06 -- Kampf um die Briefe

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Als Vernon an diesem Abend von der Arbeit kommt, sucht er Harry und mich in unserem Schrank auf. Das hat er noch nie gemacht!

„Wo ist mein Brief?", fragt Harry, genau in dem Moment, als Vernon sich durch die Tür gezwängt hat. „Wer schreibt mir?"

Das interessiert mich auch! Alles, was ich mitbekommen habe, ist, dass Harry einen Brief in der Hand hatte und Vernon uns aus der Küche geschmissen hat. Genauso interessant wäre es zu wissen, wen Vernon vorhin mit „sie" gemeint hat und welchen „gefährlichen Unsinn" man wem „austreiben" musste.

„Niemand. Der Brief war nur versehentlich an dich adressiert", antwortet Vernon kurz angebunden. „Ich habe ihn verbrannt." Fassungslos öffne ich meinen Mund, aber ärgerlicher Weise kommt kein Ton heraus!

„Es war kein Versehen", ruft Harry zornig, „mein Schrank stand drauf."

„RUHE!", schreit Vernon und ein paar Spinnen fallen von der Decke auf meinen Wuschelkopf. Angewidert beginne ich, mir die Spinnen aus meinen Locken zu zupfen.

Vernon holt ein paar Mal tief Luft und zwingt sein Gesicht zu einem schmerzhaft angespanntem Lächeln. „Ähm – ja Harry – wegen dieses Schrankes hier. Deine Tante und ich haben darüber nachgedacht... Ihr werdet allmählich wirklich etwas zu groß dafür..."

>Ach ne auch schon gemerkt?!<, denke ich zynisch, verziehe aber keine Miene.

„Wir meinen, es wäre doch nett", fährt Vernon fort, „wenn ihr in Dudleys zweites Schlafzimmer ziehen würdet."

„Warum?", frage ich ihn. Bestimmt liegt es an dem Brief und daran, dass niemand wissen sollte, in welchem Raum wir wohnen.

„Keine dummen Fragen!", fährt mich Vernon an.

Ha, von wegen! „Es gibt keine dummen Fragen! Und allein diese Frage ist berechtigt!", unterbreche ich ihn bissig.

Vernon muss sich offensichtlich sehr zusammennehmen, um mich nicht anzuschreien. „Bringt dieses Zeug nach oben, aber sofort!"

Das Haus der Dursleys hat vier Schlafzimmer: zwei für Dudley, eins für Vernon und Petunia sowie ein Gästezimmer. Mein Bruder und ich müssen nur einmal nach oben gehen, um all unsere Sachen in Dudleys zweites Zimmer zu bringen. Harry setzt sich auf das Bett, und ich lasse mich, den Blick durch das Zimmer schweifend, neben ihn plumpsen.

Fast alles war kaputt. Die Videokamera mit einer leicht zerkratzten Linse liegt auf einem kleinen, noch funktionierenden Panzer, den Dudley einmal über den Hund der Nachbarn gefahren hatte. In der Ecke steht Dudleys erster Fernseher, dessen Bildschirm er voller Wut zerstört hatte, als seine Lieblingssendung abgesetzt wurde.

Auch ein großer Vogelkäfig steht mitten im Raum. Früher hatte mal ein Papagei darin gewohnt, bis Dudley ihn in der Schule gegen ein echtes Luftgewehr getauscht hatte. Das Luftgewähr liegt mit verbogenem Lauf auf einem Regal. Andere Regale stehen voller Bücher. Das sind die einzigen Dinge in dem Zimmer, die aussehen, als wären sie nie angerührt worden.

Interessiert gehe ich darauf zu und lasse meinen Blick über die Bücherrücken schweifen. Viele davon waren Aktion und Abenteuer Romane, aber ich entdeckte auch ein ganzes Regal voller Sach- und Wissensbücher, von denen manche sogar noch eingepackt sind. Fantasie und Mystery Romane gab es auch, genauso wie ein paar Krimis und Thriller. Der Rest besteht aus vereinzelten Büchern der Sherlock Holmes Reihe.

Ich bemerke jedoch erfreut, dass die nächsten sieben Bücher des Detektiven in dem Regal stehen und nach kurzem durchzählen, stelle ich fest, dass insgesamt nur sechs Bücher fehlen. Offensichtlich ist das noch von der Zeit, als Petunia noch versuchte, Dudley mit den verschiedensten Werken zu begeistern.

Charlie Dorea PotterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt