Ayleen Fox | Leben als Mentorin

5 ♛ Vergilbte Erinnerungen

Silija.
Immer und immer wieder hatte ich ihr Gesicht in meinen Albträumen gesehen. Aber nicht etwa ihr Lächeln - ihre ozeanfarbigen Augen oder sanften Gesichtszüge.
Nein, ich hatte sie so, wie damals in den Minen der Arena gesehen. Zerstört. Mit blutigen Wunden und lebensmüden Gesichtsausdruck.

Manchmal hatte ich das Gefühl, ich spürte ihre zittrige Hand immer noch, welche mich zu ihr hinabzog und mir einen bittersüssen Abschiedskuss geschenkt hatte.

Elio und ich hatten darüber geredet - und zwar hatte er durchaus zugegeben, dass er damals eifersüchtig vor dem Fernseher gehockt war, aber doch schenkte er mir Verständnis.
Gab sogar zu, dass er vor einem Jahr eine nicht gerade geringe Schwärmerei für Simea entwickelt gehabt hatte.
Ich war so unfassbar froh darüber, dass Elio und ich eine so nahe Beziehung führten - und diesem nicht einmal einen Namen geben mussten.

Wir waren einfach zusammen. Jetzt und immer. Egal wie. Und dies reichte.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich auf der Bühne von Distrikt 4 stand.
Hatte mir ausgemalt, wie dies alles sein würde - in meinem wirklichen Heimatdistrikt.
Das Rauschen der Wellen - der salzige Geschmack in der Luft. Der Geruch von Fisch. Das Geräusch von Möwen.

Aber sofort fiel mir auf, wie viele Friedenswächter hier aufgestellt waren - mehr als in den vorherigen Distrikten, in welchen ich gewesen war.
Ich konnte mir denken wieso.
Nach meiner Geschichte in den Spielen musste das Kapitol auf Nummer Sicher gehen.

Bei den Mentoren stach mir sofort Finnick Odair ins Auge - und innerlich musste ich trotz der angespannten Stimmung lachen. Wenn Cassidy dabei sein würde, würde sie wohl überhaupt kein Wort hinausbekommen, ausser atemloses Gequietsche.

Ich musste durchaus zugeben, dass Finnick in Real noch viel besser aussah, als etwa in seinen Interviews.
Hatte ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen, als sich unsere Blicke für eine Sekunde getroffen hatten.
Er sass entspannt auf seinem Stuhl und hatte das eine Bein über das andere geschlagen. Seine goldblonden Haare perfekt frisiert - seine blauen Augen aufmerksam und wach.

Neben ihm sass Annie Cresta - ein rothaariges Mädchen, welches die 70.Hungerspiele gewonnen hatte. Auch heute sah sie noch nicht unbedingt besser aus - immer noch dieser verstörte und ängstliche Blick.
Sie tat mir wirklich leid. Die Spiele hatten sie offensichtlich komplett gebrochen - nachdem sie eine ebenso schreckliche Arena hatte durchleben müssen, hatte sie zuletzt zusehen müssen, wie ihrem Distriktpartner der Kopf abgehackt wurde.
Genau vor ihren Augen.

Seither war sie nicht mehr sie selbst - erinnerte mich an ihre Siegertour, bei welcher sie ihre Reden fast nie hatte zu Ende erzählen können. Hatte immer wieder angefangen zu weinen, Unverständliches angefangen zu murmeln oder ist von der Bühne gerannt.

Und das allerschlimmste war, dass sie dadurch im Kapitol ausgelacht wurde. Ihre schrille Art. Ihr auffälliges Schluchzen.
Präsident Snow schien sich keine grosse Sorgen zu machen, dass das Verhalten von Annie irgendwelche Schwierigkeiten machen würde - deshalb wurde sie dafür auch nicht bestraft.
Sie war schon genug bestraft.

Es war eine komplette Reizüberflutung, als mir der hochgewachsene, rothaarige Bürgermeister von Distrikt 4 die Hand schüttelte und ich mich an das Rednerpult stellte.

Sah rechts Gillan Fisher - vor welchem seine Mutter, sein Vater und ein rothaariges Mädchen stand.
Das Mädchen starrte mich mit forderndem Blick an - die ganze Zeit. Doch ich wusste nicht, was dies zu bedeuten hatte.
Meine Hände zitterten nur noch mehr, als ich meine Rede anfing und die allbekannten Worte zu Distrikt 4 und schliesslich Gillan sagte.

Dann getraute ich mich endlich nach links zu schauen - in die türkisen Augen von Silija.
Ihre goldenen Haare, welche sich in Locken auf ihre Schultern fallen liessen.
Doch durch ihre Schultern floss nun kein Blut mehr. Ebenso waren ihre Augen geschlossen. Ihre Haut fahl und leblos. Starr.
Silija.