Erkentniss

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Kapitel 38

Ann

Ich starrte auf diesen Brief, blinzelte Tränen wegen Worten hinfort, von denen ich nie geglaubt hatte, dass ich sie so dringend brauchen könnte. Doch da waren sie. "Ich liebe dich" und "Du bist meine Tochter". Ich starrte so lange auf die Stellen, dass der Rest fast unterging. Kämpfte mit den Schwall von Emotionen, die sie aus meinen Inneren herauszerrten und zum ersten Mal auf eine Tribüne stellten. Ein unwilliger Sieger, auf einem Podest, aus Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte. Es fiel mir schwer ihn wieder hinabzustoßen um zu verhindern, dass ich mich in das bedürftige kleine Mädchen zurückverwandelte, dass ich schon vor Jahrzehnten begraben hatte. Ich konnte es mir nicht leisten, mich davon einnehmen zu lassen.
"Verdammte Scheiße!" hörte ich Drake fluchen und als ich mit Tränen nassen Wangen, die ich schnell wegwischte, damit sie niemand sah, zu ihm Blicke sah er mich ebenfalls an. Allerdings so, als wäre ich eine vollkommen andere Person, als wäre ich jetzt irgendwie anders. Wahrscheinlich stimmte das sogar und es machte ihn alles andere als glücklich.
"Was ist?", fragte Mike. Drake reichte ihm wortlos den Brief, den Drake wohl selbst von seinem Vater erhalten hatte, dann stürmte er auf mich zu und riss mir den meinen aus der Hand. Schneller als ich reagieren konnte, schneller als ich bemerken konnte, dass sich hinter dem Brief noch ein weiterer Zettel befand, der irgendwie offiziell aussah.
"Hey!", maulte ich, doch Drake ignorierte meine Einwände und überflog den Brief meines ... Vaters. Meines wirklichen Vaters.
Scheiße. Ich hatte einen anderen Vater. Einen, den ich nie gesehen hatte und es war entsetzlich... wie einfach es war das zu akzeptieren. Wie gut ist das verarbeitete.
An den Mann meiner Mutter, den Mann, den ich bis jetzt für meinen Vater gehalten hatte, hatte ich bestenfalls schwammige Erinnerungen, und eine so geringe Meinung, dass ich an der Stelle gefühlsmäßig kaum Abstriche machen musste. Es fiel mir viel zu leicht ihn in meinen Kopf als "Vater" zu streichen und seinen Namen mit einem anderen zu ersetzen.
Toni. Das ... verwirrte mich, bohrte sich in mein Herz wie ein Nagel, den man mir hineingeschlagen hatte. Nicht, dass ich einen anderen Vater hatte, sondern dass es mir so leicht fiel. Zu leicht. Es sagte viel über die Beziehung zu diesem Mann aus, dass ich es einfach abnicken konnte und einfach weiter atmete. Während der Verlust von Toni schmerzte mich. Ich hatte einen Vater gehabt.
Ein richtiger Vater. Einer, der mich nie kennengelernt hatte und mich dennoch liebte, einfach nur, weil ich existierte. Bedingungslos und ... ihn hatte ich verloren.
Und so absolut irrational wie es klang: Ich trauerte um ihn. Um den Vater, den ich hätte haben können.
Drake bemerkte zum Glück nichts von meinem Gefühlschaos. Er las den Brief und sah dabei immer verbitterter aus. Dann starrte er auf das letzte Blatt, das ich noch nicht in Augenschein hatte nehmen können.
"Fuck!", entfuhr es nun auch Mike, als er mit dem Brief von Drake durch war und sein Blick schnellte zu mir. Wie es aussah, hatte Janosch Russo meine Identität auch ihnen verraten.
"Dieser Narr. Aber es spielt keine Rolle. Maccucios Erbe ging an seine Schwester und deren Ehemann und wird danach an seine Neffen gehen! Wenn wir ihnen eine Erbin präsentieren, haben wir sie ebenfalls auf unserer Feindes liste. Niemand darf davon erfahren!", beschied Drake, riss dann auch Mike den Brief aus der Hand und machte sich daran, die Küchenschränke aufzureißen, bis er gefunden hatte, was er suchte. Eine Glasschale und ein Stabfeuerzeug um ...
Nein!
Endlich erwachte ich aus meiner Starre und verstand, was er vorhatte. Er würde ihn vernichten, er würde diesen Brief verbrennen.
Mein Herz zog sich bei diesem Gedanken zusammen. Das durfte er nicht!
Schnell rannte ich ihm nach, packte meine Zettel und riss sie aus der Schale an meiner Brust, bevor er das Feuerzeug an das Papier halten konnte.
"Er gehört mir!", fauchte ich ihn an und Drakes Blick verengte sich. Er versuchte erneut danach zu greifen, aber ich wich vor ihm zurück. Er würde ihn nicht bekommen. Nicht dieses einzige Zeugnis, irgendwann von jemanden geliebt worden zu sein. Ich würde es nicht hergeben, egal wie das aussah. Es. Gehörte. Mir.
Für mehrere Sekunden war alles um uns herum still. Wir starrten uns an, trugen einen Machtkampf aus, denn ich nicht gewinnen würde und den ich dennoch bereit war auszufechten. Für ihn.
Für diesen Mann, den ich nie hatte kennenlernen dürfen und der mit diesen wenigen Worten bereits mehr mein Vater war, als jeder andere.
"Raus hier! Alle!" Drakes Stimme war so eisig, dass ich unwillkürlich erschauderte, aber keiner stellte seine Worte infrage. Natürlich. Niemand stellte irgendetwas, jemals bei ihm infrage. Und plötzlich erkannte ich, was Toni gemeint hatte, als er mir nahelegte, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich sah Drake klarer als je zuvor und könnte mich ohrfeigen dafür, mich ihm freiwillig ausgesetzt zu haben.
Er hatte mich nie gewollt, mich ständig bedroht und mich letztendlich nur nicht doch noch getötet, weil ich ihn manipuliert hatte. Doch wie lange würde das halten, wie lange würde ich noch atmen, jetzt wo ich Drake nicht nur nichts brachte, sondern auch aktiv Probleme machte.
Schockiert betrachtete ich ihn. Sein Gesicht, dass ich so anziehend fand, die Aura der Macht, die ihn umgab. Er war eine Projektionsfläche für eine Sehnsucht nach Stabilität für mich gewesen. Deswegen liebte ich ihn. Weil er einfach der einzige war, der mich nicht offen angefeindet und sich ab und an dazu herabließ, mir zu helfen. Doch für, wenn hatte er das getan? Für mich? Vielleicht. Definitiv war ich ihm nicht völlig egal, aber ich empfand so viel für ihn, weil ich einsam gewesen war, weil er der einzige Strohhalm war, an den ich mich hatte klammern können, während alle anderen mich zu ertränken versuchten. Doch dieser Strohhalm neige sich mir nicht entgegen, weil er mich retten wollte, sondern weil es zu mühselig war sich wegzudrehen.

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Spicy, Enemys to Lovers, Gestaltwandler, Fantasy

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Keeping Ann - Ich lasse dich nicht gehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt