non lo so - novembre '23

690 31 21
                                    

Missmutig stelle ich den Adventskranz auf den Esstisch. In einer Woche ist schon der erste Advent. Eigentlich sollte jetzt die Zeit der Liebe und Freude beginnen. Doch mir ist so gar nicht danach zu Mute. Dabei habe ich gar keinen Grund dazu, so eine schlechte Stimmung zu haben. Mein Mann und ich sind verheiratet und erwarten im Frühjahr unser erstes Kind. Es läuft alles perfekt. Nach unserem Streit vor ein paar Wochen haben wir uns auch direkt am nächsten Tag versöhnt. Nachdem ich den Abend und die Nacht bei Anne und Dominik verbracht habe, bin ich am Tag darauf vom Büro aus wieder nach Hause gefahren. Anne hat mich am Vorabend bereits dazu gebracht meine Aktion zu bereuen. Sie war zwar total verständnisvoll und hat mir den Rücken gestärkt. Trotzdem hat sie mir auch ins Gewissen geredet, dass wir uns vertragen und einen Kompromiss finden müssen. Also habe ich meine Sturheit versucht auszuschalten als wir uns ausgesprochen haben. „Es tut mir wirklich leid Leon. Ich hätte das nicht sagen dürfen und ich hätte schon gar nicht einfach gehen dürfen. Aber ich war gestern sehr verletzt, darüber was du gesagt hast."  ,habe ich mich entschuldigt. Leon hat ebenso bedröppelt geschaut: „Mir tut es auch leid. Das was mehr als scheiße von mir. Ich wollte dir das nicht so vorwerfen mit Lina. Du, wir sind nicht wie unsere Freunde sondern wir sind wir. Wir finden eine Lösung, die für uns passt, okay?" Unter Tränen habe ich schließlich genickt und mich in seine Arme ziehen lassen. Ich war in diesem Moment so froh, dass er mir verziehen hat.  Ich weiß, dass mein Verhalten nicht ganz erwachsen war. An unserer Streitkultur müssen wir einfach noch ein bisschen arbeiten. Den anschließenden Vorschlag habe ich sofort abgenickt, auch wenn es für mich ein wirklich harter Kompromiss ist. Ich werde für mindestens ein Jahr in Elternzeit gehen bis der Wurm größer ist und in eine Kita kann. Erst dann werde ich schauen, ob ich wieder in meinen Job einsteigen kann. Meine Karriere ist damit erstmal auf Eis gelegt. So kann ich mich auf die Familie konzentrieren.

Ich fahre sanft über meinen doch bereits ordentlich gewachsenen Babybauch. Die kleine Kugel nimmt immer mehr Form an und so langsam kann man es mir wirklich gut ansehen. Da ich nach wie vor viel Sport mache, ist es zwar noch eine eher kleine Wölbung, doch meine Gynäkologin ist sehr zufrieden mit dem Entwicklungsstand unseres Babys. Auch die Übelkeit, mit der ich zwischenzeitlich zu kämpfen hatte, ist wieder ein wenig abgeklungen. Anne hat mich umgehend zu meiner Ärztin geschickt, als ich ihr davon berichtet habe. Dort habe ich ein paar Vitamine bekommen, die mich wieder in die Spur gebracht haben. Einige Mütter haben wohl entgegen der typischen Denkweise solche Symptome erst mit fortschreitender Schwangerschaft. Daher hat sie mich beruhigen können, dass alles in Ordnung ist, wenn ich den emotionalen Stress reduziere. Ich achte seitdem auch besser darauf. Mit Paula und Anne gehe ich einmal wöchentlich zum Yoga, um neben dem TRX-Training auch etwas für den Geist zu machen. Alles in allem ist also das große Ganze momentan perfekt.

Dennoch fühlt es sich in mir alles andere als perfekt an. Schon seit einiger Zeit verspüre ich, wie schon zu Beginn der Schwangerschaft, eine große Müdigkeit. Ständig bin ich erschöpft und habe wenig Energie. Ich will meistens einfach nur auf der Couch liegen und schlafen. Auch auf Freunde treffen, rausgehen und etwas unternehmen habe ich wenig Lust. Wenn ich aus dem Büro komme, dann brauche ich nichts mehr. Ich möchte dann einfach etwas zur Ruhe kommen. Das Büro ist auch so ein Thema, das meine Laune nicht gerade hebt. Seit klar ist, dass die Junior-Partnerschaft unbesetzt bleibt, lecken sich alle jungen Kollegen die Finger nach der Stelle. Jeder möchte sich in die beste Ausgangsposition bringen. Mich stresst das ein wenig zu sehen, was ich hätte haben können. Viel schlimmer fühlt es sich  allerdings an, dass jeder Tag ein kleiner Abschied ist. Noch ist es zwar eine ganze Zeit hin bis zum Mutterschutz, aber jedes Mal ist es einmal weniger, wo ich zur Kanzlei fahre. Das macht mich aktuell ziemlich traurig. Ich kann mir einfach noch gar nicht vorstellen, was ich machen soll ohne die Arbeit, meine Kollegen, das Gericht, die Mandanten und so weiter. Natürlich freue ich mich auch irgendwo auf das, was hier kommt. Auf diese Zeit als Mama, mit dem Wurm. Ich weiß, dass neue super schöne und ebenso anspruchsvolle Aufgaben auf mich warten. Und doch kann ich es nicht verhindern, dass ich jeden Tag beim Verlassen der Kanzlei diese Wehmut verspüre.

tuto accade per una ragione // Leon GoretzkaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt