Vergangenheit

150 16 3
                                    

Drei Tage nach Emilia's Besuch kam auch schon ihr angekündigter Anruf und nun saß Akihito zusammen mit Asami in seinem Privatjet und war auf dem Weg nach New york.
Akihito saß nachdenklich auf einem Platz am Fenster und sah hinaus. Asami hatte ihn die letzten drei Tage nicht mit einer einzigen Frage gelöchert, obwohl Aki damit fest gerechnet hatte nach diesem Abend in Eurys Hotelsuite. Doch der Yakuza tat es nicht und der junge Japaner zog vor dem Älteren dafür den Hut. Wäre er an Asamis Stelle gewesen, hätte er ihn nicht mehr in Ruhe gelassen, bevor endlich alle Tatsachen offen auf dem Tisch gelegen hätten. Aber nun schien es anscheinend so weit zu sein. Asami kam mit zwei leeren Gläsern und einer Flasche Whisky zu ihm, setzte sich ihm gegenüber und stellte alles auf einen kleinen Tisch zwischen ihnen. Zog seine Zigarettenschachtel aus der Jackentasche, zündete sich eine an und nahm einen tiefen ersten Zug. Dann sah er seinen jungen Geliebten an. „Ich glaube wir müssen endlich über alles reden, Akihito. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mal annähernd alles über dich weiß. Findest du nicht?"
Aki nickte leicht, griff zu der Flasche Whisky und goss sich einen großzügig ein. Nahm einen kleinen ersten Schluck von dem bernsteinfarbenen Getränk, lehnte sich zurück und sah seinen Yakuza an. „Ja ... Ich glaube, es ist tatsächlich an der Zeit einige Karten offen auf den Tisch zu legen.", der Killer nahm einen erneuten Schluck und atmete tief durch, bevor er anfing zu erzählen. „Es ist wahr-. Ich habe da im Flugzeug so einiges ausgelassen, was mein früheres Leben betrifft.", der Kleine nahm einen weiteren Schluck. „Ich habe damals in New York zusammen mit meinen Eltern gelebt. Mein Vater kommt ursprünglich aus Russland und heißt Jardani Jovonovich. Aus dem russischen lässt sich Jardani als John übersetzen, während der letzte Teil seines wahren Nachnamens abgekürzt zu Wick führt. Ich bin mir nicht sicher, ob dir der Name Viggo Tarasov etwas sagt. Aber Mr. Tarasov war der Patriarch des Tarasov- Syndikats, dem mächtigsten russischen Syndikat, bevor das Albatof-Syndikat an die Spitze rückte. Allerdings hatte Viggo all seine Macht damals meinem Vater zu verdanken. Mein Vater hat ihn an die Spitze gebracht und bekam von dem Russen nach dem Massaker, welches er für ihn angerichtet hat, den Übernamen ‚Babaj' der ‚schwarze Mann', dieser Name blieb meinem Vater. Er trat dem Continental bei und wurde zu dem gefürchtetsten Killer überhaupt, doch eines Tages lernte er eine Frau namens Helen kennen, verliebte sich und trat aus dem Geschäft aus. Helen starb eines Tages an einer Krankheit und nur ein paar Tage nach ihrem Tod hat Mr. Tarasovs Sohn meinen trauernden Vater in seinem Haus überfallen, hat seinen Hund getötet, welcher ein Geschenk von Helen gewesen war, und hat sein Auto gestohlen. Iosef Tarasov wusste nicht, wem er das angetan hat, das hat er anscheinend kurz darauf von seinem Vater erfahren. Aber daraufhin kam mein Vater wieder als Babaj zurück und hat das Tarasov-Syndikat vernichtet, komplett. Nur deswegen konnte das Albatof-Syndikat an die Spitze der Macht in Russland rücken. Mein Vater war wieder einige Zeit im Geschäft, als er dann irgendwann durch Zufall Hina Tabaka kennenlernte, meine Mutter. Für sie ist er erneut ausgestiegen und ich war das Ergebnis. Wir wohnten damals in New York, bis das passierte, was ich dir bereits erzählt habe. Die Ermordung meiner Eltern, die Pflegefamilien, wie ich Owen kennengelernt habe. Die Aufträge für Owen. Doch bevor ich nach Japan kam und zwischen den Morden für Owen lag natürlich einige noch unerklärte Zeit. Owen kannte meinen Vater. Sie waren Freunde. Dadurch hatte Owen Verbindungen zum Continental und so kam ich schließlich auch zu der Mitgliedschaft. Ich bin in die Fußstapfen meines Vaters getreten und wurde zum nächsten Babaj, denn anscheinend fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Also genau genommen heiße ich Akihito Jovonovich, bin zur Hälfte Japaner und zur Hälfte Russe. Ich habe den Nachnamen meiner Mutter angenommen, damit mich so wenige wie möglich erkennen. Außerdem spreche ich fließend Japanisch, Englisch, Russisch und noch ein paar andere Sprachen. Der Name Mr. Jovonovich steht deinem Namen in nichts nach Asami, mittlerweile ebenso wenig wie dem von John Wick. Daher kenne ich auch Giuseppe Salvatore, das Oberhaupt der Cosa Nostra, er hat einen Sitz an dem hohen Tisch, der High Table. Durch seine Hilfe war es mir letztlich möglich, auszusteigen und nach Japan zu kommen. Und dann traf ich dich-.", Akihito schmunzelte. Asami drückte seine nun schon dritte Zigarette aus, griff ebenfalls nach der Flasche und schenkte sich ein.
„High Table ...?"
„Der hohe Tisch oder High Table umfasst einen Geheimrat mit 12 Sitzen, wobei der Sitz häufig einer Familie gehört. Dazu gehören die Camorra, Cosa Nostra, N'drangheta, Triaden, Yakuza, die Russen und die Bratva Null. Sie gilt als die ultimative Autorität und wird von allen respektiert. Sie haben Dutzende von Polizisten, Politikern und Bürokraten auf der ganzen Welt unter ihrer Fuchtel, was sie praktisch über das Gesetz stellt. Der Adjudicator ist der Oberste der High Table und hat die Befugnis, jeden zu beurteilen und zu verletzen, selbst die Mitglieder des Tisches, die es wagen, den Tisch herauszufordern. Eigentlich wundert es mich ein wenig, dass Du, Feilong und Jefim keinen Sitz an dem Tisch habt. Aber wie ich bereits zu Emilia gesagt habe, liegt es wahrscheinlich daran, dass ihr drei als einzelne Person einfach schon zu mächtig seid."
„Wenn ich genau darüber nachdenke, hat man mir tatsächlich mal so etwas angeboten, aber ich habe abgelehnt und mich nicht weiter dafür interessiert. Hmm-. Was ist die Bratva Null, davon habe ich noch nichts gehört?!"
„Bratva Null, oder Zero - ist ein vom Adjudicator angestellter Attentäter, der die Ausbildung von Attentätern in New York leitet."
„Irgendwie erklärt deine Herkunft in der Tat die blonden Haare und die blauen Augen ...", Asami zog einen Mundwinkel nach oben und Akihito kicherte lautlos. „Ich habe mir also einen der gefährlichsten Killer ins Haus geholt."
Irgendwie klang das nicht nach einer von Asamis Fragen. „Zwar hat mir der Name meines Vaters etwas geholfen, doch ich habe in der Tat einiges für meinen Ruf getan."
„Warum hast du aufgehört?"
„So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei. Nicht wenn man noch ein klein wenig seiner Seele retten möchte.", Akihito sah nun traurig aus dem kleinen Fenster, doch dann richtete er den Blick wieder auf den Yakuza. „Du hast es geschafft mich zu retten, Asami, du hast dafür gesorgt, dass ich nochmal das erlebe, was meinem Vater passiert ist. Ich werde immer an deiner Seite sein, dich ebenso beschützen wie deine Männer und dir bis auf den Grund der Hölle folgen. Ich bin dein, egal mit welchem Nachnamen."
„Und diese Emilia ist also die Tochter von diesem Owen. Hattet ihr was miteinander?" Asami fragte das so ruhig, doch Akihito musste lachen, als er den Gesichtsausdruck des Japaners sah, „Ja ist sie und nein Asami - wir hatten nichts miteinander. Sie ist eher wie meine kleine Schwester." Aki lächelte den Älteren liebevoll an. Der Yakuza ließ sich nichts anmerken. Er saß ohne eine Gefühlsregung da. Doch seine Augen sprachen Bände.
„Diese Organisation, in der du Mitglied bist, scheint ziemlich komplex zu sein. Was passiert jetzt?" „Jetzt lernst du ein klein wenig von meiner Welt kennen Asami. Hast du etwas dagegen, dich sobald wir landen nach mir zu richten?" „Normalerweise würde ich das jetzt bejahen. Doch in diesem Fall ... Nein, habe ich nicht. Warum ‚schwarzer Mann'?"
„Eine böse Sagengestalt die unartige Kinder ... Menschen holt. Was Besseres fiel Viggo anscheinend nicht ein. Außerdem trug mein Vater ausschließlich schwarze Klamotten."
„Und wie willst du den Killer finden Akihito?"
Aki verzog seinen Mund zu einem Strich und stieß anschließend die Luft aus. „Ob du es glaubst oder nicht-. Ich weiß, dass das Ganze schwierig sein muss, da du mich als harmlosen Jungen kennengelernt hast. Ihr mich entführen konntet und so einiges mit mir angestellt habt, ohne das ich mich ernsthaft dagegen gewehrt habe. Aber auch ich habe ziemlich viele Beziehungen auf der ganzen Welt. Ich besitze so einige Schuldmünzen. Es stehen mächtige gefährliche Männer in meiner Schuld, deren Dienste ich nur einfordern muss oder mit denen ich befreundet bin. Das Netzwerk von High Table und Continental ist so gewaltig. Die Ermordung Owens und Emilias Suche nach mir wird ausgereicht haben, damit alle wissen, dass ich wieder auf der Bildfläche erscheinen werde. Er kann sich auf keinem Kontinent der Welt lange vor mir verstecken. Aber da er ja mich töten möchte, wird er das auch nicht vorhaben."
Kurz vor der Landung hatte Akihito zum Handy gegriffen und wählte nun eine der vielen eingespeicherten Nummern. „Ich möchte den Transportservice in Anspruch nehmen. John F. Kennedy Flughafen. Fünf Wagen, davon eine Limousine. In 30 Minuten. Auftraggeber Akihito Jovonovich."
Ohne weitere Worte legte der junge Japaner auf. Eine halbe Stunde später landete der luxuriöse Jet des Yakuza auf dem Flughafen und die Passagiere stiegen aus. Wie von Aki geordert standen fünf Wagen mit Chauffeur bereit, um die Japaner in Empfang zu nehmen. Asamis Bodyguards trugen das Gepäck zu den Fahrzeugen, während Suoh nicht von der Seite seines Bosses wich. Kirishima war in Tokyo geblieben, um sich um die Geschäfte während Asamis Abwesenheit zu kümmern.
Vor der Landung hatte sich Akihito kurz in das Schlafzimmer im Flugzeug zurückgezogen, um sich umzuziehen. Der Mafioso hatte große Augen gemacht und seinen Kleinen gemustert, als er wieder aus dem Schlafzimmer kam. War der Anblick von Akihito in Kampfmontur und Scharfschützengewehr schon ein seltsamer Anblick gewesen, aber ihn jetzt in maßgeschneidertem Anzug zu sehen, komplett schwarz gekleidet und mit doppeltem Waffenholster und silber-schwarzen Pistolen-. Der Anblick schien den Yakuza zu erregen und der Killer schmunzelte.
Nur gut das die Piloten bereits zum Landeanflug angesetzt hatten. Nun lief Aki vorneweg auf den Fahrer der Limousine zu, begrüßte ihn freundlich und reichte ihm fünf Goldmünzen. „Wo darf die Fahrt denn hingehen Mr. Jovonovich?"
„Zum Continental." „Aber natürlich."
Asamis Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er es absolut nicht gewohnt, nicht beachtet zu werden, sagte aber nichts und stieg hinter Akihito in die schwarze Limousine. Das Fahrzeug mit seinen vier Begleitfahrzeugen setzte sich in Bewegung und schlängelte sich durch den dichten Verkehr. Als sie nach etwas mehr wie einer Stunde vor dem Flatiron Building hielten, sah Asami Akihito verwundert an, als er begriff, das sie wohl ihr Ziel erreicht hatten. Das 91 Meter hohe Gebäude gehörte zu den Wahrzeichen New York Citys und lag an der Kreuzung der Fifth Avenue, des Broadway und der 23rd Street in dem nach ihm benannten Flatiron District von Manhattan. Akihito kicherte und trat durch die ihm aufgehaltene Wagentür nach draußen. „Wir sind angekommen Asami."
Sie traten durch den Eingang in die luxuriöse Lobby und liefen zielstrebig auf den Concierge des Hotels zu. Asami bemerkte wie sich zahlreiche Köpfe nach Ihnen umdrehten. Akihito blieb vor dem Tresen aus Marmor stehen und begrüßte lächelnd den dunkelhäutigen Mann mit Glatze und Brille. „Hallo Charon."
„Mr. Jovonovich. Es ist mir eine außerordentliche Freude sie erneut in unserem Hotel wieder einmal begrüßen zu dürfen und ihre Begleiter natürlich ebenfalls. Drei Nächte ...?" „Erst einmal Ja, kann allerdings auch etwas länger werden. Wäre es möglich, einen ganzen Flur für uns zu bekommen, in diesem mit einer großen Suite für zwei Personen?" Charon's Blick glitt mit einem kaum sichtbaren Lächeln zu Asami, dann wieder zu Akihito. „Das ist natürlich kein Problem Mr. Jovonovich." Der Concierge reichte Akihito die passende Anzahl an Zimmerschlüssel und der junge Killer legte die passende Anzahl an Goldmünzen auf den Tresen, nahm die Schlüssel an sich. Drehte sich um, ging ein paar Schritte, als er sich plötzlich noch einmal umdrehte, „Charon ...", „Ja Mr. Jovonovich?" „-ist es immer noch der gleiche Hotelmanager?"
„Ja, immer noch der gleiche Hotelmanager."
„Das ist gut. Würden Sie bitte die passende Anzahl an Tischen für heute Abend um 8 Uhr in ihrem Restaurant reservieren."
„Aber natürlich Mr. Jovonovich."
„Danke."
Akihito drehte sich um und lief in Begleitung der Personenschützer und seinem Yakuza in Richtung Suite.

Kein Entkommen - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt