Die Tür vom Pokerraum wird geöffnet und sofort schnellt mein Kopf wieder in die Höhe. Vor mir steht Sedat mit einem Schmunzeln im Gesicht.
„Will ich wirklich wissen, was du gestern Nacht gemacht hast?", grinst er mich wissend an.
„Nein!", sage ich deutlich mit Nachdruck.
Auf keinen Fall werde ich mit ihm über die vergangene Nacht reden, auch nicht davon, was ich gesehen habe, beziehungsweise wen. Denn meine Vergangenheit ist noch immer mein tiefstes Geheimnis, dass ich niemandem hier in Deutschland anvertraut habe.Auf der anderen Seite, ist es vielleicht wichtig für ihn zu wissen, wer ihm hier eventuell Probleme bereiten könnte und besser er weiß es früher, aber dann müsste ich ihm auch erzählen, woher ich diese ganzen Informationen habe.
Ich kann kein Risiko eingehen, auch wenn ein unfassbares Vertrauen zwischen uns herrscht, dennoch ist es einfach zu riskant.
Vielleicht warte ich lieber erstmal ab und lasse mir eine gute Ausrede einfallen, woher ich das alles weiß.
„Kannst du hier kurz aufräumen, gleich kommen Gäste fürs Geschäft"
Nickend erhebe ich mich mit meinem pochenden Schädel und beginne mit dem Wegräumen der benutzten Gläser.
Gerade als ich fertig bin, schwingt die Tür erneut zum Pokerraum auf und der Idiot kommt herein.
Das hat mir gerade noch gefehlt.„Willst du mir vielleicht mal erklären, warum du mich gestern einfach sitzen gelassen hast?"
Die Anspannung aus seinem Körper zeichnet sich sogar in seinem Gesicht ab.„Es war mir ehrlich gesagt zu viel, da bin ich einfach gegangen" schulterzuckend versuche ich seine Anwesenheit so gut es geht auszublenden, aber da blockiert er mir den Weg zur Tür.
„Ich habe dich gesehen an der Bar"
Fuck das kann ich gerade am wenigsten gebrauchen, aber die Frage ist, wie viel hat er gesehen?
„Achja? Ist ja nicht so, dass ich dir gesagt habe, dass ich an die Bar gehe" entgegne ich gleichgültig, doch innerlich kocht es in mir.„Wer war der Typ? Bist du mit ihm gegangen?", will er mit Nachdruck wissen. Das heißt also, er hat mich nicht die ganze im Blick gehabt und auch nicht gesehen, wie ich gegangen bin oder er will, dass ich das denke, aber so intelligent schätze ich ihn nicht.
In dem Moment, als ich zum Antworten ansetzen will, wird die Tür von Tarik geöffnet, der mich mit einem fragenden Blick mustert.
„Haben wir noch genug Whisky?", will er von mir wissen und begutachtet die angespannte Situation vor ihm. Der Idiot wendet sich ab und flüchtet aus dem Raum. Ihm ist sicher bewusst, dass er vor allem unter diesen Umständen keine Antwort von mir bekommen würde.„Wir müssten noch welche hinten im Lager haben. Letzte Woche habe ich den Schrank erst aufgefüllt" lächle ich ihm freundlich entgegen. Tarik ist keiner der seiner Frau fremdgeht im Gegensatz zu einigen anderen Kollegen von Sedat und genau deshalb ist er mir auch so sympathisch.
In null Komma nichts ist der Tisch gewischt, das dreckige Geschirr gegen sauberes ausgetauscht und der Boden gesaugt. Das müsste ich Zuhause eigentlich auch mal wieder machen, putzen, aber in letzter Zeit war ich mit so vielen anderen Dingen beschäftigt, dass meine Wohnung darunter gelitten hat. Nach heute werde ich mir jedenfalls definitiv ein paar Tage freinehmen, wohlverdient angemerkt.
Draußen auf dem Balkon finde ich Yusuf Sedats älteren Bruder den Rauch einer Wasserpfeife ausatmen.
Entspannt lasse ich mich neben ihm nieder und ziehe ebenfalls genüsslich am Schlauch.
Traube-Minze, meiner Meinung nach der beste Tabak. Zufrieden stoße ich Ringe mit dem Rauch in die Luft.
„Seit wann besitzt du eine Waffe?" durchbricht er die Stille.„Schon eine Weile", antworte ich und hoffe er belässt es dabei.
„Du hast ihm in den Fuß geschossen ohne dabei deinen Blick von seinem Gesicht zu nehmen und erzähl mir jetzt nicht, dass du dich nicht mit Waffen auskennst"
Seufzend lehne ich mich nach hinten ans Polster.
„Was willst du jetzt von mir hören? Dass ich mich vielleicht ein bisschen besser mit Waffen auskenne?"„Ich denke du verschweigst einiges, zum Beispiel wo du wirklich herkommst... deutsch kannst du deinem Aussehen nach zu urteilen jedenfalls nicht sein"
Wie kommt er gerade jetzt darauf? Ist ja nicht so, dass ich schon seit fünf Jahren für Sedat arbeite.
„Worauf willst du hinaus?", frage ich kühl.
„Du verheimlichst uns schon eine ganze Weile deine Vergangenheit und vielleicht ist es Sedat nicht aufgefallen oder aber er will dich damit nicht bedrängen, aber nicht nur ich frage mich was früher wirklich gewesen ist, dass du mit einem Hauch von Nichts nach Hamburg gekommen bist. Deine gebräunte Haut hat mehr darauf hingedeutet, dass du gerade aus einem Spanienurlaub zurück bist"
Vielleicht nicht gerade Spanien, aber Italien trifft es wohl eher.
„Vielleicht rede ich irgendwann mal über meine Vergangenheit, aber nicht heute", versuche ich ihn abzuspeisen in der Hoffnung, dass seine ganzen Fragen endlich ein Ende haben.
„Also nie?", fragt er mit hochgezogener Augenbraue und mustert mein Gesicht.
„Du scheinst mich wohl besser zu kennen als gedacht" grinse ich „aber es heißt nicht umsonst Vergangenheit, ich habe mein altes Leben hinter mir gelassen und ich bevorzuge auch, dass es so bleibt"
Nickend wendet er seinen Blick von mir ab und starrt über den Balkon in Verästelung der Zweige. Die Blätter der Trauerweide schweben im Wind und bekleiden die dünnen braunen Zweige mit einem sanften Grün.
„Anna, wo sind die Unterlagen?" Tarik steht in der Balkontür und sieht mich auffordernd an. Das ist mein Zeichen mich zu erheben und am Geschäft teilzunehmen. Eigentlich wollte ich mich nicht großartig mit den Lieferwegen befassen, weil ich meinen Fokus nur auf den Laden und der Buchhaltung legen wollte, aber nach reichlichem Bitten, habe ich mich dazu breitschlagen lassen. Das Verdrehen von Zahlen für das Finanzamt ist eine Sache, aber Lagerplätze und Lieferwege mit mehreren Fluchtmöglichkeiten auszukurieren eine andere.
Mit dem Laptop in der Hand drücke ich die Klinke des Secret Pokerraums herunter und betrete den Raum. Hätte ich doch bloß aufgeschaut.
„Darf ich vorstellen, das ist Anna sie kümmert sich um die Flucht- und Lagepläne", stellt mich Sedat den Gästen vor. Wie angewurzelt verharre ich auf einem Fleck und sehe in die stechend braunen Augen des Adonis von letzter Nacht.
Nur zögerlich löse ich mich aus meiner Starre und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter.
Weiß Sedat auf wen er sich da einlassen will? Hätte ich ihn bloß vorher informiert, doch ich war einfach zu feige.
Mit kontrolliertem Atem schließe ich die Tür hinter mir setze mich auf den einzigen freien Stuhl.„Anna du erinnerst mich an jemanden", fängt der Adonis vor mir an zusprechen. Mit einem kurzen Blick in seine Augen schenke ich ihm ein kleines gezwungenes Lächeln ehe ich mich wieder auf meinen Bildschirm konzentriere und mit der Maus den gesuchten Ordner öffne. Mir ist absolut gar nicht nach Smalltalk und schon gar nicht mit jemanden, den ich nicht einschätzen kann. Weiß er wer ich bin?
„Ich habe einige Möglichkeiten abgewogen bei den Lagerhallen und die beiden hier haben die meisten Fluchtmöglichkeiten mit Anbindung an sämtliche Schnellstraßen und Autobahnen" beginne ich meinen kleinen Vortrag, während ich den den Bildschirm zu Adonis drehe. Doch der beachtet meinen Laptop nicht. Stattdessen ruhen seine Augen auf mir.
„Ich bin mir sicher mit Flucht kennst du dich aus" grinst er schelmisch und sieht zum Bildschirm.
Leichte Röte schießt mir in die Wangen und ich kann nur hoffen, dass es keiner bemerkt.
Eine Frage brennt mir die ganze Zeit auf der Zunge, sind seine Anspielung nur auf letzte Nacht gerichtet oder weiß er mehr über mich, als mir lieb ist? Wie würde er reagieren, wenn er wüsste wer vor ihm sitzt? Ist es ihm wirklich nicht bewusste oder ist er einfach nur durchtrieben?„Welche von den Beiden liegt näher am Hafen?" fragt eine schlankere, aber nicht weniger muskulöse Abbildung von Adonis. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es ein jüngerer Bruder von ihm ist.
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Capo de la Catania
RomanceIsabella lebt unter einer falschen Identität, mit der sie sich vor fünf Jahren ein neues Leben aufgebaut hat. Alles scheint endlich gut zu laufen, bis ein neuer Geschäftspartner mit ihrem Chef einen Drogen Deal eingeht und alles droht aufzufliegen...