17 | Standbar

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Ihr Süßen, ich hab gesehen, es haben viele Kommentare zu den Kapiteln geschrieben. Versuche, die zeitnah zu beantworten :D Hier geht es erstmal weiter mit dem neuen Kapitel. Viel Spaß.

Nur ein paar Tage später fand ich mich tatsächlich auf der Reeperbahn wieder und schaute mich suchend nach der Bar um, von der die hübsche Bedienung gesprochen hatte. Obwohl es noch nicht dunkel war, strömten unzählige Menschen jeden Alters über die sündige Meile, drängten sich an den zahlreichen Läden vorbei, die von Tabledance-Bars über Diskotheken bis hin zu käuflichem Sex alles zu bieten hatten. Als ich den bunten Schriftzug über dem Eingang des Lokals entdeckte, straffte ich meine Schultern und schlängelte mich durch die vielen Kiezbesucher.

Eine gesunde Nervosität setzte mich unter Strom, als ich zielstrebig einen Fuß vor den anderen setzte. In den letzten Wochen hatte ich einige Vorstellungsgespräche für seriöse Bürotätigkeiten geführt, für die ich mich in schicken Outfits regelrecht verkleidet hatte. Für einen Job auf dem Kiez war das zum Glück nicht nötig. Dennoch fühlte ich mich in meinem schlichtweißen Shirt und dem wadenlangen Sommerrock beinah overdressed, als ich die Tür der Strandbar erreichte. Ich atmete tief durch, dann setzte ich ein selbstbewusstes Lächeln auf und betrat das von außen wenig einladende Etablissement, das so ziemlich nichts mit seinem Namen gemein hatte.

Es fühlte sich an wie eine Zeitreise, die mich ein paar Jahrzehnte zurückkatapultierte. Ich fand mich in einer schummrigen Bar wieder, die nach kaltem Qualm und dem Suff langer Partynächte roch. Das Ambiente war runtergerockt, die weinrote Farbe an Wänden und Decke war mindestens genauso lange nicht renoviert worden, wie das Mobiliar schon in dem riesigen Raum stand. An den Rändern um die riesige Tanzfläche waren massive Echtholztische mit vermackten Hockern arrangiert, die wohl einige Geschichten von heißen Küssen, hitzigen Auseinandersetzungen und der einen oder anderen handfesten Kneipenschlägerei zu erzählen gehabt hätten.

Von den Decken hingen uralte Lampen mit Messingfassungen und Lampenschirmen aus vergilbtem Glas, die in besserem Zustand auch aus dem Wohnzimmer meiner Großeltern hätten sein können. Die Kneipe konnte wohlwollend als rustikal beschrieben werden, vielleicht sogar etwas abfällig als heruntergekommen, doch sie bot mir den Kontrast zu meinem vorherigen Job im Büro, den ich gesucht hatte: ein ehrliches, bodenständiges Umfeld, indem ich hoffentlich meinen Lebensunterhalt verdienen konnte, ohne ständig mit meiner neurotischen Chefin und ihren unerträglichen Stimmungsschwankungen dealen zu müssen.

Hinter dem langen Tresen, an dem bereits einige Gäste saßen, die durchmischter nicht hätten sein können, stand ein junger Mann mit blonden Haaren, der ein Bier zapfte. Er trug einen grauen Hoodie, unter dem an Armen und Hals bunte Tattoos hervorblitzten. Als er mich bemerkte, drehte er mir den Kopf zu. Er musterte mich aufmerksam, während sich ein charmantes Lächeln auf sein kantig-markantes Gesicht schlich, von dem ich mir sicher war, dass er damit schon unzählige Frauen um den Finger gewickelt hatte.

„Was kann ich dir bringen, Hübsche?", fragte er und machte hinter dem Tresen ein paar Schritte auf mich zu. Ich legte meine Unterarme auf der Theke ab und sah ihm geradewegs in die Augen.

„Ich bin auf der Suche nach Bodo. Du kannst mir nicht zufällig sagen, wo ich ihn finden kann?"

Er strich sich über den Ankerbart.

„Bist du Louisa?", wollte er wissen. Ich nickte.

„Genau."

„Bodo ist gerade nicht da. Der muss noch was im Großhandel regeln. Deshalb bespreche ich alles mit dir", sagte er und deutete auf den freien Hocker neben mir. „Setz dich. Willst du was trinken?", fragte er und schenkte mir ein weiteres Lächeln, das das Potenzial hatte, den Frauen reihenweise den Atem zu rauben.

„Ne Cola", antwortete ich, während ich auf den knarzenden Hocker fiel. Mit zwei Handgriffen zog er ein Glas aus der Vitrine hinter sich, kippte etwas davon hinein und schob mir mein Getränk rüber.

„Ich bin übrigens Viktor.", stellte er sich mir vor und hielt mir seine tätowierte Hand hin.

„Freut mich", sagte ich, als ich sie schüttelte.

„Erzähl mal... Wie kommt'n Mädchen wie du auf ne Kneipe aufm Kiez?", wollte er wissen, runzelte die Stirn und sah mir aufmerksam ins Gesicht.

„Ich bin gerade auf der Suche nach einem neuen Job in den Abendstunden. Als ich neulich mit einer Freundin was trinken war und mit ihr darüber geredet habe, hat mich eine Kellnerin hier um die Ecke angesprochen und erzählt, dass ihr jemanden sucht", erzählte ich. Er legte neugierig den Kopf schief.

„Nachtmensch? Oder warum willst du dann arbeiten, wenn andere schlafen?", bohrte er weiter.

„Meine Oma hat noch ein kleines Café, dort helfe ich tagsüber aus", antwortete ich.

„Verstehe. Wäre also dein Zweitjob", schlussfolgerte er.

„Genau", nickte ich und nippte an meiner Cola.

„Ich nehme an, dann verstehst du was vom Getränke zapfen", mutmaßte er und sah mir erwartungsvoll ins Gesicht.

„Ja. Aber ich arbeite nicht nur im Service, sondern mache auch das Büro. Einkauf, Rechnungen, all sowas", ergänzte ich.

„Klingt gut. Aber das hier ist kein niedliches Straßencafé. Wir sind nicht nur Anlaufstelle für partywütige Touristen, sondern auch für Gestrandete, Obdachlose oder Prostituierte. Kommst du damit klar?"

„Überhaupt kein Problem", versicherte ich ihm.

„Hier herrscht oft ein rauer Ton. Das solltest du wissen. Und es ist häufig sehr stressig. Uns ist wichtig, dass du alles im Blick hast, dich nicht aus der Ruhe bringen lässt und trotzdem noch ein Lächeln für die Gäste übrighast. Und du musst auch anpacken könnten. Kannst du das?", fragte er und musterte mich prüfend.

„Ja. Klar", antwortete ich überzeugt.

„Okay. Montags und dienstags haben wir zu, sonst haben wir jeden Tag von 16:00 bis 04:00 Uhr auf. Wir bezahlen 12 € die Stunde plus Trinkgeld. Passt das für dich?"

Auch, wenn es nicht die Welt war, lächelte ich. An den Wochenenden konnte ich hier relativ reibungslos ein paar hundert Euro verdienen.

„Ja, ist in Ordnung", stimmte ich zu.

„Perfekt. Dann kannst du dich direkt mal nützlich machen."

„Was? Jetzt?", fragte ich überrascht. Viktor grinste schief.

„Ja, sicher. Oder hast du heute Abend noch was vor?"

Eigentlich hatte ich mir erst einmal alles anschauen und mir in Ruhe Gedanken machen wollen, doch jetzt, wo Viktor mich dermaßen spontan überfiel, gelang es mir nicht, abzulehnen. Ich schaute ihm direkt in die Augen, versuchte in ihnen zu lesen, ob er wohlmöglich gerade meine Flexibilität testete, um herauszufinden, ob ich die Richtige für den Job war. Es konnte nicht schaden, mich darauf einzulassen, nicht zuletzt, weil der Sprung ins kalte Wasser mich davon abhielt, alles zu zerdenken, sondern mir ermöglichte, im Tagesgeschäft auszuprobieren, ob der Job hier etwas für ich war. Absagen konnte ich im Notfall danach immer noch. Und so rutschte ich kurzerhand mit einem Lächeln auf den Lippen vom Hocker.

„Nee. Also, was soll ich tun?"

Also ich weiß nicht, ob das der richtige Job für Lou ist. Was meint ihr? Wie wird sie sich dort schlagen? Oder wäre Blumen verkaufen vielleicht doch die bessere Alternative? :D

Anger Management | Marten | 187Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt