1 | Besuch

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Das nervige piepen meines Weckers reißt mich aus dem Schlaf. Stöhnend stelle ich den Alarm aus und genieße noch für ein paar Minuten, diese kuschelige, warme Wolke, die mich umgibt. Niemals würde ich mich freiwillig von meiner Daunendecke trennen. Der Blick auf die Uhr verrät mir, dass es schon 11:30 Uhr ist. Im nächsten Moment klingelt es auch schon an der Tür. Das konnte nur eine Person sein. In Pulli und Jogginghose bekleidet öffne ich die Wohnungstür und wie nicht anders zu erwarten, steht Sedat mit einer Tüte Brötchen vor mir. Kopfschüttelnd trete ich zur Seite und lasse ihn herein. Sedat hatte mir damals geholfen, als ich vor fünf Jahren nach Hamburg kam. Ich hatte nichts, außer den teuren Goldschmuck, den ich verscherbelt hatte, um an Bargeld zu gelangen. Trotzdem stand ich irgendwie mit nichts da, ohne Wohnung und ohne Kleidung zum Wechseln. Damals hatte ich in einem kleinen Café nach Arbeit gefragt, als ich ihn das erste Mal sah. Beim zweiten Mal erwischte er mich, wie ich im Treppenhaus eines Wohnblocks schlief. Zu Anfang war er sehr besorgt, aber auch misstrauisch, trotzdem nahm er mich auf, wie einen Streuner und besorgte mir eine Wohnung und Arbeit in seinem Laden. Ich verdanke ihm wirklich viel.

Dieses Leben hier in Hamburg war ein Neuanfang für mich, ohne jegliche Familie oder Kontakt zu Personen meines ehemaligen Lebens. Ich heiße nicht mehr Isabella Anna-Maria Fratelli, sondern Anna Weber. Zwar stehen Sedat und ich uns sehr nahe und er behandelt mich auch wie seine kleine Schwester, aber dennoch weiß er nichts von meiner eigentlichen Identität. Es ist besser für ihn, desto weniger er weiß. Meine Geschichte damals war einfach:

Ich hatte Probleme Zuhause, mein Vater war ein Schläger und deshalb bin ich abgehauen in eine andere Stadt, um neu anzufangen.

Kurz, knackig und plausibel.
Genau genommen ist auch nicht alles davon gelogen. Eine zu sehr aus geschmückte Story wäre unglaubwürdig gewesen und das Risiko, dass ich mich in meinen Lügen verstricke, wäre umso größer gewesen.

„Tust du mir heute Abend einen Gefallen und springst für mich im Pokerladen ein? Ich muss mich um die Ware kümmern", fragt er während er das Brötchen verdrückt.
„Klar" antworte ich ohne zu zögern.

Es ist in den letzten Monaten immer häufiger geworden, dass ich den Laden schmeiße. Nebenbei kümmere ich mich um die Buchhaltung und spiele ein bisschen für das Finanzamt mit den Zahlen.

Im Grunde genommen dient der Laden bloß der Geldwäsche für die Drogen und Glücksspielautomaten, aber so geschickt, wie ich mit den Zahlen umgehe, ist da noch keiner hinter gekommen, beziehungsweise man kann uns nichts nachweisen.

***

Meine Wohnung befindet sich im gleichen Viertel, wie Tarik's, der beste Freund von Sedat. Beide sind Anfang 30, verheiratet und haben Kinder. Dennoch ist das kriminelle Leben ein großer Teil von ihnen. Ich verstehe es vielleicht besser als jeder andere, immerhin bin ich in genau solchen Reihen groß geworden. Drogen und Mord sind nichts fremdes für mich, auch wenn die Frauen in meiner Familie weitestgehend aus den Geschäften herausgehalten werden.

Tarik kommt gerade mit seiner schwarzen
E-Klasse um die Ecke, als ich aus der Haustür trete. Ein Wunder, dass er heute mal nicht zwanzig Minuten zuspät ist. Offiziell arbeitet er in irgendeiner Werkstatt, die Drogengeschäfte sind für ihn nur nebenberuflich.

„Wie gehts?", ertönt seine fröhliche Stimme während ich es mir auf seinem Ledersitz bequem mache.
„Gut und dir?", stelle ich ihn dir Gegenfrage mit der gleichen guten Laune zurück und grinse ihn ebenso an.
Lachend gibt er mir die gleiche Antwort zurück.

Im Phönix-Viertel angekommen, entdecke ich schon Sarina vorm Laden rauchen.
Warum steht sie draußen? Schließlich gibt es drinnen kein Rauchverbot, im Gegenteil es gibt eigentlich kaum ein Verbot. Es wird drinnen gekifft, getrunken und gekokst, also warum steht sie draußen?

„Ist irgendwas passiert, dass ich wissen müsste?", wende ich mich musternd an Tarik, der aber genauso unwissend Sarina beobachtet.

Mit einem komischen Gefühl im Magen gehe ich auf Sarina zu und begutachte ihr nervöses Stehen und Wippen.

„Anna! Endlich! Vorhin sind hier zwei Typen gewesen und haben nach Hanna gefragt. Sie haben gedroht den Laden abzufackeln, wenn sie heute Abend nicht hier auftaucht!"

Das passt ja gerade noch. Hanna hatte mal eine Zeitlang auf dem Strich gearbeitet und sich einiges zu Schulden kommen lassen. Tja die Vergangenheit holt nun mal bekanntlich jeden irgendwann wieder ein, nur hoffentlich mich nicht.

„Ich regle das" versuche ich sie zu beruhigen und schiebe sie am Rücken wieder zum Eingang. Tarik wirft mir einen warnenden Blick zu, er weiß genauso gut wie ich, dass wir gerade ziemlich in der Scheisse stecken, aber Sedat können wir damit nicht belasten, er soll sich lieber nur um die Ware kümmern.
Immer wieder versuche ich Hanna zu erreichen, aber sie geht einfach nicht ran. Entweder sie haben sie gefunden oder sie ist, wie ein feiges Huhn untergetaucht und lässt mich ihre Scheisse ausbaden.
Wenn es zweiteres ist, muss ich mir schnellstmöglich etwas einfallen lassen, ansonsten sitzen wir alle wieder auf der Straße.

Nachdenklich stehe ich vorm Pokertisch und wiege meine nächste Entscheidung ab.
„Tarik?" rufe ich laut und höre im nächsten Moment seine Stimme.
„Ja?"
„Wir brauchen fünf von deinen Jungs, die nicht bei Sedat sind, am besten welche, die bisschen breiter sind und Waffen besitzen."
Grinsend sieht er mir entgegen und nickt verstehend. Ein anderer Plan ist mir leider nicht auf die Schnelle eingefallen, aber wenn wir einknicken oder Angst zeigen, dann denken die Typen, dass sie mehr Macht haben als wir und wieder kommen können. Höchstwahrscheinlich nehmen sie auch noch alle Einnahmen mit, aber nicht so lange ich hier bin und für Ordnung sorge.

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Capo de la CataniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt