Kapitel 4

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Wincent
Noch während die Sonne am selben Abend untergeht, sind wir mit dem kleinen Bus aus den 1970er Jahren, mit der Fähre auf dem Weg zur Küste des Europäischen Nordmeeres, die etwas Abseits Tromsøs liegt. Viele Inseln umrunden die Stadt. Noch immer fällt Schnee aus dem wolkenlos, bedeckten Himmel. Bitterkalt ist es außerdem. In Decken gehüllt, beobachten wir auf der Fähre, wie Lyfjord immer näher an uns heran kommt. Ich stehe hinter Smilla, habe eine Arm um sie gelegt, als wir anlegen.
Der Bus rollt aus der Fähre. Wir fahren noch ein weites Stück, bis wir schließlich vor einem Waldstück zum stehen kommen. Überall um uns herum stehen verschneite Birken und Eschen. Irgendwo höre ich ein Rascheln. Möglicherweise ein Elch, der gerade nach Essen sucht. Ich Klappe die Rückklappe des Buses auf und lehne mich in die Kissen. „Hier lässt es sich aushalten" sage ich und beobachte, wie in weiter Ferne tatsächlich ein Elch an Nahrung versucht heranzukommen. „Auf ein letztes Abendteuer..ich hoffe jedoch, das es nicht unser letztes sein wird", sagt Smilla und legt sich neben mich in die Kissen, am hinteren Heck des Buses. „Nein. Unser letztes wird die Reise in Himmel. Das hier ist unser erstes. Eines von vielen." Ich sehe noch eine Weile dem Elch zu und genieße die Abendliche Luft und das kühle Wetter. „Was hast du Lust morgen zu unternehmen?" weckt mich Smilla aus meinem Tagtraum. „Hm?". „Was beschäftigt dich?" fragt sie mich und legt ihre kalte Hand auf meine. Wärme durchströmt meinen Körper, trotz der anhaltenden niedrigen Temperaturen und dem fallenden Schnee aus dem Himmel. „Alles." antworte ich, ohne den Blick der endlosen Weite zu lösen. „Wie mache ich ohne dich Musik in Deutschland?" erzähle ich einfach. „Wann sehen wir uns wieder? Wo bist du wenn ich in Deutschland bin?", brodelt es aus meinen Gedanken heraus. „Wo ich bin?" fragt Smilla. Sie sieht mir in die Augen. Legt ihre Hand auf die linke Seite meiner Jacke. „Hier drin." sagt sie und zeigt in die Richtung des Herzes. „Hier drin bin ich, immer wenn du mich brauchst. Und wenn es gar nicht mehr funktioniert, steige ich ein Flugzeug und komme zu dir. Dann helfe ich dir die passende Zeile zu schreiben okay?". Mir rinnt eine Träne über die Wange, starre weiterhin in die Ferne und nicke. Weitere Lieder werden anders. Sie werden mir Nachtschichten bereiten, denn ich habe das Gefühl, ohne Smilla brauche ich dreimal so lange eine Zeile zu schreiben. Liebe und eine Anziehung spüre ich gegenüber Smilla nicht, dennoch ist an ihr etwas, was ich nicht gehen lassen kann. Etwas, was mich in ein tiefes, weites Loch befördert, wenn sie nicht mehr da ist. „Entschuldige." sage ich und wische mir die Tränen mit meiner Jacke von der Wange. „Tränen zeigen Stärke wusstest du das ? Das zeigt was für ein starker Mensch du bist. Sie mögen negative Sachen zeigen, doch Stärke überwiegt." sagt Smilla. „Komm mich bitte auf Tour besuchen. Ich möchte dir meine eigentliche Welt zeigen okay? Es kommen nicht viele Leute, aber mit dir ist mir egal wie viele da stehen. Ich möchte dir ‚wenn mir die Worte fehlen', mit meiner Gitarre, auf der großen Bühne zeigen.". Ein Lächeln. Ein ehrliches Lächeln zeigt sich auf ihrem perfektem Gesicht. Sie nickt und nimmt mich in den Arm. Wärme. Nichts als Wärme. Wir lehnen uns in die Kissen. Sie holt ihr Handy hervor. „Wir schauen jetzt noch einen Film. Jetzt tauchen wir in meine Welt hinab. Jetzt kann ich dir zeigen, was ich ohne dich mache. Heute mit dir zusammen.". Die Dunkelheit ist schon längst eingetroffen. Lichterketten erhellen den Bus in einem angenehmen kleinen Licht. In Kissen und Decken gekuschelt, sehen wir dem Film zu, der über das Handydisplay flackert. Und draußen Polarlichter, soweit das Auge reicht.

Wenn die Wellen toben / wincent weiss ff Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt