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Froboscha verhehlte sich nicht, dass ihr die ganze Sache im Grunde gar nicht recht war. Stehlen war unrecht. Und mit den Idealen des fuchsgesichtigen Gottes hatte sie noch nie etwas anfangen können. Das war auch oft eine Ursache für Streitereien zwischen ihr und Farline gewesen, für die Diebstahl eine völlig legitime Art zu sein schien, den Lebensunterhalt zu verdienen. Das aber sah Froboscha vollkommen anders. Und nun das! Und für wen? Für einen zu Recht verurteilten Verbrecher. Mochte er auch noch so hilfsbereit, so kameradschaftlich, so lustig gewesen sein... er war und blieb schuldig. Und ihm sollte sie nun helfen? Für ihn selber zur Verbrecherin werden?

Doch auch die kleine, lustige Farline fühlte sich nicht ganz wohl in ihrer Haut. Gewiss, gegen das Stehlen war im Grunde nichts einzuwenden, auch wenn es bei ihr niemals zur echten Leidenschaft geworden war. Aber die Frage war doch: WEM stahl man etwas?!

Und da lag eben der Hund begraben! Keiner, der etwas auf sich hielt, bestahl den Totengott selbst. A-propos begraben: Nun saßen sie bereits seit gut zwei Stunden in der Ecke auf dem Boronsanger, verborgen hinter ein paar steinernen Rädern und vertrockneten Büschen, und beobachteten einige schweigende Boroni beim Schaufeln eines Grabes. Langsam wurde es dämmerig. Und bei Dunkelheit sollte man sich nicht auf einem Boronsanger aufhalten – das hatte schon ihr Vater immer gesagt, als sie noch ganz klein gewesen war. 

Nur... Wie – in Phex Namen, sollten sie an drei Boronskutten heranklommen? Sie konnten schlecht den grabenden Boronie eins über den Schädel geben. Und in den Tempel eindringen ohne gesehehen zu werden – das konnte man wohl auch nicht. Auf jeden Fall nicht durch den Haupteingang. Und vor dem Hintereingang buddelten die Schwarzkutten herum. Ach! es war zum Mäuse-Melken!

In diesem Augenblick bekam sie einen Stoß von der Seite, der wie üblich zu grob ausfiel und sicher mal wieder einen blauen Fleck hinterlassen würde. „Schau mal..." flüsterte Froboscha. „Ich glaub, sie sind fertig und gehen rein."

„Stimmt," bestätigte Farline und rieb sich den Arm. „Außerdem wird's bald dunkel. Dann verschwinden sicher alle von hier, und man sieht nicht, wenn wir uns anschleichen. Die Frage ist... sollen wir das wirklich tun? Wir wissen ja noch nicht mal, ob Merhibam Erfolg hat..."

„Wir haben es versprochen!" erinnerte sie die Zwergin streng. Im Grunde war das für sie die wichtigste Motivation. Sie hatte sich nun einmal zu diesem blödsinnigen Versprechen hinreißen lassen. Und ein Zwerg, der auf sich hielt, brach ein gegebenes Versprechen nicht.

Beide warteten ab, bis die Boronis in der hinteren Tempeltür verschwunden waren. Dann erhoben sie sich und klopften sich Erde und Piniennadeln von der Kleidung. Der sinkende Praiosschild sendete orangenes Licht über den Anger, verstärkte dabei auf seltsame weise die Kontraste, als wolle der Gott der Gerechtigkeit noch einmal ein gestrenges Auge über kleine Anlage werfen. Langsam schlenderten sie zwischen geborstenen Rädern entlang und näherten sich dem dunklen Basaltgebäude, dessen Schatten sie irgendwann von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne trennte. Vor ihnen lag die Tür, düster und sehr verschlossen.

„Und... meinst du jetzt, du kriegst sie auf?" zischte die Zwergin.

„Da müsste ich mich ja schämen, wenn ich das nicht aufbekäm'." Dennoch, ganz so einfach war es nicht – ruhte doch das Bündel mit Farlines Dietrichen irgendwo auf dem Grunde des Perlenmeeres und ein zurechtgebogenes Metallstück musste als Ersatz dienen. Geraume Zeit stocherte sie vergebens in dem Schloss herum, bevor endlich ein zufriedenes Lächeln über ihr kleines Gesicht glitt. Der Draht war eingerastet. Langsam drehte sich das Schloss, die Tür sprang auf. Drinnen gähnte Dunkelheit.

Perlenmeer Teil 3: BoronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt