Kapitel 16

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Wie fliegt man am schnellsten von der Schule? Auf diese Frage hatten Kira und ich am Vortag versucht eine Antwort zu finden, welche niemandem ernsthaft schadete. Was so einfach klang stellte sich als gewaltige Aufgabe heraus, für die es wohl nicht die eine Antwort gab. Viel mehr hofften wir mit einem Haufen Regelverstößen zum Ziel zu kommen. Vorteilhaft dabei war, dass wohl kaum jemand auf diesem Internat besser über die Umsetzung der Regeln Bescheid wusste, als meine Kumpanin, die von klein auf hier lebte. Zusätzlich dazu hatte sie ein gewisses Ansehen an der Schule und würde so meinen Rausschmiss begünstigen können. Schlichtweg schienen die Zufälle, welche mich zu Kira geführt hatten, mein größtes Glück gewesen zu sein. War ihr Bruder auch ein merkwürdiger, uneinsichtiger Weggenosse, so konnte ich im Nachhinein der unfreundlichen Koordinatorin dankbar sein für den Zimmerwechsel.

Während ich eine Scheibe Toast verschlang übte ich fleißig das Kippeln. Schließlich sollte man mir nicht ansehen, dass das Stören und Kippeln etwas völlig Neues für mich war. Zwar war dieses Verhalten reichlich kindisch, doch mit genau solchen Dinge trieb man die Lehrer in den Wahnsinn. Eigentlich hatte ich den Unterricht auf meiner alten Schule nie gestört. Mal ein wenig quatschen oder am Handy sein ja, aber kein aktives behindern des Unterrichts, wie es gestern von Kira und mir geplant wurde. Ein wenig mulmig wurde mir bei dem Gedanken. Hatte man mir in Jahren der Schulzeit doch einen gewissen Respekt Lehrerkräften gegenüber gelehrt. Dabei sollte heute noch der friedlichste Tag sein. Für einen Rausschmiss musste man mehr tun, als zum Lehrerschreck zu werden. Doch durfte ich es mir noch nicht vollkommen verscherzen, da man mir nicht direkt eine Ausgangssperre verhängen dürfte um den weiteren Plan umzusetzen. Anders müsste Kira die Benötigten Kleinigkeiten besorgen, die wir für unser weiteres Handeln benötigten. Die Gefahr, dass sie dabei erwischt werden könnte, waren wir nicht gewillt einzugehen.

Da ich die erste Stunde gemeinsam mit Kira hatte freute ich mich insgeheim sogar auf den Unterricht. Wir standen mit einigen ihrer Freunde auf dem Flur. Wohl gemerkt viel zu früh. „Herr Eichenstamm ist immer überpünklich", klärte eines der Mädchen mich auf und musterte mich darauf weiter offensichtlich. Der übermotivierte Musiklehrer, welcher fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn den Raum öffnete, brachte bereits in den frühen Morgenstunden eine Energie auf, für die ich ihn zwar beneidete, allerdings auch begann zu hassen. Mit dem Betreten des Klassenzimmers ergab sich mir ein Raum voller Keybords. Die Wände waren überseht mit unsauber bemalten, sowie ausgeschnittenen  Noten und Notenschlüsseln und einzelne Schüler begannen bereits damit sich ein Xylophon aus dem anschließenden Raum zu holen.

Kurz überlegte ich weiter unkooperativ zu sein und einfach auf den Schülerstrom zu scheißen, doch die Vorstellung einen Musiklehrer mit Xylophon und Triangel in den Wahnsinn zu  treiben klagt nach einem größeren Unterhaltungsfaktor.
So erhob ich mich von meinem gammelplatz in der letzten Reihe und besorgte mir eine Triangel. Diese schienen bei den anderen Schülern eher unbeliebt, denn diese griffen inzwischen nach Trommeln und Bongos, statt sich eine Triangel zu holen. Die Xylophon waren dabei bereits verteilt. Beim Rausgehen stieß mein Kopf um ein Haar gegen den Türrahmen, der wohl eher für kleine Musiklehrerinnen, als knapp zwei Meter große Schüler erbaut worden war. Da einige sich gleich zwei Instrumente holen griff meine Hand noch eine Rassel, sowie eine übergroße Holzxylophon Taste und einen dazu gehörigen Schlägel. Daraus stellte ich mir ein einzigartiges Schlagzeug zusammen. Irgendwie machte es sogar Spaß den Lehrer mit den Instrumenten zur Weißglut zu treiben.
Die Klasse hatte begonnen sich in das Spiel mit einzubringen. So war es nicht mehr eine einsam spielende Triangel, die von einer merkwürdig bespannten Trommel begleitete wurde, sondern der Kampf von Trommel, Triangel und Marimbaphon gegen einen Haufen wild gewordener Xylophone, die gemeinsam mit Rasseln und einigen einzelnen Tönen um die Oberhand rangen. So wurde es immer lauter, doch klang es dadurch nicht schlechter. Immer abwechselt spielten die Instrumentengruppen. Am ehesten könnte man es mit einem Katz und Maus Spiel vergleichen oder mit der Geschichte vom Kuckuck und dem Esel.
Kira saß bei ihrer Freunden und spielte ein Solo alle acht Takte. Irgendwie hatte sich das Kollektiv auf 4/4 geeinigt und inzwischen konnte man es tatsächlich Musik nennen und somit war fraglich, ob meine Aktion noch als Stören galt. Und mit viel Fantasie könnte man sogar sagen ich hätte mich an unseren Plan gehalten, denn mein Stuhl wippte im Takt vor und zurück.
Der Lehrkörper hatte längt kapituliert und korrigiert irgendwelche Klassenarbeiten, während um ihn das geordnete Chaos herrschte.
Als die Klingel den Unterricht beendete konnte es allen nicht weniger egal sein. Die meisten hatten es vermutlich nicht einmal vernommen. Und auch wenn mein Arm langsam lahm wurde den Spaß lies auch ich mir nicht nehmen. Vielleicht machte der fröhliche Gesichtsausdruck der gesamten Klasse unseren -aus dem Ruder gelaufenen- Plan perfekt. Es war schön ihnen den Tag zu versüßen mit ein wenig wild improvisierter Musik, die wohl in kein Genre ein zu ordnen war.

Aus den Nebenräumen steckten Neugierde Geister ihre Köpfe durch die Tür und lauschten und lachten über das Spektakel. Die Sorge, die Lehrer würden sich vor den Zeugnissen nicht über mein Verhalten austauschen verschwand mit den zwei aufgebrachten Lehrern, die sich laut versuchten Gehör zu verschaffen.
„WER IST HIER FÜR VERANTWORTLICH!!!", schrie der ältere der beiden erzürnt und erlangte so die volle Aufmerksamkeit der Musikanten. Das Spiel stoppte stockend, während böse Blicke der Lehrer durch die Reihen wanderten, bevor sie auf unserem Musiklehrer hängen blieben.
Ganz engelhaft wanderte Kiras Hand, scheinbar Pflicht bewusst in die Höhe. „Der Neue Schüler -Mike- war es. Er hat die anderen angestiftet und dieses ganze Chaos angezettelt." So Petzenhaft ihre Worte auch klangen, so perfekt spielte es in unseren Plan. Das verschmitzte Lächeln auf ihren Lippen zeigte mir, dass dies sehr wohl von ihr beabsichtigt war. „Zum Direktor!", rief der Alte, als einem Schüler in der Schlucht eine Triangel zu Boden fiel. „Kira, begleitetest du ihn bitte.", hängte er an. Um schnellst möglich aus der Situation zu entkommen beeilten wir uns aus dem Raum zu kommen, wie es sich die anderen Schüler taten. Mit einem gebührenden high five feierten meine Kompanin und ich unsere Musikstunde. „Ich hätte nicht damit gerechnet direkt am ersten Tag mit dir beim Direktor zu landen." Kiras Lachen hallte ausgelassen durch den sich leerenden Flur. „Also danke, dass du mir einen Teil des Matheunterrichts ersparst." Auch ich konnte die Freude über die Stunde nicht zurück halte. Hüpfend und Lachend machten wir uns auf den Weg zu dem Büro, welches ich in den nächsten Tage hoffentlich häufiger besuchen würde. Unsere Euphorie teilten wohl wenige, wenn sie zum Direktor geschickt wurden, doch für uns war es ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ein erster Schritt zu Kaya.

Schutz des Allays // Wichtiger FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt