Kapitel 3

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Muss ich es jetzt ernsthaft noch 1h 30min mit ihm neben mir aushalten?!

Als ich wieder im Wohnzimmer ankomme, sitzt Julien bereits auf der Couch und tut so als wäre nichts passiert, während ich mir meinen Rücken, der immer noch wehtut, reibe.

Immer wieder gehe ich den Moment in meine Gedanken durch. Ob es Julien genauso geht? Vermutlich nicht. Er ist immer noch Julien, sage ich mir wiederholt in meinem Kopf, um mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

Nach einer Weile fällt mir erst auf wie dicht Julien und ich aneinander sitzen. Außerdem merke ich wie ich immer müder werde. Und ich weiß auch nicht wie das passieren konnte, aber auf einmal landet mein Kopf auf Juliens Schulter und meine Augen fallen für einen kurzen Moment zu. Dann schrecke ich wieder auf, habe jedoch immer noch meinen Kopf auf Juliens Schulter. Als ich begreife was ich gerade getan habe, dachte ich eigentlich, er würde mich wegschubsen. Stattdessen tut er nichts. Er bleibt einfach unverändert sitzen. Als hätte er es nicht einmal gemerkt. Oder als würde es ihn nicht stören...

Wie kam ich überhaupt auf die Idee meinen Kopf auf die Schulter von Julien zu legen? Auf die Schultern der Person, die ich im Moment am wenigsten auf der ganzen Welt leiden kann.

Nachdem mir diese Erkenntnis kam, zucke ich zusammen, setze mich wieder aufrecht hin und wende mich von Julien ab. Als wäre nichts passiert. Jedoch fühle ich seinen Blick auf mir. Ich drehe mich um und rechne schon damit, dass er mich jetzt vor Noah komplett lächerlich macht. Doch das tut er nicht. Er sieht mich einfach nur mit seinen strahlend grünen Augen an. Und ich kann seinen Blick ganz und gar nicht deuten. Ich meine jedoch, ein wenig Enttäuschung in seinen Augen zu sehen. Diese rührt wahrscheinlich daher, dass er dachte, er hätte mich an der Angel und ich wäre eine seiner Schlampen, die ihm überall hin folgen. Aber da hat er sich gewaltig geirrt. Ich werde mich niemals auf dieses Niveau herablassen.

***

Als der Film zu Ende ist, fühle ich mich auf einmal nicht gut. Mein Bauch beginnt unglaublich wehzutun. Das kann nur eins bedeuten. Meine Periode. Sie sollte eigentlich erst nächste Woche kommen, daher habe ich natürlich keine Tampons oder Binden dabei. Und ich sitze hier gerade zwischen zwei Jungs, voller Angst, dass ich ausgelaufen sein könnte. Außerdem habe ich keine Ahnung wie ich Noah und Julien nach Tampons fragen kann. Normalerweise hätte ich keine Probleme damit Noah so etwas zu fragen. Doch gerade ist hier auch Julien.

Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich nicht merke, wie mir eine Träne mein schmerzverzerrtes Gesicht herunterrollt. Zumindest nicht, bis ich plötzlich einen Finger in meinem Gesicht spüre der mir sanft die Träne aus dem Gesicht wischt.

„Alles gut Olivia?", höre ich im nächsten Moment Julien flüstern. Sofort fahre ich herum um in Noahs Richtung zu schauen. Friedlich liegt er auf dem Sessel und schläft. Dann wandert mein Blick wieder zu Julien und auf seinen Arm der mittlerweile von meiner Wange auf meinen Oberschenkel gesunken ist. Mit zarten Bewegungen streicht er an meinem Oberschenkel auf und ab und genau wie kurz zuvor in der Küche, macht sich dieses unerträgliche kribbeln in meinem Körper breit.

Ich bin zu geschockt irgendetwas zu sagen, daher schüttle ich nur meinem Kopf um ihm zu signalisieren, dass gar nichts gut ist. „Was ist los?", fragt er und er hört sich beinahe besorgt an. Aber warum zum Teufel sollte sich Julien Haze um mein Wohlbefinden sorgen? „Ich habe Bauchschmerzen.", quetsche ich heraus und versuche dabei möglichst normal zu klingen und nicht als würde ich gleich in Tränen ausbrechen. „Diese Bauchschmerzen", ergänze ich und während ich das sage, bricht meine Stimme ein wenig. „Oh", entgegnet Julien, „Hast du nichts dabei?", erkundigt er sich. Wieder schüttle ich mit dem Kopf.

Eigentlich dachte ich, dass er mich jetzt auslachen würde, stattdessen steht er aber auf und gibt mir ein Handzeichen ihm zu folgen. „Wo geht ihr hin?" fragt Noah der anscheinend vor wenigen Momenten aufgewacht ist, als ich mich ebenfalls erhebe um Julien zu folgen. Hoffentlich hat er Juliens Hand auf meinem Oberschenkel nicht gesehen. „Ist egal."

Ich laufe ihm hinterher und blicke an meiner pastell-violetten Jogginghose hinunter. Ich erkenne einen deutlichen roten Fleck zwischen meinen Beinen. Er ist nicht groß, aber groß genug, damit jede Person die mich ansieht ihn klar und deutlich erkennen könnte.

„Julien?", setze ich an. Dieser dreht sich um und bevor ich überhaupt sagen kann, was ich meine, nickt er und biegt anstatt ins Bad zu gehen in sein Zimmer ab.

Weiterhin folge ich ihm, wie ein Entenbaby seiner Mutter und als ich sein Zimmer betrete fällt mir auf wie lange ich nicht mehr in diesem Raum war. Die Einrichtung hat sich komplett verändert. Sein Kinderbett, wurde zu einem schlichten Bett mit schwarzem Holzrahmen. Seine ganzen Möbel waren sowohl farblich als auch Materiell aufeinander abgestimmt. Und durch die LED-Streifen die sich am oberen Rand seiner Wände einmal komplett durch den Raum ziehen, kriegt sein Zimmer noch den letzten Schliff. Das blaue Licht, das von den LEDs ausgeht, verleiht dem Raum einen mysteriösen Touch und rundet sein Zimmer perfekt ab. Also Geschmack hat er. Das muss ich ihm lassen.

Während ich damit beschäftigt war, sein Zimmer zu bewerten, ist er zu seinem Kleiderschrank gelaufen. Ich sehe wie er eine graue Jogginghose und ein Trikot seiner Fußballmannschaft aus seinem Kleiderschrank zerrt, anschließend zu mir hinaufläuft und mir beides hinhält. „Hier. Die Jogginghose ist dir wahrscheinlich zu groß, aber zum Schlafen wird es reichen.", er lächelt. Ich glaube das ist das erste Mal in meinem Leben, dass er freundlich zu mir ist. Sonst würde jetzt einfach nur ein dummer Spruch kommen. Aber heute ist es irgendwie anders. Ich wusste nicht einmal, dass er die Fähigkeit, nett zu sein überhaupt besitzt. „Äh... danke", antworte ich verdutzt. „Ach komm schon. So verblüffend ist es jetzt auch nicht, dass ich nett sein kann." „Ehrlich gesagt schon." Wir beide lachen. „Im Bad sind die Sachen die du brauchst. Wenn du willst kann ich dir einen Tee machen oder so", sagt er. „Nein danke. Ist schon ok, du hast schon so viel getan. Das ist echt nicht nötig.", sage ich und lächle ich an.

Anschließend gehe ich ins Bad um zu duschen und mir seine Sachen anzuziehen. Während ich durch den Flur laufe, merke ich wie Julien mir hinterhersieht und dann die Treppen runter, zurück zu Noah geht.

***

Als ich fertig mit duschen bin, ziehe ich mir Juliens - mir viel zu großen - Klamotten an und gehe runter.

Ich setze mich wieder zu Julien auf die Couch und frage ihn und Noah ob wir noch einen Film gucken können. Julien willigt ein, doch Noah sagt er würde jetzt lieber schlafen gehen. Seine Laune scheint ein wenig gekippt zu sein. In Gedanken mache ich mir eine Notiz ihn morgen früh zu fragen, was mit ihm los war. „Ist schon okay. Liv und ich sehen uns den Film einfach alleine an. Geh ruhig schlafen." Ich kann es nicht fassen. Erstens warum will er mit mir alleine den Film gucken und zweitens er hat mich schon wieder Liv genannt. Der Unterschied ist aber, dass es mich diesmal in keinster Weise stört so von ihm genannt zu werden.

Noah zögert kurz und irgendetwas spiegelt sich in seinem Blick wider, dass ich so noch nie an ihm gesehen habe. Einen kurzen Moment lang denke ich er will etwas sagen, jedoch schüttelt er dann nur den Kopf, dreht sich um und läuft aus dem Raum. Julien scheint das ebenfalls bemerkt zu haben. Er steht auf, holt die Fernbedienung vom Couchtisch und setzt sich wieder hin. Der Unterschied zu davor ist, dass er jetzt plötzlich wieder viel weiter von mir weg sitzt als zuvor. Wortlos startet er den Film. Mein Bauch beginnt wieder höllisch weh zu tun und ich krampfe ein wenig zusammen. Julien merkt das und rutscht wieder näher an mich heran. Als er dann auch noch seinen Arm um mich legt und mich an sich heranzieht, sodass ich auf seiner Brust liege, verstehe ich gar nichts mehr. Erst das in der Küche. Dann der Moment auf der Couch und seine plötzliche Sorge um mein Wohlbefinden. Danach rutscht er auf der Couch vor mir weg und legt jetzt seinen Arm um mich? Ich verstehe gar nichts mehr. Aber ich bin viel zu erschöpft um zu überlegen was ich machen soll. Außerdem ist es überraschend gemütlich und sein regelmäßiger Atem beruhigt mich irgendwie. Also beschließe ich einfach so liegen zu bleiben und im nächsten Moment fallen mir auch schon die Augen zu. 

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