unüberlegte Flucht

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Kapitel 7

Ann

Ich erwachte nicht, weil es plötzlich laut geworden wäre, sondern weil die Musik, die mich in meinen Schlaf begleitet hatte, plötzlich stoppte. Es war wie die bekannte Ruhe vor dem Sturm, die dazu führte, dass ich mich aufsetze und angestrengt lauschte.

Selbst nachdem Drake mit seinem Bruder verschwunden gewesen war, war die Feier im Haus unbeirrt weiter gegangen. Es wurde Musik gespielt und ab und an einmal gejohlt. So weit, so normal.

Doch das hier war nicht normal.

Mit einem zögerlichen Blick auf die Digitalanzeige meines Weckers wurde meine Vermutung nur noch bestätigt. Es war erst halb drei Uhr morgens und damit keine so weit vorangeschrittene Stunde, dass eine solche Feier einfach endete. Das ungute Gefühl in meinem Magen begann, heißere Wellen zu schlagen.

Instinktiv stand ich auf, war überspült von Adrenalin und schlechten Erinnerungen an die Nacht, als die Russos kamen, um meinen Vater festzusetzen und mich mitzunehmen. Doch das könnte auch pure Paranoia sein. Nicht das Paranoia, in meiner Situation nicht absolut notwendig und damit vernünftigen Verhalten gleichkam.

Ich schob die Vorhänge von meinem Fenster beiseite und schielte vorsichtig in den Garten. Die Sitzecke auf dem Balkon war leer, der Mond schien hell über das Geländer und offenbarte: niemanden.

Fröstelnd, trotz der warmen Nachtluft, schlang ich die Arme um mich selbst und versuchte mich zu beruhigen.

Vielleicht war Mr Russo zurückgekehrt und hatte sein Zuhause räumen lassen. Vielleicht waren die Partygäste zu dem Schluss gekommen, dass es besser war, in einem der unzähligen Clubs zu feiern, die die Familie Russo besaß oder es ...

Ich hörte pochende Schritte im Haus und drehte meinen Kopf panisch zur Tür. Waren Fremde im Haus?

Nicht unbedingt. Das könnten auch die Sicherheitsleute der Familie Russo sein und selbst wenn es doch Feinde der Russos sein würden, hieß das nicht, dass sie mir wohlgesonnen sein würden. Ich war nicht bescheuert: Niemand würde je kommen, um mich zu retten, und wenn, dann nur um selbst einen Vorteil aus mir zu ziehen. Was sollte ich also tun?

Es war Wahnsinn, mein Zimmer zu verlassen und es gab auch keine Versteckmöglichkeit für mich.

Ich war immer schon diejenige in diesem Haus gewesen, die den wenigsten Nutzen und damit den wenigsten Schutz genoss. Selbst das Personal hier war mehr wert als ich, denn Treue und Verschwiegenheit war etwas, das man sich nur selten erkaufen konnte. Ich aber wahr entbehrlich und damit auch ziemlich uninteressant. Mann würde also nicht direkt nach mir suchen.

Der Gedanke beruhigte mich ein wenig und ich versuchte, das bleierne Gefühl von mir abzuschütteln.

Wovor hatte ich eigentlich so eine Panik? Dass die Russo angegriffen wurde und ich in die Schusslinie geriet? Das war lächerlich. Niemand wäre so dumm, ein so einflussreiches Kartell, wie das der Russos anzugreifen. Ihre Macht war sicher und das bedeutete auch, dass ich in diesem Raum sicher war und ...

Ein Schuss donnerte durch das Haus und dann waren da die ersten Schreie, die mich für einen kurzen Moment einfach erstarren ließen.

Vollkommen panisch drückte ich mich gegen das Fenster und sah aus den Augenwinkeln Männern durch den Garten rennen. Schwer bewaffnet und vermummt. Als würden sie zu der Spezialeinheit der Regierung gehören, aber ich wusste es besser.

Die Regierung war großzügig an den Gewinnen der Russos beteiligt. Sie hatten nicht das geringste Interesse daran, dass die organisierte Kriminalität in Florida einen größeren Schaden erlitt, solange diese es nicht zu weit trieben und nach meinen Erkenntnissen verdienten die Russos ihr Geld in erster Linie mit illegalem Glücksspiel, ein bisschen mittelschweren Waffenhandel und ab und an Schmuggel von Kunstgegenständen und seit neuesten: Hacking. Drake hatte dieses 'neue moderne Zeug' in die Organisation gebracht, trotz des Gegenwindes seines Vaters.

Keeping Ann - Ich lasse dich nicht gehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt