Kapitel 2

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→ Hongjoong ←

Triggerwarnung: Thematisieren von Suizid

Ein paar Tage waren vergangen, seitdem ich dieses Mädchen auf der Brüstung des Daches stehend vorgefunden hatte. Bei ihrem Anblick hatte sich alles in mir zusammengekrampft. Ein schmerzhaftes Gefühl hatte sich in meinem Herzen und meiner Magengegend ausgebreitet. Warum ich an diesem Abend auf dieses Dach gegangen bin, war mir unklar. Vielleicht war es Schicksal gewesen. Das Schicksal eben dieses Mädchen vor dem sicheren Tod zu retten.

Viel zu traurige Erinnerungen krochen aus den Tiefsten meines Gedächtnisses hervor. Erinnerungen, welche ich viel zu lange verdrängt hatte. Noch bevor ich nachdenken konnte, was ich überhaupt tat, war ich neben sie getreten. Plötzlich bewegte sie sich. Sie wäre fast von der Brüstung gefallen, hätte ich sie nicht in letzter Sekunde am Arm nach hinten gezogen. Doch dann rutschte sie mir aus der Hand, weshalb sie unsanft auf dem Boden aufkam.

In diesem Moment erinnerte sie mich kurzzeitig an das erste Treffen mit Sunny. Eigentlich hieß sie Sunbin, doch sie hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, welches an einen strahlenden Sonnenschein erinnerte. Deshalb hatte sie in unserem Freundeskreis den Namen Sunny erhalten. Sunny und ich waren bei unserem ersten aufeinandertreffen zusammengestoßen. Sie landete mit ihrem Hinterteil auf dem Boden. Doch anstatt sauer deswegen zu sein, begann sie aus ganzem Herzen zu lachen. Eine schöne Erinnerung. Eine Erinnerung, welche einen Fluchtinstinkt in mir weckte.

Doch anscheinend hatte dieses Mädchen andere Pläne gehabt, denn sie folgte mir, ergriff meine Hand. Eine erneute Erinnerung stieg in mir hoch. Betäubte mich für einen kurzen Moment und ließ alles in mir erschaudern, weshalb ich versuchte sie abzuweisen, was mir schlussendlich auch gelang indem ich ihr ein paar harsche Worte an den Kopf warf. Das mir dabei Tränen in die Augen traten, war eine Tatsache die ich versuchte zu leugnen. 

Nun waren einige Tage vergangen und ich musste immer wieder an dieses Mädchen zurückdenken. Ich hatte sie zuvor beim Casting meines Entertainments gesehen. Sie hatte zwar eine äußerst angenehme Stimme, doch sie hatte sich während ihres Auftrittes vor dem gesamten Management blamiert. Lampenfieber war etwas furchtbares. Etwas, was selbst ich als erfahrener Künstler nur allzu gut kannte, denn es kam vor jedem Auftritt wieder. Ich hatte mir nur angeeignet damit umzugehen.

"Hey Hongjoong." Eine männliche Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich aufschrecken. Ich hatte gar nicht mitbekommen wie sich die Person mir genähert hatte. Dabei war ich doch sonst immer aufmerksam, vor allem wenn ich mich in meinem Tonstudio befand. Eigentlich sollte ich ein paar Songs aufnehmen, doch scheinbar war ich vollkommen abgedriftet. 

Ein braunes Augenpaar fixierte mich, während sein Lächeln bis in die Fältchen seiner Lider zog. "Seonghwa? Dich hatte ich jetzt noch nicht erwartet." Seonghwa strich sich eine verlorene Strähne aus dem Gesicht. "Wie? Wir waren doch verabredet." Ungläubig blickte ich auf das Display meines Smartphones um erstaunt festzustellen, dass er recht hatte. 

"Alles in Ordnung?" Ich musste wohl immer noch verwirrt drein schauen, da Seonghwa mich besorgt musterte. Er war mein bester Freund, der mich kannte wie kein anderer. Natürlich konnte er schnell erkennen, wenn etwas nicht stimmte. "Nicht wirklich", sagte ich. "Was ist los?" Ich deutete auf das Ecksofa. Seonghwa verstand und setzte sich.

"Ich habe vor einigen Tagen ein Mädchen von einem Suizid abgehalten. Sie wollte sich vom Dach unseres Entertainments stürzen." Seonghwa zog scharf die Luft ein. Er schien zu verstehen, was dies in mir ausgelöst hatte. "Und da musstest du an Sunny denken, stimmts?" Ich nickte. Die ersten Tränen stiegen mir bereits in die Augen, sobald er ihren Namen ausgesprochen hatte.

Seonghwa klopfte mir auf die Schulter, bevor ich endgültig vor ihm zusammenbrach, immerhin war er die einzige Person, welche die Wahrheit kannte. Welche mich nicht verurteilte, wie es die anderen sonst taten. Der Tod von Sunny würde mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen. Es würde keinen Tag geben, an welchem ich mich nicht selbst verfluchen würde. "Hongjoong. Es war nicht deine Schuld!" "Und dennoch werfen es mir alle vor."

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Immerhin hatte ich Seonghwa nicht in das Tonstudio bestellt um mich bei ihm auszuheulen, sondern um mit ihm ein paar Songs aufzunehmen. Eigentlich hätte ich eine zusätzliche, weibliche Stimme benötigt, doch ich müsste mich vorerst mit dem zufrieden geben, was mir gerade zur Verfügung stand. 

Wir verbrachten gemeinsam den kompletten Tag mit den Aufnahmen. Ich hatte einige Songs geschrieben und komponiert. Seonghwa schien von einigen sehr angetan zu sein. Doch ein Lied musste ich zurückhalten. Ich brachte es nicht übers Herz dieses Lied aufzunehmen, denn dessen Bedeutung hätte einen weiteren Zusammenbruch meinerseits zur Folge gehabt.

Nach unserer getanen Arbeit gelang es meinem Freund mich zum Besuch einer Bar zu überreden. Ein paar Trainees aus unserem Entertainment hatten an diesem Abend einen Auftritt und Seonghwa wollte sich diesen nicht entgehen lassen. Immerhin war es wichtig zu beobachten, wie sich die Trainees verhielten und ob sie gegebenenfalls dem Ruf unserer Firma schaden könnten. Vor allem aber, wie die Jungs bei ihrem Publikum ankamen.

Also machten wir uns zunächst in Seonghwas Wohnung noch etwas frisch. Ein wenig Aftershave, ein neuer Hoodie, welchen ich mir von meinem Freund geborgt hatte, und ich fühlte mich wieder etwas zufriedener in meinem Körper. Dann fuhren wir mit Seonghwas Auto zur Bar des heutigen Abends.

Bereits beim Eintreten in die Bar drang dröhnende Musik aus den Lautsprechern. Ein durchdringender Bass, das harmonische Zusammenspiel verschiedener Instrumente und dazu die Stimme des Leadsängers. Jubelnde Zuschauer grölten die Texte eifrig in den verschiedensten Tonlagen mit. Auch wenn es nicht ganz zu einer vollkommenen Harmonie beitrug, war es eine angenehme Atmosphäre. 

Ich beobachtete den Leadsänger, welcher gleichzeitig der Gitarrist der Gruppe war. Sein Gesicht kam mir bekannt vor, weshalb ich annahm, dass er schon länger in unserem Entertainment trainierte. Seine Stimme war wohlklingend und ich erkannte durchaus sein Talent. "Wer ist das?", fragte ich Seonghwa. Doch dieser war bereits im Getümmel des Clubs verschwunden, weshalb ich mich auf den Weg zur Bar machte um mir den Abend etwas erträglicher zu machen.

An der Bar bediente eine junge Frau gerade einen bereits vollkommenen betrunkenen Mann, welcher durch seine unnötigen, anzüglichen Bemerkungen negativ auffiel. Gerade wollte er erneut zum Reden ansetzen, da unterbrach ich ihn. "Einen Gin Tonic bitte." Die Frau lächelte mir dankbar entgegen, doch hielt dann in ihrer Bewegung inne. Zunächst war mir nicht klar warum, doch dann erkannte ich ihr Gesicht. 

Ein Gesicht, welches seit einigen Tagen immer wieder in meinen Gedanken erschien. Vor mir stand das Mädchen, welches ich vom Dach meines Entertainments gerettet hatte. Ein Kleid aus glitzernden Pailletten zierte ihren Körper. Ihre Haare waren zu einem Messy Bun hochgesteckt. Silberne Creolen baumelten von ihren Ohren und ihr Make-Up ließ sie älter erscheinen, als sie bei unserem ersten Treffen auf mich gewirkt hat. 


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