Wie erwartet ist er tatsächlich richtig begeistert von ihrer Idee. Seid ihr auf seiner Seite oder findet ihr, er übertreibt maßlos?
„Auf gar keinen Fall arbeitest du da."
Im ersten Moment glaubte ich, mich verhört zu haben, doch Marten durchbohrte mich regelrecht mit seinem finsteren Blick.
„Warum bist du so dagegen?", fragte ich verständnislos. „Ich dachte, du willst auch, dass ich wieder einen anderen Job finde."
„Aber doch keinen auf dem Kiez", platzte es verärgert aus ihm heraus. Er schüttelte den Kopf, dann musterte er mich vorwurfsvoll. „Ich dachte, wir haben das neulich besprochen. Das Angebot mit dem Blumenladen steht noch."
„Und dafür bin ich dir auch dankbar, aber jetzt hat sich eben was anderes ergeben – und ich kann da wirklich gutes Geld verdienen", erklärte ich bemüht ruhig, obwohl es in mir bereits zu brodeln begann. Sein Unverständnis machte mich wütend. Wieso konnte er mich nicht einfach unterstützen?
„Kann schon sein, aber ich halte nichts davon, wenn du in irgendeiner heruntergekommenen Kneipe auf dem Kiez arbeitest", stellte er entschieden klar. Ich zog eine Augenbraue hoch und musterte ihn angriffslustig.
„Und wieso nicht?"
„Es hat einen guten Grund, warum ich dieses Kapitel meines Lebens hinter mir gelassen habe. Ich habe keinen Bock, dass ich es nur wegen dir wieder aufschlagen muss", sagte er ernst. Ich schnaubte.
„Niemand zwingt dich, irgendetwas aufzuschlagen", schoss ich zurück. „Und nur, weil du dort schlechte Erfahrungen gemacht und dich in die Scheiße geritten hast, muss das noch lang nicht auch auf mich zutreffen."
„Verstehst du nicht, dass ich nichts mehr mit dem Kiez zu tun haben will?", knurrte er und schnipste die Kippe vom Balkon.
„Und verstehst du nicht, dass dieser Job nichts mit dir zu tun hat?", blaffte ich ihn an. Das Blut in meinen Adern begann zu kochen. Er drückte sich in die metallische Lehne des Stuhls und verschränkte die Arme vor der Brust, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Die Hitze, die sich in mir anstaute, wurde nahezu unerträglich. Meine Finger schmerzten, also ballte ich die Hand zur Faust und löste sie wieder, in der Hoffnung, die innere Anspannung auf diese Weise loszuwerden.
„Ich will nicht, dass du das machst, okay?"
„Was stimmt nicht mit dir?", fragte ich aufgebracht. „Der Job ist ideal für mich. Ich kann da Geld verdienen, kriege noch einen Batzen Trinkgeld obendrauf und kann tagsüber Oma unterstützen."
„Hast du überhaupt eine Ahnung, worauf du dich da einlässt?", fragte er spöttisch. „Das ist nichts für eine Frau wie dich."
Ich stieß einen verächtlichen Laut aus.
„Was?", knurrte er, die Augen zu Schlitzen verengt.
„Die Steinzeit hat angerufen. Sie will ihre Neandertaler-Mentalität zurück", kommentierte ich bissig, dann stand ich auf. Ich hatte das Gefühl, dass es besser war, ein wenig Abstand zwischen uns zu bringen. Seine Ablehnungshaltung verletzte und enttäuschte mich gleichermaßen und ich verspürte den Wunsch, ihm an die Gurgel zu springen.
„Ist es so verkehrt, dass ich mir Sorgen um dich mache?", fuhr er mich finster an, während ich die Teller ineinander stapelte.
„Musst du nicht. Ich komme klar", fauchte ich, dann ließ ich ihn auf dem Balkon allein. Als ich die Teller in die Spüle stellte, atmete ich tief durch. Ich wollte nicht mit ihm streiten, aber er machte es mir mit seiner Ignoranz nicht einfach. Er hatte all diese Sorgen nicht, musste sich keine Gedanken um die Existenz seiner Großeltern machen oder darum, ob sie ohne Weiteres in der Lage waren, ihre Steuerschulden zu bezahlen. Erst, als es hinter mir raschelte, bemerkte ich, dass er mir gefolgt war.
„Ich meine es ernst, Lou. Ich will nicht, dass du das machst", wiederholte er aufgebracht. Ich fuhr wütend zu ihm herum.
„Ich meine es auch ernst – und im Grunde habe ich auch schon zugesagt", stellte ich lautstark klar. Seine Augenpartie wurde noch ein wenig finsterer, wenn das überhaupt noch möglich war.
„Du entscheidest sowas also einfach über meinen Kopf hinweg?", fuhr er mich an und sah düster auf mich herab. Ich verdrehte die Augen.
„Es ist bloß ein Job, okay? Und er bringt mir super viele Vorteile", platzte es genervt aus mir heraus.
„Das musst du mir nicht sagen. Ich hab schließlich mein halbes Leben auf dem Kiez verbracht. Und deshalb kann ich dir auch sagen, dass das ne dumme scheiß Idee ist!", tobte er. Die Erkenntnis, dass er aus purem Egoismus versuchte, über mein Leben zu bestimmen, brachte das Fass zum Überlaufen. Die grenzenlose Wut, die sich zusammen mit einer unerträglichen Hitze in mir angestaut hatte, platzte regelrecht aus mir heraus. Noch bevor ich darüber nachdenken konnte, hatte ich einen der beiden Teller gegriffen und sie auf den Fußboden geschmissen.
„Hör endlich auf, mich bevormunden zu wollen. Ich bin alt genug und kann meine eigenen Entscheidungen treffen!", schrie ich zurück und warf den zweiten Teller gleich hinterher.
„Hast du sie noch alle?!", brüllte er und machte ein paar Schritte auf mich zu. Doch ich war noch lang nicht fertig. Noch immer brodelte es in mir. Als ich nach einem Glas griff, schnellte er zu mir und umschloss meine Hand mit seiner. „Hör auf, Lou. Es reicht!"
Erst jetzt realisierte ich, dass mir heiße Tränen über die Wangen liefen.
„Fuck, man. Was stimmt nicht mit dir?", fuhr er mich an, nahm mir das Glas aus der Hand und knallte es auf die Anrichte zurück. Er sah mich aus großen Augen an, die Nasenflügel aufgebläht, die Brauen finster zusammengezogen und die Kiefer fest aufeinandergepresst. „Ich hab dich gefragt, was mit dir nicht stimmt", wiederholte er seine Frage nachdrücklich. Als ich noch immer nicht antwortete, schüttelte er wutschnaubend den Kopf. Dann sah er sich um. Auch ich starrte wie paralysiert auf die vielen Scherben, die über den Boden meiner gesamten Wohnung verteilt zu sein schienen. Einen Moment stand er bloß neben mir, dann begann er schweigend damit, die Bruchstücke aufzusammeln, die von den Tellern übriggeblieben waren. Seit ich ihn kannte, hatte ihn noch nie eine dermaßen einschüchternde Aura umgeben. Er strahlte eine solche Kälte aus, dass ich zu frösteln begann. Erst jetzt sah ich, dass Blut auf den Boden tropfte. Eine Scherbe musste sein Bein gestreift haben. Die Erkenntnis, dass ich ihn verletzt hatte, ließ mich schlagartig aus einer Art Trance erwachen.
„Es tut mir leid", nuschelte ich, als er den Unterschrank öffnete, um die Scherben in den Mülleimer zu werfen. Er schaute finster auf mich herab.
„Sollte es auch."
„Ich mache das sauber", schlug ich kleinlaut vor und deutete mit einem Kopfnicken aufs Bad, doch er schob meine Hand weg und schüttelte entschieden den Kopf.
„Auf keinen Fall."
Ich schluckte.
„Aber du blutest."
„Nur ein Kratzer", sagte er abweisend, dann drehte er mir den Rücken zu und durchquerte den kleinen Flur in Richtung Wohnungstür. Als ich begriff, dass er gerade dabei war, zu gehen, eilte ich ihm hinterher.
„Warte bitte..."
Ich erschrak, als er noch einmal zu mir herumfuhr. Seine Augen funkelten gefährlich und waren zu zwei Schlitzen verengt.
„Damit du noch dein restliches Geschirr nach mir werfen kannst, oder was?!", fuhr er mich an. Ich schluckte, machte dennoch einen Schritt auf ihn zu und griff nach seiner Hand. Erst, als er seinen Blick auf meine Finger senkte, realisierte ich, dass sie vor Aufregung zitterten.
„Ich wollte das wirklich nicht", beteuerte ich beschämt. Er schnaubte verächtlich.
„Das wäre ja auch noch schöner."
„Bitte geh nicht...", bat ich leise. Einen Moment sah er mich einfach nur ausdruckslos an, schien darüber nachzudenken. Dann ließ er schwer seufzend die Hände sinken und zog mich dabei ein Stück zu sich heran.
„Okay. Ich bleibe. Aber hör mir jetzt genau zu. Wenn du jemals wieder einen Teller oder irgendetwas anderes nach mir wirfst, hast du mich das letzte Mal gesehen. Ich hab das hinter mir gelassen und mach das nicht nochmal mit."
Also ich muss sagen, ich find es ja schon etwas übertrieben, dass sie ihn mit Tellern beworfen hat. Was meint ihr? Vielleicht doch nochmal ne zusätzliche Therapiestunde? Haha. Könnt ihr verstehen, dass sie so ausgeflippt ist? Oder seid ihr eher auf seiner Seite?
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Anger Management | Marten | 187
ChickLit„Setz dich endlich hin, du Spinner!" Als ich der schneidenden Stimme den Kopf zudrehte, hielt ich den Atem an. Ein von Kopf bis Fuß tätowierter lehnte im Türrahmen und schien die Szenerie beobachtet zu haben. Seine blauen Augen fixierten den Hysteri...