15 | Rapunzel

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„Sie können mich vorne bei der Bushaltestelle raus lassen", gebe ich dem Taxifahrer bescheid.

Eigentlich wollte ich nach Hause, aber dann kam mir der Gedanke an Emily.
Auf dem Weg zu ihrem Kosmetikstudio war ich so in Gedanken vertieft, den Blick starr auf den Boden gerichtet, dass ich beinahe in einen älteren Herrn hineingelaufen wäre und seine anschließende Pöbelei hat es auch nicht besser gemacht. Schon der Blick durch das Schaufenster zeigt ihren liebevoll eingerichteten Laden. Wenn ich so darüber nachdenke ist Emily die einzige in meinem Umfeld mit einem legalen Geschäft. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln, aber es ist auch eine erfrischende Abwechslung.
Bei ihr habe ich das Gefühl unbeschwert ein bisschen Normalität fühlen zu können.

Das Klingeln der Glocke über der Tür, lässt den den blonden Schopf mit perfekt gewellten Haaren hochschnellen. Sie ist die Definition von Perfekt. Kein einziges Haar ist nicht an seinem Platz, keine Makel oder Unreinheiten auf ihrer Haut.

Sie strahlt mit ihrem Lächeln eine solche Wärme aus, dass es mich schon ansteckt.

„Wie gehts meinem Rapunzel", grinse ich in ihr Haar, während ich sie in eine Umarmung ziehe und ihren sanften Duft einatme.
Ja, sie IST die Perfektion.

Kichernd löst sie sich von mir.
„Du solltest mal in den Spiegel schauen Belle"

„Hast du dein Biest eigentlich schon gefunden?", zwinkert sie mir zu und geht wieder hinter ihren Tresen.

„Es ist nicht alles, wie im Märchen, aber es gibt ein Biest, dass mir eindeutig Probleme bereitet."

„Oh, ich hoffe doch es ist ein attraktives Biest, aber warte, sag mir nicht es heißt Jason."

„Wer ist Jason?"
Ich lasse mich auf einen der beigen Kordsessel an der Fensterfront nieder.

„Der Typ der so heiß hinter dir her ist, ich habe schon befürchtet, dass du was mit ihm hattest."

„Meinst du den, der immer Designer Klamotten mit fettem Dior Logo trägt, ungefähr 1,80 und leicht lockige braune Haare?"

„Ja genau den meine ich"

„Sowas traust du mir zu?", ungläubig sehe ich zu ihr rüber, aber sie zuckt nur schmunzelnd mit den Achseln.

„Ich wusste bis eben nicht mal, wie er heißt und nein ich hatte definitiv nichts mit ihm."

„Dann erzähl mir von deinem Biest"

„Ich bin hier damit du mich ablenkst und nicht damit du mich an meine Probleme erinnerst"

Misstrauisch sieht sie von ihrem Block zu mir rüber und hebt eine Augenbraue.
„Du willst nie über das reden, was dich bedrückt, aber am Ende bist du mir immer dankbar"
Grinsend wendet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Block und kritzelt etwas mit dem Stift darauf.

Seufzend gebe ich nach, aber ich bezweifle, dass sie mir helfen kann.
„Na schön, was willst du hören?"

Die Geräusche der Kaffeemaschine übertönen für einen Moment die ruhige Musik im Hintergrund

„Wie heißt der Verehrer?"

Mit zwei Tassen in der Hand stolziert sie geradewegs auf mich zu.
„Du weißt, dass man Cappuccino zum Frühstück trinkt?", frage ich mit hochgezogener Augenbraue.

„Ich bin keine Italienerin, also trinke ich Cappuccino, wann immer mir danach ist", gibt sie gespielt hochnäsig zurück.
„Also was ist? Wie heißt er?"

„Luciano"

„Das reicht deiner Therapeutin noch nicht an Information"

„Eine gute Therapeutin gibt ihren Patienten Zeit", antworte ich gespielt genervt, aber kann mein Schmunzeln nicht zurückhalten.
„Ich habe ihn betrunken im Club kennengelernt. Am Morgen danach bin ich geflüchtet und dann hat sich ein Tag später herausgestellt, dass er der neue Geschäftspartner von Sedat ist und Sedat weiß, dass ich was mit ihm hatte. Wie du dir sicher vorstellen kannst, war er nicht gerade begeistert und will, dass ich es beende"

„Willst du es denn beenden?"

„Hatte ich vor, bis er anrief und mir sagte, wenn ich meine Schuhe nicht bei ihm abhole, dann platzt sein Deal mit Sedat"

„Wie kannst du deine Schuhe bei ihm vergessen?", ungläubig schielt sie über den Rand ihrer Tasse und mustert mich eingehend.

„Ich hatte es eilig.."

Ausatmend stellt sie ihre Tasse zurück auf den Unterteller.
„Er ist hässlich, stimmt's?"

Schmunzelnd lehne ich mich im Sessel zurück.

„Er hat den Körperbau eines Adonis und sieht auch aus wie einer, nur in italienisch."

„Und du willst das wirklich wegen Sedat beenden?"

„Er könnte mir Probleme machen, wenn er meinen echten Namen herausfindet"

Emily hat ein bisschen mehr Informationen über meine Vergangenheit, als ich Sedat je anvertraut habe.

„Vielleicht solltest du es gerade deswegen nicht beenden"

„Wie meinst du das?"

„Wenn er Verdacht schöpft, dass deine echte Identität für ihn von Bedeutung sein könnte, musst du ihn vom Gegenteil überzeugen."

„Ich soll mich also weiter mit ihm treffen?"

„Ja und gleichzeitig besorgst du dir besser eine dritte Identität, die diesmal wasserdicht ist, aber so lange musst du ihn hinhalten"

„Führst du ein zweites Leben in der Mafia oder woher kommt dieses Denken?"

„Vielleicht habe ich zu viele Filme gesehen", schmunzelt sie leicht.

Diese Ausrede ist so billig wie meine, als ich zu Sedat meinte, dass ich viel über die italienische Mafia gelesen habe.

„Du bist eine schlechte Lügnerin", stelle ich unbeeindruckt fest.

„Das stimmt, aber ich habe jetzt eine Kundin"

Kopfnickend deutet sie auf die Tür, die im nächsten Moment aufschwingt. Sogleich erhebt sie sich und geht selbstbewusst mit ihrer zuvorkommenden Art auf die Dame zu, um ihren Mantel abzunehmen. Das ist wohl mein Stichwort mich zu verabschieden.

Draußen auf der Straße ziehe ich mein Handy aus der Tasche und tippe eine Nummer, bei der ich hoffte, sie nie wieder wählen zu müssen.

Nach dem dritten Klingeln nimmt er endlich ab.

„Ciao piccolo mio"
(Hallo meine Kleine)

„Sai perché sto chiamando?"
(Du weißt weshalb ich anrufe?)

„Si"

„Questa volta con un passato poco interessante per una mafia"
(Diesmal mit einer für eine Mafia uninteressanten Vergangenheit)

„Quanto tempo hai?"
(Wieviel Zeit hast du?)

„Spero abbastanza"
(Ich hoffe genug)

„Isabella? ... Quale Mafia?"
(Isabella? ...Welche Mafia?)

„Chiama quando è pronto."
(Ruf an, wenn es fertig ist.)

Ehe er noch etwas erwidern kann, drücke ich auf den roten Button und beende das Telefonat. Er ist immer ein wenig zu neugierig, aber trotzdem macht er seinen Job gut.
Ich verstaue das Handy wieder in meiner Handtasche und überbrücke die letzten Meter zu meiner Wohnung. Doch irgendetwas fühlt sich anders an. Misstrauisch suche ich meine Umgebung ab, aber dieses Gefühl der Paranoia von heute morgen lässt mich einfach nicht los. Dieses italienische Arschloch macht mich noch krank! Jedes Mal fühle ich mich beobachtet, sobald ich meinen Weg fortsetze. An meiner Haustür angekommen, scanne ich noch ein letztes Mal meine Umgebung ab, aber nirgends ist etwas auffälliges zu sehen.

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Capo de la CataniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt