Bernie verstand die Welt nicht mehr, nicht einmal seine eigene, kleine Welt.
Die große war ihm sowieso zu viel, war es schon immer gewesen.Es war ihm gut gegangen, da wo er gewohnt hatte, im Heim, wie alle immer gesagt hatten. Er hatte keine Eltern wie die anderen Kinder und jungen Leute, die mit dort wohnten. Die wurden manchmal besucht oder abgeholt, für ein paar Tage. Die hatten eine Mama oder einen Papa, manche beides. Er nicht.
Aber er hatte einen Bruder.
Henry.
Das war ein toller Bruder.
Toll war Bernies Lieblingswort. Da konnte seine Zunge so schön in seinem Mund rollen.
Henry kam oft, ihn zu besuchen, redete mit ihm, erzählte ihm viel.
Alles verstand er nicht, aber Henry gefiel es zu reden, mit ihm zu reden.Wenn er wieder ging, strich er ihm immer über den Kopf, sagte: „Danke fürs Zuhören."
Bernie verstand nicht, warum Henry das immer sagte, aber der tolle Bruder schien da immer glücklich zu sein.
„Glücklich" war auch Bernies Lieblingswort, wenn es auch schwer für ihn auszusprechen war. Seine dicke Zunge stieß dabei immer an.Sonst hatte Bernie noch Stefan, Maria, Joe und Christa. Die passten auf ihn auf, lernten und spielten mit ihm und den anderen, zeigten ihnen, wie man Holzteile zu Autos zusammenbaute.
Das machte Bernie großen Spaß. Wenn er ganz viele Autos zusammengebaut hatte, bekam er immer vier Stückchen Schokolade. Er liebte Schokolade. Henry brachte ihm auch immer welche mit.
Die musste er aber dann verstecken, damit ihm kein anderen seinen Schatz klaute.
Teilen wollte er nur mit Klara.
Klara war seine Freundin, sie war so schön und viel klüger als er. Sie konnte ganz toll sprechen, und lesen konnte sie auch ganz gut. Nicht so langsam wie er. Für ihn waren das zu viele Buchstaben, die er sich merken musste.Klara konnte das.
Er hatte Klara lieb, sehr lieb sogar.
Vor zwei Wochen hatte er sie sogar geküsst. Aber es hatte ihr nicht gefallen.
Ihm schon.
Dann war etwas passiert, was er nicht verstanden hatte. Es hatte im Heim furchtbar gestunken, ganz laute Sirenen waren losgegangen, Stefan und Maria hatten alle hinausgeschickt, sie hatten ganz schnell laufen müssen.
Dann war eine Frau gekommen, die hatte er nicht gekannt, aber sie hat gesagt, dass seine Mutter sie geschickt hat.
Die Frau war nicht nett gewesen, hatte ihn in ein Auto gesetzt, hatte ihn hierher gebracht, Hotel hatte sie das große Haus genannt.
Das war viel größer als das Heim.
Dann hatte sie ihm ein paar Brote und etwas zu trinken hingestellt, war gegangen und hatte die Türe abgesperrt.Bernie hatte an die Türe geklopft und gerufen, dann war die Frau zurückgekommen, hatte furchtbar geschimpft, hatte gesagt, dass er ganz leise sein musste.
„Will zu Klara!", hatte er gesagt.
Sie hatte ihn böse angesehen. „Dein Bruder heiratet morgen. Ganz viele Gäste sind im Haus. Sie dürfen dich nicht sehen!", hatte sie geantwortet.Das von der Hochzeit hatte er schon gewusst, nur nicht, dass das morgen ist. Henry hatte ihm ein Bild von Lisa gezeigt, von der Frau, die er heiraten würde. Er hatte ein wenig traurig ausgesehen, sein toller Bruder.
Bernie hatte Angst gehabt, ganz allein in dem großen Zimmer, beinahe hätte er in die Hose gemacht, aber dann hatte er ein Bad gefunden, hinter einer Türe von diesem großen Zimmer.
Er hatte gewartet und gewartet, hatte ein Brot gegessen und Wasser getrunken und weiter gewartet. Es war dunkel geworden, da hielt er es nicht mehr aus.
Er dachte an einen Film, einen lustigen, den sie im Heim mal anschauen hatten dürfen. Da hatte ein Olli aus dem Betttuch ein Seil gemacht und war aus dem Zimmer geklettert.
Das konnte er auch.
Dann würde er zu Klara laufen und bei ihr bleiben.Er würde sie dann auch nicht mehr küssen, wenn sie das nicht mochte.
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Einfach nur weg (ONC 2024)
RomantikAm Vorabend ihrer Hochzeit mit Heinrich-Gustav von Wertheim, von allen außer seinem Vater Henry genannt, überfällt Lisa die schiere Panik. Ohne lange darüber nachzudenken, flüchtet sie aus dem Hotel, auf einem nicht gerade üblichen Weg. Doch diese I...