23.

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Also tauchte ich wieder hinunter in die kalte Nässe, dem sinkenden Auto hinterher. Die Fahrertür war noch immer geschlossen. Irgendetwas hielt Damian auf.

Die Tür jedenfalls war es nicht, die öffnete sich nämlich sofort, als ich die Limousine erreichte. Damian wandte den Kopf zu mir, als er mich bemerkte. Immerhin war er dafür noch genug bei Kräften, aber jetzt konnte ich auch erkennen, was ihn aufhielt: Seine rechte Körperhälfte war zwischen Airbag und Sitz eingeklemmt und er konnte offenbar nicht die Kraft aufbringen, sich selbst zu befreien. Irgendwo dort kam auch das Blut her, das als dunkler Schleier im Wasser waberte.

Ich glaubte, Angst in den eisblauen Augen aufflackern zu sehen.

Mühsam drückte ich den Airbag zur Seite. Damian verzog das Gesicht zu einer Grimasse, konnte sich aber noch nicht befreien.

Mittlerweile lastete der Wasserdruck auf meiner Brust. Mir ging die Luft aus.

Und Damian saß fest, während das Auto uns immer weiter nach unten zog.

Der See war zwar nicht übermäßig tief und die Limousine würde bald auf dem Grund aufkommen, aber wenn ich Damian nicht befreien konnte, hätten wir uns ebenso gut im Marianengraben befinden können.

Mein Blick verschwamm, Druck legte sich auf meine Brust. Ich musste auftauchen.

Ein weiteres Mal zog ich an Damian Arm und wieder war es vergeblich. Ich wandte mich ab und gelangte mit einigen schnellen Schwimmzügen zur Wasseroberfläche. Dort schnappte ich nach Luft und tauchte wieder unter.

Diesmal kam mir der Weg länger vor, der Wasserdruck brachte meine Ohren zum Schmerzen.

Damian kam wieder in mein Blickfeld. Mittlerweile zeigte sich deutliche Verzweiflung in seinem Blick.

Als ich zu ihm schwamm, hörte er mit seinen schwachen Befreiungsversuchen auf und blickte mich an.

Ich fuhr mit den Händen zu den Knöpfen, die das Sakko zusammenhielten, doch als ich sie lösen wollte, musste ich mit Schrecken feststellen, dass meine Finger durch das kalte Wasser steifgefroren waren.

Mein Blick suchte Damians. In dem eiskalten Blau lag ein Funken Panik. Auch er wusste, dass er hier ohne meine Hilfe nicht mehr hinauskam.

Ich gab nicht auf. Ich musste nur mehr Zeit bekommen. Irgendwie.

Und da traf es mich. Ich nahm sein Gesicht in die Hände, versuchte, in dem eisigen Blau seiner Augen die Zuversicht zu finden, die mir fehlte, doch sein Blick ermattete langsam.

Keine Zeit verlieren.

Das war der letzte Gedanke, ehe ich meinen Mund auf Damians presste. Alles, was ich an lebensspendender Luft noch in mir hatte, gab ich an ihn weiter.

Seine Lippen waren kalt und dennoch wurde in mir ein Feuerwerk aus Emotionen ausgelöst, das in dieser Situation völlig unangemessen war. Gedanken daran, dass er es falsch verstehen könnte, dass er mich danach damit aufziehen würde und dass ich ihm in Zukunft nie wieder in die Augen sehen könnte, fluteten meinen Kopf.

Aber zumindest gäbe es eine Zukunft.

Ich löste mich von ihm – es war schließlich kein Kuss, nur ein Mund-zu-Mund-Beatmen. Kein Kuss. Seltsamerweise hatten meine Wangen trotz der Kälte angefangen zu brennen.

Ich stieß mich vom Boden ab und schoss zum wiederholten Male an die Wasseroberfläche. Einen Atemzug. Zwei. Dann tauchte ich zurück nach unten.

Damian ignorierte ich und widmete mich seinem Sakko. Ohne lange darüber nachzudenken – und vor allem, weil ich Damian nicht noch einmal beatmen wollte – riss ich die Jacke auf und schob sie ihm von den Schultern. Neues Blut verteilte sich im Wasser.

Ich packte Damian am Arm und zog ihn hinter mir her. Bloß raus aus dem Auto und aus dem Wasser. Hoffen, dass Mark nicht mit geladener Waffe am Seeufer auf uns warten würde.

Es war ein Segen, als wir endlich die Wasseroberfläche durchbrachen. Gierig sog ich die kalte Nachtluft ein. Damian hing schwer in meinen Armen.

Doch auch bei mir hinterließ die Kälte ihre Spuren. Meine Glieder wurden schwer, Erschöpfung verlangsamte meine Bewegungen. Das Seeufer schien unendlich weit entfernt zu sein.

Irgendwann trafen meine Füße auf Kies und Sand. Je näher ich dem Ufer kam, desto schwerer wurde Damian, bis auch er sich auf seine Füße stellte. Seine Schritte waren wackelig, und ich stützte ihn weiter.

Dann hatten wir auch das seichte Wasser des Sees hinter uns gelassen. Ohne, dass ich bemerkte, wie es geschah, fand ich mich auf allen Vieren im Sand zwischen einigen Pflanzen wieder.

Damian folgte reichlich unelegant. Sein Sakko gab den Blick frei auf das tiefe Rot, in dem Damians Hemd gefärbt war, an der Seite, irgendwo unterhalb der Rippen.

Zu leicht wäre es, hier einfach liegen zu bleiben und sich von dem Schlaf überkommen zu lassen. Aber so sollte es nicht zu Ende gehen.

Ich stemmte die Hände in den Boden, versuchte, mich aufzurichten. Ich musste Damian helfen. Irgendwie den Blutfluss stillen. Die Kraft verließ mich und ich landete im Sand.

In meinem Kopf drehten sich die Gedanken, zu verschwommen, um einen einzelnen klar erkennen zu können. Meine Lungen brannten, als hätte ich Säure geschluckt. Das nasse Kleid schien sich eiskalt in meine Haut zu fressen.

War Damian noch bei Bewusstsein?

Mein Blick schweifte zu ihm. Die dunklen Locken hingen ihm ins Gesicht. Die Augen waren geschlossen, die Miene angespannt.

Ich legte eine Hand auf die Verletzung an seiner Seite. Zu mehr war ich nicht in der Lage.

Damians eisblaue Augen richteten sich auf mich, als hätte die Berührung ihm einen Lebenshauch gegeben. Seine Lippen bewegten sich, doch was ich hören konnte, war nicht mehr als der Hauch eines Wisperns.

»Danke.«

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Er bedankte sich? Der große Mafiaboss, der sich von niemandem etwas sagen ließ und ständig so kalt und unnahbar wirkte, bedankte sich?

Ein erschöpftes Lächeln legte sich auf meine Lippen. »Dafür musst du mir irgendwann mal einen Kaffee ausgeben.«

Ob er meine Worte überhaupt hörte, wusste ich nicht, denn Damian sagte nichts mehr, seine Lider schlossen sich und der angespannte Zug verschwand weitestgehend aus seinem Gesicht.

Dunkelheit hüllte mich gegen meinen Willen ein. Aber ich wollte doch gar nicht schlafen. Damian blutete immer noch, ich musste weitermachen. Ich konnte nicht so einfach aufgeben.

Der Schlaf streckte unbarmherzig seine Finger nach mir aus und mir gelang es nicht, ihn abzuschütteln. Irgendwann gab ich auf und gestattete mir, in die Dunkelheit zu gleiten.

The Mafia King and the Ice QueenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt