Kapitel 15

61 2 2
                                    

„Das hast du ja mal wieder super hingekriegt Julien!", schnauze ich ihn an, sobald Noah außer Hörweite ist. In seinem Gesichtsausdruck meine ich für den Bruchteil einer Sekunde so etwas wie Reue oder Mitleid zu sehen, bis er sich durch meine Worte wieder zu fassen scheint und sein typisch undurchdringbares Gesicht aufsetzt. Wie gerne, würde ich die Gedanken von diesem Jungen lesen können...

Doch nur einen kleinen Moment später, schleicht sich ein mir nur allzu gut bekanntes Grinsen auf sein Gesicht, dass mich um den Verstand bringt. Sowohl positiv als auch negativ, da es mich unglaublich provoziert, aber ihn gleichzeitig auch unbeschreiblich attraktiv macht.

„Du hättest nicht mitmachen müssen."

Das Grinsen behält er dabei auf seinem Gesicht und blickt mir wieder genauso selbstsicher wie immer in die Augen und jeglicher Anflug von Unsicherheit, den ich wenige Momente zuvor auf seinem Gesicht wahrgenommen habe, ist verschwunden.

Das Schlimmste ist aber, dass er mit seinen Worten vollkommen recht hat. Ich hätte nicht mitmachen müssen. Ich hätte nicht mitmachen sollen. Aber irgendetwas in mir sehnt sich so unglaublich nach seiner Nähe, dass es mir in diesem Moment nicht möglich gewesen ist, mich von ihm fern zu halten. Ich trage mindestens genau so viel Schuld wie Julien.

Dieser starrt mich noch immer an und es sieht beinahe so aus, als würde er gerade einen Kampf mit sich selbst führen. Während ich alles über-analysiert habe, ringt er anscheinend wegen irgendetwas mit seinen Gedanken. Ein paar Mal öffnet er den Mund, schließt ihn dann aber doch wieder. Das ist sowas von ungewöhnlich für Julien. Julien Haze ist der selbstsicherste Mensch den ich kenne, und ihm ist es scheiß egal was andere Leute von ihm denken. Darum verwundern mich die Worte die nun doch ihren Weg aus seinen Gedanken zu seinem Mund gefunden haben nur noch mehr.

„Ich hatte keine Ahnung, dass Noah hier ist... und ich wusste auch nicht, dass... er...", unterbricht er sich dann mitten im Satz selbst. Dieser, wenn auch nur halbe, Satz kommt aus ihm herausgesprudelt als würde er ihn so schnell wie möglich ausgesprochen haben wollen, bevor sein Verstand ihn doch noch daran hindert. Ich habe noch nie so viel Unsicherheit in seiner Stimme mitschwingen hören. Und seine Unsicherheit, macht mich ebenfalls unsicher.

Immer wieder gehe ich seine Worte in meinem Kopf durch, da ich ziemlich sicher bin, dass auf seinen halben Satz keine Erklärung mehr folgen wird. Doch es gibt viel zu viele Möglichkeiten, von denen mir jedoch keine wirklich realistisch erscheint. Daher stelle ich erneut den Augenkontakt zwischen uns her und frage Julien die Frage, die mir bereits auf der Zunge liegt.

„Was wusstest du nicht?", ich lege meinen Kopf ein wenig schräg, da ich mal gelesen habe, dass das, Menschen sympathischer wirken lässt. Ich denke zwar nicht, dass irgendwelche Psychologie-tricks, die von wahrscheinlich 10-jährigen Kindern ins Netz gestellt werden, mich bei Julien irgendwie weiterbringen werden, doch ich versuche es dennoch.

Nach wie vor kann ich in Juliens Augen den Kampf mit sich selbst verfolgen. Und auch diesmal scheint die böse Seite zu gewinnen. Denn Julien schüttelt nur seinen Kopf, unterbricht unseren Blickkontakt und versucht so viel Abstand zwischen uns zu bringen wie möglich, bevor er geradewegs auf die Ausgangstür des Badezimmers zusteuert. Mein Körper beginnt, beinahe Automatisch, instinktiv, sich in Bewegung zu setzen, um die Tür vor ihm zu erreichen, was mir Gott sei Dank auch gelingt, da ich einen um einiges kleineren Abstand zu ihr habe als Julien.

Ich versperre ihm den Weg zur Türe und stelle mich direkt vor ihn. Im nächsten Moment bereue ich diese Entscheidung zwar schon wieder, da ich hochschauen muss um in seine grünen Augen blicken zu können, doch ich fasse mich.

„Was wusstest du nicht.", wiederhole ich meine Worte, diesmal etwas langsamer und leiser um mich bedrohlicher anzuhören. Auch wenn Julien keinen Grund hat Angst vor mir zu haben, da ich physisch auf keinen Fall stärker als er bin.

Julien macht noch immer keine Anstalten, auf meine Frage zu antworten. Diesmal kriege ich nicht einmal ein Kopfschütteln. Also beschließe ich den Druck noch mehr zu erhöhen. Sanft aber bestimmt, packe ich ihn am Arm.

„Sag es jetzt, Julien. Auch du kannst nicht ewig weglaufen.", versuche ich ihn irgendwie mit den gleichen Worten, wie er mich wenige Minuten zuvor, zu erreichen. Das ist meine Trumpfkarte. Und diese hatte ich jetzt bereits ausgespielt. Wenn das jetzt nicht funktioniert, dann würde ich es aufgeben.

„Ich...", versucht Julien erneut die richtigen Worte zu finden. Ich bin erstaunt und muss mich bemühen, das zu verbergen um die Situation nicht noch komplizierter und schwerer für ihn zu machen.

Tausende von Emotionen spiegeln sich in seinen grünen Augen wider. Sie rasen hin und her wie in einer Achterbahn in einem Funpark und tauchen seine Augen in ein dunkles Smaragdgrün, dass ihnen ihr typisches Strahlen, dass ich so liebe, nimmt.

Erwartungsvoll und eindringlich sehe ich ihn an, und hoffe, dass er in meinem Blick ebenso viele Emotionen wahrnehmen und diese hoffentlich auch besser deuten kann, als ich.

„Scheiße!", ich zucke bei seinem plötzlichen Ausbruch zusammen. Meine Hand ruht nach wie vor auf seinem Arm. Von Moment zu Moment kommt er mir gefährlicher und angsteinflößender vor. Ich hätte keine Chance gegen ihn und der Gedanke daran, dass er so viel Macht über mich haben könnte, wenn er nur wollen würde, versetzt mich in eine Angst, die ich noch nie erlebt habe.

Langsam, lasse ich meine Hand an Juliens Arm heruntergleiten und merke, wie sich seine Haare unter meiner Berührung aufstellen. Bei seiner Hand verweilen meine Finger kurz. Das war eigentlich nicht meine Intention, aber mein Instinkt hat wohl wieder Besitz von mir ergriffen.

Ich drücke kurz seine Hand und löse mich dann vollständig von ihm. Kurz meine ich, eine Art Widerstand zu fühlen. So als wenn, Julien mich nicht loslassen wollen würde und meine Geste ihn erreicht hatte. Doch das habe ich mir bestimmt nur eingebildet.

Das gefährliche Kribbeln, das ich an jeder Stelle spüre, an der Julien mich berührt hat, verschwindet nicht, als ich mich langsam umdrehe und das Badezimmer verlasse.

In diesem Zimmer könnte ich ganz sicher nicht mehr auf die Toilette gehen. Wenn ich es überhaupt jemals wieder betreten kann...

Hinter mir, höre ich Julien ebenfalls aus dem Bad kommen und in sein Zimmer gehen. Im nächsten Moment höre ich auch schon die Tür schwungvoll zuknallen. Ein gedämpftes „Fuck!" hallt aus seinem Zimmer durch die Wände hindurch, direkt in mein Ohr.

Jede Begegnung mit diesem Jungen verwirrt mich nur noch mehr, doch erstmal sollte ich mich jetzt um seinen, wesentlich gesprächsoffeneren Bruder kümmern.

My Heart beats fasterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt