Kapitel 9

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~ Olivia ~

- Alles gut? Du siehst so nachdenklich aus - riss mich Noahs Stimme aus meinen Gedanken.
- Alles bestens - entgegnete ich lächelnd.
Eine Woche war es her, seitdem ich Noah bei ihm zuhause besuchte. Er hatte eingesehen, dass er wirklich Hilfe brauchte, und dass es eine ernste Sache war. Ich hatte ihm den Vorfall vor meinem Arbeitsplatz verziehen, vorausgesetzt, er brach den Kontakt zu all den falschen Leuten ab, die ihn herunterzogen, und bekam seinen Drogenkonsum in den Griff.
Sowohl seine Mutter als auch ich hatten ihm große Unterstützung gegeben, und schon nach einer Woche konnte man eine Verbesserung sehen. Es war nicht leicht für Noah, denn der Entzug war der reinste Horror für einen Drogenabhängigen.
Aber er machte wirklich gute Fortschritte.

- Geht es um ihn? - fragte er mich mit einem leicht gereizten Unterton in seiner Stimme.
- Um Ethan? Natürlich nicht. Ich habe doch gesagt, dass alles gut ist - antwortete ich.
Aber ich glaubte das nicht einmal mir selbst.
Obwohl alles mit Noah geklärt war und sich in die richtige Richtung bewegte, konnte ich dasselbe nicht über meine Beziehung zu Ethan sagen.
Wir hatten beide Dinge geschrieben, die wir vielleicht nicht so gemeint hatten. Aber ich hatte nicht erwartet, dass Ethan mir danach komplett aus dem Weg gehen würde.
Er war seit einer Woche nicht zur Arbeit erschienen. Die Chefin behauptete, er sei im Urlaub, aber ich wusste ganz genau, dass er das absichtlich machte, um mich zu vermeiden.
Obwohl ich seine nervige Art und dummen Sprüche immer satt hatte, fehlte etwas, wenn er nicht da war.
- Noah, ich sollte jetzt gehen. Meine Mum hat schon angerufen - sagte ich und stand auf, um ihn zum Abschied zu umarmen.
Er breitete seine Arme aus und drückte mich kurz an sich ran.
- Ruf mich an, falls etwas sein sollte. Ich bin für dich da - seufzte Noah und ließ mich schließlich los.
Ich lächelte ihm dankbar zu, nahm meine Tasche und verließ sein Zimmer.

Eigentlich hatte ich wirklich vor, nach Hause zu gehen, aber ich konnte einfach nicht aufhören an Ethan zu denken. Klar, vielleicht hatte ich mit meiner Nachricht übertrieben in der ich sagte, ich wünschte, ich hätte ihn nie getroffen. Aber auch er traf meinen tiefen Punkt.
In meiner vorherigen Beziehung wurde ich oft von meinem Ex-Freund misshandelt. Er zwang mich öfters Sex mit ihm zu haben, an Tagen, an denen ich überhaupt keine Lust dazu hatte. Er war so toxisch und manipulativ, dass ich tatsächlich eine längere Zeit überhaupt nichts mit Männern zu tun haben wollte. Ich wollte auch nicht angefasst werden.
Und obwohl das schon über 10 Monate her war, traf es mich sehr, als Ethan schrieb, dass ich vielleicht darauf stehe misshandelt zu werden.
Das hat mich sehr verletzt.

Jedenfalls beschloss ich, die Sache mit uns zu klären, weil ich ihn vermisste. Ich vermisste es, mit ihm zu arbeiten und seine dummen Sprüche zu hören.
Ich blieb vor dem Haus stehen, vor dem wir uns vor 2 Wochen das erste Mal getroffen hatten.
Ich spürte, wie mein Herz raste. Ich wusste nicht genau warum, aber es machte mich nervös, ihn wiederzusehen.

Ich schluckte schwer und drückte auf die Klingel, auf der der Nachname "Sanchez" zu sehen war.
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, aber schließlich ging das Gartentor auf.
Ich ging unsicher hindurch und schaute mich ständig um, um Ethan zu entdecken.
Eine Frau kam jedoch aus der Eingangstür und lief in meine Richtung entgegen. Sie trug eine weiße Haube und eine Schürze in derselben Farbe. Ich vermutete, sie sei das Dienstmädchen oder so etwas in der Art.
- Hallo, wie kann ich Ihnen behilflich sein? - fragte mich die Frau.
- Hi, ich wollte mit Ethan sprechen - erwiderte ich. Sie schaute mich etwas verwirrt an, als würde sie mir nicht glauben, dass Ethan jemals in der Lage wäre, mit jemandem wie ich abzuhängen. Oder vielleicht bildete ich mir das nur ein.
- Klar, hier entlang - nickte sie mit dem Kopf und zeigte mit einer Handbewegung, dass ich ihr folgen sollte.
Wir gingen kurz durch das riesige Haus, die Treppe hinauf.
Schließlich blieb sie vor einer Tür stehen und deutete auf sie.
Ich bedankte mich bei ihr und klopfte dann leise an der Tür.
Ich wartete nicht lange auf eine Antwort, sondern trat entschlossen in sein Zimmer ein.

Measure of time  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt