Kurz sog ich die Luft ein und ließ sie erst wieder entweichen, als ich sah, dass der Rattenmann etwas unter dem Mantel trug. Bei solchen Irren konnte man nie ganz sicher sein.
»Was möchtest du haben?«, fragte er. »Für dich habe ich alles.«
»Alles?«, flüsterte ich. »Ich brauche ... alles.«
»Hier würde ich nichts kaufen«, unterbrach eine neue Stimme den Handel. Zum zweiten Mal war ich gezwungen, mich einem unerwarteten Neuankömmling zuzuwenden. Wieder ein Mann, aber dieser war deutlich gepflegter – wobei der Rattenmann die Messlatte auch sehr niedrig hielt.
»Schlechte Wahre«, sagte der Fremde. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig. Die blonden Haare waren ordentlich zurückgekämmt und er trug einen Anzug, der zeigte, dass der Mann definitiv nicht bei Nacht in diese Gegend gehörte.
»Alles gestreckt«, fuhr er fort, »oder es lag so lange im Keller, bis es angefangen hat zu schimmeln.«
Gefunden, dachte ich. Ich hatte ihn nicht so früh erwartet und mich auf drei verschiedene Verkleidungen und Persona eingestellt.
Ich legte mein bestes Goldfischstarren auf. »Wirklich?«
»Ich kann es dir zeigen, wenn du möchtest.«
Ein Hauch von Verachtung stieg in mir auf. Ich konnte noch so sehr nach Drogenabhängiger aussehen, der Typ sah nur ein Naivchen in mir, dem er zeigen konnte, dass die Welt böse war und dass nur seine ›starken‹ Arme Sicherheit versprachen. Für den Moment aber musste ich die Rolle weiterspielen.
Ich ersparte mir einen letzten Blick auf den Rattenmann und folgte dem anderen Typen, der zumindest angenehmer fürs Auge war.
»Ich bin Mark«, stellte er sich vor.
Ich blickte ihn von der Seite an. Nannte er mir gerade seinen richtigen Namen?
»Linda«, nannte ich ihm Decknamen 57. Man sollte immer ausreichend Fake-Namen im Ärmel haben.
»Ein schöner Name. ›Linda‹ heißt ›schön‹ auf Spanisch, wusstest du das?«
Wollte er jetzt Smalltalk halten oder was? »Kannst du mir was verkaufen?«, wisperte ich.
»Mehr als das«, sagte Mark. »Die Jungs sind für dich da.«
Da war der Name, der Elektrizitätsstöße durch meine Adern schickte. »Die Jungs?«, hauchte ich. Vielleicht hätte ich zuvor eine Schachtel Zigaretten rauchen sollen, um meiner Stimme eine gewisse Rauheit zu verleihen.
Mark nickte. »Hast du etwa noch nie von uns gehört?«
»Nein.« Ich setzte meinen besten Ich-bin-ein-naives-Dummchen-Blick auf, der angesichts meiner aktuellen Aufmachung wahrscheinlich nicht so gut wirkte wie normalerweise.
»Es gibt nur eine Sache, die du über uns wissen musst«, sagte Mark. »Es gibt neue Jäger auf den Straßen Detroits. Denkst du nicht auch, dass sich hier langsam mal etwas ändern sollte? Zu lange schon halten schlechte Menschen die Stadt in meiner Hand, aber jetzt sind die Jungs da, Liebes.«
Ich widerstand dem Drang, eine Augenbraue hochzuziehen. Mark wollte sich also mit den ganz hohen Tieren anlegen.
Melissas Stimme ertönte aus dem Knopf in meinem Ohr. »Wehe, der Typ redet dich jetzt noch mit meinem Spitznamen für dich an. Worauf wartest du eigentlich noch, Süße? Erfüll deinen Auftrag und dann kannst du in aller Ruhe aus diesem Drecksloch hier wieder verschwinden.«
Ich zögerte. Wenn diese ›Jungs‹ die nächsten Herrscher der Stadt werden und sich mit der Mafia anlegen wollten, dann konnte ich doch nicht meine einzige Anknüpfung zu der Gang umbringen. Also blieb ich in meiner Rolle.
»Ich sehe«, sagte Melissa, »du kannst mir gerade nicht antworten, also hast du den Typen noch nicht verprügelt. Sei aber wenigstens vorsichtig.«
Vorsicht ist mein zweiter Vorname.
Wir ließen die Straßen hinter uns. Weniger und weniger Laternen erhellten die Nacht und die Wände ragten düsterer neben uns empor.
»Du brauchst dich nicht zu fürchten«, sagte Mark. »Ich bin hier und wir sind gleich da. Und wenn du etwas Wärme brauchst ...« Den Rest des Satzes ließ er in der Luft hängen.
»Danke, mit ist nicht kalt«, wisperte ich.
Wir kamen vor einem Block an. Nicht ganz so heruntergekommen wie der, in dem ich lebte, aber auch weit von luxuriös entfernt.
»Tritt ein in meine bescheidene Stube, Süße«, sagte Mark.
Ich hielt einen Würgereiz zurück. Das hätte mich definitiv verraten.
In der Wohnung warteten bereits drei andere auf uns – Männer in Marks Alter. Meine Muskeln spannten sich an. Vielleicht hätte ich doch auf Melissa hören und den Auftrag bereits auf der Straße beenden sollen. Dort hätte ich nur das Blut von einem an den Händen, hier wären es gleich mehrere. Und sie wirkten nicht so, als hätte ich leichtes Spiel mit ihnen.
»Schon wieder eine von denen?«, ergriff einer der Männer das Wort, ohne Mark auch nur zu begrüßen. »Wie du daran nur Freude haben kannst. Sie ist doch halb tot, du brauchst sie dir nur einmal anzusehen.«
Leichtes Spiel hin oder her, mein halbherziges Mitleid mit den Typen schmolz gerade dahin.
»Das ist Linda«, sagte Mark ungerührt. »Sie braucht etwas Kleines für einen schönen Abend.«
»Na, da ist sie bei dir ja an der richtigen Adresse«, sagte einer der Männer trocken und wurde von dreckigem Grölen für die Doppeldeutigkeit belohnt.
»Setz sie nur später vor die Tür«, sagte ein anderer. »Ich will nicht schon wieder eine Drogenleiche hier herumliegen haben.«
»Ich versteh schon«, zischte Mark, dann zog er mich in einen kleinen Nebenraum. War wahrscheinlich auch besser so, denn ich wusste nicht, wie lange ich es noch ausgehalten hätte, ohne einem der Typen meine Faust ins Gesicht zu rammen.
Der Raum, in den Mark mich gebracht hatte, hatte wahrscheinlich mal als Büro gedient. Aktenschränke nahmen den größten Teil des Platzes ein. Nur waren sie nicht mehr mit Akten gefüllt, wie deutlich wurde, als Mark sie mit großer Geste öffnete. Bunte Pillen, eindeutiges weißes Pulver und Bruchstücke von etwas, das wie milchiges Glas aussah, waren fein säuberlich in die Regale eingeordnet worden.
»Was brauchst du?«, fragte Mark und bedachte mich mit einem herablassenden Lächeln. »Alles hat beste Qualität und du bekommst es zu einem guten Preis.«
Ich nickte und versuchte zu überschlagen, wie viel Geld hier in Pillenform herumlag. Viel, war allerdings mein einziger Schluss. Mark arbeitete nicht allein. Ein kleiner Auftrag, hatte Melissa gesagt. Ha ha. Das hier war ein Wespennest und ich sollte mir wahrscheinlich gut überlegen, ob ich hineinstechen wollte.
»Du hast doch Geld, oder?«, fragte Mark. Er interpretierte mein Schweigen offensichtlich anders. »Falls nämlich nicht ...« Er trat einen Schritt auf mich zu. »Dann kannst du auch anderweitig bezahlen.«
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The Mafia King and the Ice Queen
RomanceEs ist nicht leicht, als Auftragskillerin das zu bekommen, was man will. Als Laura für einen Auftrag von der Mafia um ihren Lohn betrogen wird, sieht sie nur einen Ausweg: den Mafiaboss entführen und sich ihre Belohnung erpressen. Doch der Mafioso D...