* 14 *

23 7 0
                                    

„Leicht..." murrte Froboscha später in der Nacht, als sie zum wiederholten Male mit den Rudern durcheinandergeraten waren. „Also... ich verstehe unter leicht was anderes. Außerdem kann ich in dieser Kutte nicht hantieren. Die Ärmel rutschen mir ständig über die Hände!"

„Es ist ja nicht mehr weit..." Merhibam saß hinten im Boot, gab die Richtung vor, während die beiden Nordländerinnen ruderten. Es war eine schöne, klare Nacht, das Madamal leuchtete über das Mhanadi-Delta und warf glitzernde Lichter auf die Wellen. Es hätte eine bezaubernde Bootsfahrt sein können. Doch ihr Vorhaben schnürte ihr die Kehle zu.

Alle Euphorie war inzwischen verflogen. Merhibam fragte sich selbst, ob das, was sie vorhatte, auch nur die mindeste Aussicht auf Erfolg barg, oder ob es zum Scheitern verurteilt war. Wahnsinn, dachte sie. Es ist der helle Wahnsinn. Es wird niemals gelingen. Es gibt tausend Möglichkeiten, weshalb ich scheitern könnte. Und eine ist schlimmer als die andere. Oh... Götter. Ich bin verrückt. Ganz gewiss.

Die Felsinsel, auf welchem die Festung erbaut war, rückte langsam bedrohlich näher, sah von hier so viel größer, so viel gewaltiger aus. Wie ein riesiger dunkler Koloss aus Schwärze.

„Pass doch auf!" rief Farline. Schon wieder war die Zwergin mit ihrem Ruder gegen das ihre gestoßen. Über ihre Schulter suchte sie nach dem Felsen mit der Festung und erschrak: So nahe schon. Und so hoch über ihnen die Mauern! Wie, um alles in der Welt sollten sie dort hinauf kommen?

„Bitte... rudert um den Felsen herum," meinte Merhibam auf ihre Frage hin. „Vielleicht gibt es irgendwo einen Anleger und eine Treppe..."

Eine Treppe fanden sie nicht. Dafür aber eine Öffnung im Fels, vor der ein großes, schwärzliches Gitter angebracht war. Dahinter erstreckte sich eine Höhle, erleuchtet von gelbem Fackellicht, das feurige Lichter auf die schwarzen Wellen warf. Rechterhand befand sich eine Art gemauerter Anleger, an welchem ein kleines, schlankes Beiboot vertäut lag. Es trug das Wappen des Großfürsten. Die Höhle war jedoch groß genug als dass sie mehrere solcher Boote hätte aufnehmen können. Ganz hinten befand sich eine Art Öffnung, wo eine Rampe den Berg hinauf zu führen schien. Die Höhle schien leer zu sein. Niemand war zu sehen. Vorsichtig ließ Merhibam ihre Helferinnen nahe an das Gitter heranrudern. Dann streckte sie die Hand aus und berührte die Stäbe. Sie waren eiskalt, feucht vom Meerwasser und mit einer leichten Patina aus Rost überzogen. Dennoch schienen sie sehr stabil zu sein und waren so dick wie mindestens drei Finger. Oben schien ein Loch in der Decke zu sein, aus welchem das Gitter herauszukommen schien. Wo es unten endete, war nicht zu sehen.

Ratlosigkeit überfiel sie. Kam man hier nur herein, wenn man erwartet wurde? Sie wurden nicht erwartet. Sollte sie schreien? Aber die Wellen rauschten und schäumten so laut. Wie konnte sie sich Gehör verschaffen? Sie suchte im Halbdunkel den Blick ihrer Gefährtinnen, hilflos, fragend.

Die Zwergin grinste. „Guckt mal, da, an der Seite. Das sieht nach einer Hebelvorrichtung aus. Könnte sein, dass man damit das Gitter anheben kann."

Das konnte man nicht, stellten sie fest. Doch als Froboscha den unterarmlangen Hebel herunterdrückte, ertönte irgendwo im Innern ein leiser Gong. Kurz darauf erschienen drei Gardisten des Großfürsten, blitzende Khunchomer an der Seite. Verständigen konnte man sich nicht. Dazu war der Lärm der rauschenden, gegen den Fels schlagenden Wellen zu laut. Doch die Gardisten schienen weder erzürnt noch sonderlich befremdet. Einer von ihnen verschwand, und kurz darauf hob sich mit seltsamem klickenden Geräuschen das Gitter und verschwand im Fels über ihnen.

„Interessante Mechanik," murmelte die praktische Zwergin und starrte interessiert nach oben, von wo dicke Tropfen aus Meerwasser heruntertropften.

Merhibam interessierte die Mechanik nicht im geringsten. Sie erbebte bei dem Gedanken, nun in diese Höhle hineinzufahren, sich diesen Gardisten auszuliefern. Auf Gedeih und Verderb. Noch konnte sie zurück. Noch gab es die Möglichkeit, umzukehren...

Perlenmeer Teil 3: BoronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt