Teil 10

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Meine Gedanken fuhren Karussell, innerlich war ich vollkommen aufgewühlt.

Angestrengt versuchte ich mir einen Reim darauf zu bilden, wobei die Lösung eigentlich auf der Hand lag. Wenn Lloyd seine Mitarbeiter wieder in Freiheit wissen wollte, war ein Tauschhandel für ihn die beste Option, da er mit mir als Geisel die Kontrolle über die Situation behalten würde. Allerdings hegte ich die Befürchtung, dass mein Chef nicht darauf eingehen würde. Wozu auch, er braucht mich nicht mehr.

Daher war ich mir in einer Sache mehr als sicher: ich musste so schnell wie möglich hier weg, ich konnte nicht dahin zurück, doch Parker würde es mir nicht einfach machen. Sein Handeln war zu Teilen stark impulsiv, was in ihm seine Gewalthemmungen lösen konnte. Er würde nicht groß darüber nachdenken, sondern einfach kopflos zuschlagen, obwohl unbedachtes Handeln sonst gar nicht seine Art war. Ein falscher Schritt und ich würde es bereuen. Wenn ich zu viel Ärger verursache, wird er seine Skrupel bei Seite legen.

Als er auflegte, war ich noch immer in Gedanken versunken, die Augen halb geschlossen. Ich hatte garnicht bemerkt, dass ich weinte. Ich hörte noch, wie er aufstand und kurz darauf verließ er den Raum und kam erst wieder in der Realität an, als die Zimmertür laut zufiel.

„Hey!", riss mich seine Stimme aus meinen Gedanken.

Ich schreckte auf, mir war gar nicht aufgefallen, dass er auf einmal vor mir stand.

„Komm her".

Seine Stimme klag vollkommen gelassen, er schien sich meiner Unruhe jedoch bewusst zu sein.

Ich setzte mich auf, ohne auf meinen noch immer schwankenden Kreislauf zu achten und rutschte langsam und unsicher auf dem Sofa weiter nach vorne zu ihm, um so seiner Aufforderung Folge zu leisten.

Parker hielt mir ein Glas hin.

„Trink das", forderte er in einem Tonfall, welcher keinen Widerspruch zuließ, doch ich zögerte, als ich vorsichtig von ihm zurück auf das Glas sah. In der durchsichtigen Flüssigkeit waren noch einzelne Pulverreste auszumachen. Sicherlich verbargen sich Hintergedanken hinter dieser scheinbar netten Geste.

„Bitte-" setzte ich an, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Dabei wusste ich allerdings genau, wie vergeben mein Unterfangen war. Er würde mir so oder so keine Wahl lassen. Wozu auch? Was könnte ich schon gegen ihn ausrichten, um mich zur Wehr zu setzten? Er war nicht nur größer, sondern auch wesentlich stärker als ich. Bei jeder Bewegung wurde durch sein T-Shirt das Spiel seiner Muskeln herausgestellt. Parker schien so harmlos und doch strahlte er zugleich etwas äußerst Gefährliches aus. Die vermeintliche Freundlichkeit täuschte, obwohl er auf den ersten Blick mit seinem aufgesetzten, dennoch charismatischen Lächeln durchaus sympathisch wirkte, beinahe unscheinbar, aber die Fassade log und noch vermochte ich nicht, diese zu durchblicken. Damit behielt ich Recht.

Als Reaktion auf mein Zögern wiederholte er kurz seine Aufforderung, als ich immer noch nicht reagierte, zog er meinen Kopf ruckartig an den Haaren nach hinten, was den Effekt hatte, dass ich perplex den Mund öffnete, im Begriff, etwas zu erwidern. Er nutzte es aus, um das Glas an meinen Lippen anzusetzen und mich auf diese Weise zu zwingen, die Flüssigkeit zu trinken.

„Das wird dir helfen", sagte er so leise, dass ich nicht sicher war, ob ich es überhaupt gehört oder mir nur eingebildet hatte.

Kurz hob er seine Hand, was mich stark zusammenzucken ließ. Doch er wischte mir nur die Tränen von der Wange, was sehr unerwartet kam. Danach ließ er von mir ab und stieß mich wieder zurück auf das Kissen. Der Aufprall verschlug mir für einen kurzen Augenblick den Atem. Ich hörte, dass er sich entfernte und war wirklich froh darüber, denn auf diese ständigen Wechsel in der Art und Weise, wie er mit mir umging konnte ich mir einfach keinen Reim drauf bilden. Dieser Mann war für mich ein einziges großes Fragezeichen. Ich fürchtete dieses reizbare Temperament in ihm. Jeder seiner unerwarteten – unvorhersehbaren- Gewaltausbrüche verstörte mich aufs Neue, was dazu beitrug, dass ich zukünftig noch mehr auf der Hut sein würde.

Schon nach wenigen Minuten bemerkte ich, wie sich mein Körper langsam entspannte und ich allmählich zur Ruhe kam. Bewegungen jeglicher Art fielen mir immer schwerer. Ich wurde müder, bis ich meine Augen nicht mehr offenhalten konnte. Wahrscheinlich hatte er mir erneut ein Beruhigungsmittel gegeben.

Ich kam wieder ins Grübeln, doch langsam nahm mein Plan Gestalt an und ich ging ihn gedanklich Schritt für Schritt durch. Sobald er schlief, würde ich den Schutz der Dunkelheit dazu nutzen, von hier zu entkommen, denn glücklicherweise verzichtete er bis jetzt darauf, mich gewaltsam in diesem Raum festzuhalten oder hier anderweitig einzusperren. Ich musste es nur irgendwie unauffällig und schnell aus dem Zimmer und danach aus dem Hostel rausschaffen. Wenn ich an der Straße entlanglief, würde ich hoffentlich irgendwann auf ein Auto treffen oder ein Dorf oder eine Stadt finden. Ich kannte zwar die Gegend nicht, aber da es hier nur eine Straße gab würde ich mich hoffentlich zurechtfinden.

Irgendjemanden werde ich schon finden und der wird mir helfen können.

Wichtig war nur, dass ich weit genug weg war, wenn er aufwachte und mein Fehlen bemerken würde, damit er mich nicht finden und zurückbringen konnte. Der Plan war gewagt und keineswegs gut durchdacht, das war mir bewusst, aber ich konnte auch nicht hierbleiben und einfach drauf warten, bis er mich an Lloyd und seine Gehilfen auslieferte.
Parker wartete, bis ich beinahe vollständig in den Schlaf abgedriftet war, dann kam er wieder zu mir. Ich spürte noch am Rande, wie er die Decke erneut über mich legte, dann hüllte mich die Dunkelheit ein, sodass ich nicht mehr über die Paradoxie seiner Gesten nachdenken konnte.

Wenn auch etwas verspätet, Frohe Weihnachten <3

Battleside - depths of despair Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt