Nur einige Stunden später stieg Mallory in der Nähe von Stonemoor aus einem schicken Auto. Mit einem knappen Nicken verabschiedete er sich von seinem Chauffeur. "Warten Sie in der Nähe", wies er ihn an, bevor er sich schnellen Schrittes dem imposanten Gebäude näherte.
Bei dessen Anblick überkamen Mallory unwillkürlich zahllose Erinnerungen. Seine Zeit in Stonemoor war nicht unbedingt schön gewesen und um ehrlich zu sein, hatte er all das gehasst. Damals. Als er noch jung und dumm gewesen war. Heute verstand er, warum es nötig gewesen war, so lange dort eingesperrt zu sein und die grauenhaften Experimente über sich ergehen zu lassen.
Gedankenverloren sah Mallory hoch zu einem kleinen Fenster im dritten Stock. Er wusste genau, was für ein Zimmer sich dahinter befand. Oh, wie er diesen Raum gehasst hatte...
"Guten Morgen, Mallory", begrüßte mich Doktor Calloway. "Hörst du mich?", fragte sie dann. "Ja", antwortete ich knapp. "Kannst du Hände und Füße bewegen?" Ich konnte nicht anders, als mich kurz gegen die Fesseln zu wehren, obwohl ich wusste, dass es nur eine Vorsichtsmaßnahme war, damit ich niemanden gefährdete. Damit das Böse nicht aus mir herausbrechen konnte.
"Nein", beantwortete ich Doktor Calloways Frage. "Hast du die Maske auf?" "Ja." Das störte mich am meisten. Ich hasste es, wenn ich nichts sehen konnte. "Kannst du etwas sehen?" "Nein." Ich fragte mich jedes Mal, warum sie mir diese Frage stellte, wo sie doch wusste, dass ich die Maske aufhatte.
"Erinnerst du dich noch an den Tisch vor dir?" "Ja", sagte ich. Ich beantwortete ihre Fragen meistens so kurz wie möglich. Ich war mir nicht sicher, warum ich das tat. Vielleicht lag es daran, dass ich wollte, dass sie endlich mit dem Experiment anfing. Ich wollte ihr zeigen, was ich konnte, wollte sie stolz machen. "Was stand darauf?", fragte Doktor Calloway mich nun. "Eine grüne Flasche. Eine Blume in einem Wasserglas. Zwei Kerzen, beide angezündet. Eine Schüssel Reis. Eine Schale mit Steinen. Ein Käfig mit einer Maus."
"Sehr gut", lobte mich Doktor Calloway. "Geht es dir gut, Mallory?" Nein. "Ja", antwortete ich. "Bist du über irgendetwas verängstigt oder beunruhigt?" Da gäbe es so Einiges. "Nein", sagte ich. "Beschäftigt dich etwas? An was denkst du gerade?" "An nichts", sagte ich, was ebenfalls eine Lüge war. Aber ich wusste, wenn ich die Wahrheit sagte, würde sie mir nur noch mehr wehtun. Eigentlich verabscheute ich Doktor Calloway. Aber ich klammerte mich an sie, weil es sonst niemanden gab, der zu mir hielt.
Nun wies sie mich an, mir einen der Gegenstände auszusuchen. Ich wählte die Blume. Ich wählte sie immer. Und wenn sie nicht da war, wählte ich das Glas mit Wasser.
"Hast du deine Wahl getroffen?" "Ja", sagte ich und spürte, wie mein Herz schneller schlug. Jetzt ging es los. Gleich würde sie mir wehtun. Ich hatte Angst. Angst vor den Schmerzen. Angst, dass ich es nicht schaffte. Angst vor Doktor Calloway.
Ich wusste, dass das alles hier nötig war. Weil ich anders war. Ein Monster.
Ich schüttelte leicht den Kopf und konzentrierte mich auf die Blume, eine schwarze Rose. Ich versuchte, sie im Geiste anzuheben, sie zum Schweben zu bringen...Doch schon bald spürte ich das nur allzu vertraute Kribbeln an den Schläfen. "Bitte nicht", wisperte ich, während das Bild der schwebenden Rose vor meinen Augen verblasste. Ehe ich mich wieder darauf konzentrieren konnte, kam der Stromstoß. Erst lähmte er mich, dann begann ich, am ganzen Körper zu zittern. Ich spürte nicht mehr, wie Doktor Calloway mir die Maske abnahm. Erst als sie mir auf beide Wangen schlug und mir ein Glas Wasser an die Lippen hielt, kam ich wieder zu mir.
Noch bevor sie mir die Gedankenfesseln wieder anlegen konnte, sah ich das schwarze Blütenblatt auf dem Boden. Ich lächelte.
Mallory riss sich mit einem heftigen Kopfschütteln selbst aus seinen Gedanken. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über die Vergangenheit nachzudenken. Scarlett und Albert waren hier. Entschlossen klopfte Mallory an das große Eingangsportal ohne Fenster, das wie üblich verschlossen war.
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Scarlett & Browne Bd. 3 - Die Gejagten [FF]
FanfictionWird es Scarlett & Albert gelingen, Scarletts verschollenen Bruder Thomas zu finden? Was ist mit Stonemoor? Und wer hat die Große Verheerung ausgelöst? Hat Mallory überlebt? Nach dem zweiten Band der Reihe sind noch eine Menge Fragen ungeklärt gebli...