Teil 26

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Tatsächlich bekam ich von der eigentlichen Übergabe so gut wie nichts mit.

Nach meinem Anfall war ich geistig völlig abwesend, überhaupt nicht mehr aufnahmefähig sowie körperlich unfähig, mich ihm in jeglicher Art und Weise zu widersetzen. In meinem Kopf dröhnte es und noch immer konnte ich keinen klaren Gedanken fassen, geschweige denn einen Muskel bewegen. Es war nach einem meiner Anfälle nicht unüblich, aber gerade das Schlimmste, was noch hätte passieren können. Wie befürchtet konnte ich mich an nichts mehr erinnern, was nach dem Keller passiert war. Es graulte mir vor dem Gedanken, dass mein Entführer alles Mögliche mit mir in dieser Zeitspanne hätte tun können oder vielleicht sogar getan hatte, denn dieser teilnahmslose Zustand hatte Parker sein Unterfangen maßgeblich erleichtert. Er konnte mit mir verfahren wie mit einer willenlosen Puppe, ohne, dass ich mich dagegen wehren konnte. 

Ich merkte kaum, wie er mich ins Auto brachte und vom Hostel aus losfuhr.

Wir fuhren längere Zeit durch einen Wald. Knorrige Bäume zogen schnell am Fenster vorbei. Es war still im Auto, nicht einmal das Radio war eingeschaltet, nur mein Herz klopfte laut und schnell vor sich hin. Mein Entführer richtete seine Konzentration auf den Feldweg vor uns. Der Himmel hatte sich mittlerweile wieder verdunkelt. Tiefgraue Wolken zogen auf und raubten der Umgebung jeglichen Glanz. Es wird wohl nichtmehr lange bis zu einem erneuten Regenguss dauern, dachte ich mir, gerade als die ersten Tropfen auf die Scheibe prasselten, zunächst nur schwach, doch dann verringerte sich dessen Abstand immer schneller. Kurz darauf wurde vorne der Scheibenwischer eingeschaltet. Der Regen prallte von den Scheiben ab. Nur sein leises Tropfen war zu hören.

Parker stellte das Auto mitten im Nirgendwo ab. Hier auf andere Menschen zu treffen wäre mehr als unwahrscheinlich.

„Na los, komm!", forderte er mich grob auf, wobei er mich von der Rückbank, auf welcher ich gelegen hatte, hoch zerrte. Zusammen liefen wir durch den leichten Regen zu einem Gebäude von immenser Größe. Es glich in kleinster Weise dem, was ich damals in England gesehen hatte. Es handelte sich entgegen meiner Erwartung nicht um ein massives Industriegebäude oder einen stählernen Komplex, ganz im Gegenteil, vor uns lag ein altes Herrenhaus, welches allem Anschein nach schon seit vielen Jahren stumm und unerschütterlich auf dieser Lichtung stand. Das Anwesen erstreckte sich großflächig über den Waldboden. Es vermittelte angesichts des barocken, klassischen Stils, welcher durch die vielfachen Holzstreben betont wurde, einen unvergleichbaren Charme, welcher durch den alten Fachwerkbau gleichzeitig auch gespenstisch wirkte.

Während er mich immer näher auf das verrostete Tor zubrachte, ließ ich meinen noch immer verschleierten Blick an dem Herrenhaus entlang wandern. Es schien mehrere Stockwerke zu geben. Die Fenster waren schmutzig, was das Alter des Hauses hervorhob und nach außen hin seinen Anschein, seit langem leer zu stehen, unterstrich. Das Einzige, was dieses Bild störte, waren die Gitterstäbe vor dem Fensterglas. Allem Anschein nach wurden sie erst vor kurzem angebracht, denn das Eisen erstrahlte noch in frischen Glanz. Bei ihrem Anblick überkam mich eine Gänsehaut. Unweigerlich kamen wir immer näher auf das rostige Gitter des Eingangstors zu. Ich war in Alarmbereitschaft versetzt, ich wollte das nicht! Ich wollte nicht an diesen Ort zurück, doch ich wäre niemals stark genug, um etwas gegen Parker ausrichten zu können. Er drückte einen Knopf an der abgeblätterten Stützsäule des Torbogens und ein kurzes Surren ertönte, welches mir in Anbetracht des uralten Hauses viel zu modern vorkam. Während er auf eine Antwort wartete, blieben wir den kurzen Moment im Freien stehen. Mein Entführer war mir in diesem Augenblick viel näher, als mir lieb war. Diese körperliche Nähe war mehr als unangenehm, während er sich nicht viel daraus zu machen schien. Er stand dicht hinter mir, hielt mich aber immer noch fest. Vielleicht eher, damit ich nicht hinfiel, als dass ich erneut einen Fluchtversuch unternehmen könnte. Nach dem, was im Keller passiert war, würde ich mir das beim Nächstenmal auch lieber zweimal überlegen. Durch diese Nähe konnte ich seinen Herzschlag spüren, er hämmerte stark in seiner Brust. Das hatte nichts von seiner üblichen Ruhe an sich und es verstärkte sich noch, da aus dem nichts ein Freizeichen durch den Lautsprecher an der Türanlage erklang.

Battleside - depths of despair Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt