immer wusste ich, dass er da war. Mich ohne Worte verstand. Mir half - schon nur indem er da war.

Er legte liebevoll lächelnd seine andere Hand an meine Wange - strich mit dem Daumen sanft über meine Narbe.

"Du bist wunderschön.",flüsterte er kopfschüttelnd - als würde er mich heute das erste Mal so anschauen.
Ich sah leise kichernd etwas verlegen umher.

Elio tat diese charmanten Sachen oft täglich - und immer wieder liess dies meinen Körper warm werden. Mein Herz pochen. Meine Mundwinkel nach oben ziehen, sodass ich schon fast Muskelkater davon bekam.

"Wow, ich hab im Zug sicherlich nicht mal zwei Stunden geschlafen.",murmelte ich grinsend als Antwort und schaute ihn amüsiert an.
Ich war insgesamt für gut zwei Tage weggewesen - da nunmal die Zugfahrt ins Kapitol seine Zeit beanspruchte.

"Ich steh' drauf."
"Du stehst drauf?"
"Total."

Wir lachten Beide auf und ich schüttelte lächelnd den Kopf.
Bis heute verstand ich nicht, wie Elio es die letzten Monate geschafft hatte, mich zum Lächeln zu bringen. Dass ich lachte - grinste.

Ich hatte nämlich gedacht, dass ich dies nach den Hungerspielen niemals mehr können würde.
Dass ich nun leer war. Ausgelaugt und so müde vom Leben - dass ich nie wieder Glück empfinden konnte. Meine restlichen Tage bloss irgendwo rumsitzen und ins Leere starren würde.

Und doch stand ich hier und war glücklich. Nicht ausschliesslich glücklich - keine Frage.
Aber ich konnte lächeln. Wegen Elio. Wegen Glenn. Wegen Zach und Cassidy. Wyll und Augustine. Blight, Johanna, Helio - und sogar Tulip.

Letztere war im Kapitol geblieben - hatte ihr ausdrücklich versprechen müssen, dass ich die Zugfahrt ohne sie überleben würde.
Ich mir nicht die Pulsadern aufschlitzen würde oder mich bis zum Himmel hoch betrinken würde - wegen der Sache, welche Snow mir aufgetragen hatte.

"Ich muss als Mentorin arbeiten.",hauchte ich - immer noch in einem gewissen Schock über diesen Fakt.

Elio, welcher gerade eine meiner Haarsträhnen hinter mein Ohr strich - hielt mit gerunzelter Stirn inne.
"Was?",flüsterte er verwirrt und schüttelte den Kopf. Schaute mir in die Augen - als wolle er mir sagen, ich solle keine Scherze machen.
Jedoch wusste er genauso gut wie ich, dass ich gerade über dieses Thema niemals Scherze machen würde.

Ayleen Fox | Leben als MentorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt