Kapitel 15

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~ Olivia ~

Als ich klein war, hatte ich mir geschworen, mein Herz niemals von einem Jungen brechen zu lassen. Falls es doch passieren sollte, würde ich mich nie wieder verlieben und als alte, einsame Frau mit Tausenden von Katzen enden.
Heute schien dieser Tag gekommen zu sein.
Durch meinen toxischen Ex-Freund hatte ich bereits viel gelitten, aber niemand hatte mir jemals so das Herz gebrochen wie Ethan es getan hatte.
Ich verfluchte den Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal sah. Ich verfluchte mich dafür, diesen Kerl nach nur fast drei Wochen Bekanntschaft in meinem Herzen eingeschlossen zu haben.
Das bekommt man eben, wenn man Leuten zu schnell vertraut.

Das Klopfen an meiner Tür riss mich aus meinen Gedanken, und meine Mutter kam herein.
- Livi, soll ich dich zur Arbeit fahren? - fragte sie lächelnd.
Ich hatte ihr nicht erzählt, was vorgefallen ist.
Sie hatte auch keine Ahnung von Ethan.
Eigentlich erzählte ich ihr immer alles, aber mit ihm war alles so kompliziert, dass ich es lieber für mich behielt. Ich wollte sie nicht mit meinem Liebeskummer unnötig besorgen.
- Gerne, bin gleich unten - antwortete ich.
Psychisch war ich überhaupt nicht bereit, Ethan zu sehen. Schon bei dem Gedanken daran bekam ich Bauchschmerzen.
Ich fragte mich, ob er überhaupt von dem Video wusste, denn er hatte mir den ganzen Tag keine einzige Nachricht hinterlassen. Nicht mal eine Nachricht mit "Sorry, dass ich dir Hoffnungen gemacht habe und dann mit einer anderen etwas am Laufen hatte". Garnichts.

Meine Mum schloss wieder meine Zimmertür, und ich blieb alleine.
Schon komplett aufgeregt stand ich von meinem Bett auf und setzte mich an meinen Schminktisch. Da ich wenig Zeit hatte, machte ich nur meine Haare in einen kleinen, kurzen Zopf und trug ein wenig Concealer unter meine Augen auf, sodass man nicht unbedingt sehen konnte, dass ich zuvor geweint hatte.
Gehetzt schnappte ich mir meine Arbeitstasche und machte mich auf den Weg nach draußen, wo meine Mama bereits im Auto auf mich wartete.
- Alles gut bei dir? - fragte mich meine Mutter etwas besorgt, als ich gerade dabei war, mich anzuschnallen. Mamas wissen immer, wenn es ihren Kindern nicht gut geht. Ich hatte es zwar mit keinem Wort erwähnt, doch sie wusste trotzdem, dass etwas nicht stimmte.
- Ja, war nur eine harte Nacht - versuchte ich ihrer Frage auszuweichen, in der Hoffnung, sie würde nicht weiter nachhaken.
Sie grinste jedoch nur. Sie hatte mir wahrscheinlich nicht geglaubt, wollte mich aber nicht zum Reden zwingen. Das fand ich sogar besser so.
Immerhin, was hätte ich ihr sagen sollen? Sie kannte sich nicht wirklich mit Liebeskummer aus, denn schließlich war sie seit 17 Jahren mit meinem Vater verheiratet. Und das wohl sehr glücklich, denn ich hatte sie noch nie streiten gehört. Obwohl es ja eigentlich unmöglich ist, schienen meine Eltern ein perfektes Ehepaar zu sein.
Ich wünschte mir immer, mit jemandem so zu enden wie meine Eltern. Doch stattdessen zerbrach ich mir den Kopf über einen Typen wie Ethan.
Was für eine Ironie des Lebens.

Ich war so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht einmal bemerkte, als wir endlich vor dem Restaurant standen.
Erst als meine Mutter mir leicht über den Arm strich, realisierte ich, dass wir angekommen waren. Ich bedankte mich bei ihr für die Fahrt und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Gerade als ich die Tür schließen wollte, bat sie mich noch kurz zu warten.
- Du bist wertvoll, Liv. Lass dich von niemandem so behandeln, als wärst du es nicht - sagte sie dann.
Ich wusste es. Sie hat schon vorhin geahnt, dass es mir nicht gut ging. Mamas eben.
Ich nickte mit dem Kopf, als Symbol, dass ihre Worte bei mir angekommen waren, und schloss schließlich die Autotür.
Ich betrat das Restaurant und umklammerte meine Tasche so fest, als könnte sie mir in diesem Moment Sicherheit bieten. Die Panik, die mich ergriff, war überwältigend, obwohl ich nicht genau wusste, wovor ich so ängstlich war.
Schließlich hatte Ethan Mist gebaut, nicht ich.
Ohne mich genau umzuschauen, aus Furcht, seinen Blick zu treffen, lief ich hastig durch den Raum.
Ich murmelte nur ein leises "Hi", als ich an den Jungs in der Küche vorbeieilte.

Als ich mich um die Ecke wagte, fiel mein Blick auf Ethan, der vor seinem Spind stand. Sein Blick war intensiv auf mich gerichtet, als würde er versuchen, in meine Seele zu schauen.
Ich konnte nicht anders, als meinen Blick abzuwenden und so zu tun, als wäre er nicht da. Doch insgeheim wusste ich, dass das nicht so funktionieren würde.
Ich lief an ihm vorbei und drehte den Rücken zu ihm, während ich mein Spind öffnete.
- Olivia, ich... - fing er an zu sprechen.
Selbst bei diesen zwei Worten bekam ich Gänsehaut. Ich wusste selbst nicht, ob es daran lag, dass seine Stimme so wunderschön klang oder dass sie mich in diesem Moment so aggressiv machte.
Hektisch drehte ich mich um, sodass unsere Blicke sich trafen. Darauf war ich nicht vorbereitet.
- Ich will keine Entschuldigungen oder sonst etwas von dir hören, Ethan. Zum Sommerende sind nur noch 4 Wochen übrig, und in dieser Zeit muss ich dich ertragen, aber danach werden wir nie wieder etwas miteinander zu tun haben. Also lass uns unsere Arbeit machen - zischte ich wütend.
Für einen kurzen Augenblick redete ich mir ein, dass meine Worte vielleicht zu hart waren und ich nicht so ein Arschloch zu ihm sein müsste. Doch dann erinnerte ich mich daran, was für ein fieses Arschloch er zu mir gewesen war, und da hatte ich kein Mitleid mehr mit ihm.
Er schwieg einen Moment und sah mich komplett verzweifelt an.
- Ich weiß nicht, wie du das gemacht hast, aber mir waren noch nie die Gefühle von anderen Menschen so wichtig wie deine. Es tut mir wirklich leid - seine Stimme klang brüchig, als würde er wirklich verletzt sein.
Fast hätte ich es ihm geglaubt. Fast.
- Ich glaube dir kein Wort - sagte ich enttäuscht.
Ich wusste, dass man diesem Jungen kein Wort trauen konnte. Er wusste nicht, was es bedeutete, andere wertzuschätzen und gut zu behandeln. Dafür war er zu verwöhnt, hatte man ihm scheinbar als Kind nicht beigebracht.

Ich versuchte nicht weiter mit ihm zu diskutieren und wartete nicht auf eine Antwort von ihm.
Mit voller Wucht schloss ich meinen Spind und schob mich an Ethan vorbei.
Bevor ich den Raum verließ, warf ich ihm noch einen abschätzigen Blick zu.
- Gehe mir einfach aus dem Weg - fügte ich hinzu und verschwand bereits hinter der Ecke.
Mein Herz fühlte sich an, als wäre es in tausende kleine Splitter zerbrochen.
Nicht einmal der Schmerz, den ich nach dem Ansehen des Videos empfunden hatte, kam an das heran, was ich jetzt spürte. Nachdem ich Ethan all' das ins Gesicht sagen musste, obwohl alles in mir nach ihm sehnte.

Mir war bewusst, dass wahrscheinlich alle den Streit mit Ethan gerade mitbekommen hatten, aber in dem Moment war es das letzte, was mich interessierte. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich die Küche betrat.
Alle Augen waren bereits auf mich gerichtet.
Gott, wie ich das hasste.
- Also... bist du wieder single? - fragte mich Jaden, einer von den Köchen.
Obwohl es mir beschissen ging, konnte ich nicht anders, als mir das Lachen zu verkneifen. Jaden konnte mich immer zum Lachen bringen, egal wie schlecht meine Laune war.
- Halt die Klappe - sagte ich lachend und zeigte ihm scherzhaft einen Mittelfinger.
Ich war froh, so tolle Arbeitskollegen zu haben, denn ich wusste, dass mit denen, die Schicht mit Ethan halbwegs so schlimm sein würde.
Hoffte ich zumindest.

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Heute nur Liv's Perspektive, aber hoffentlich, gefällt es euch trotzdem 🙈
Der nächste Kapitel wird krass sein, believe me!
Also bleibt gespannt 🤭

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