Zurück im Jetzt - Teil 2
Henry wurde von lautem Pochen an seiner Zimmertür geweckt. Sein Kopf dröhnte, der ungewohnte Scotch machte sich bemerkbar. Die dröhnende Stimme seines Vaters verstärkte seine Schmerzen noch.
Was hatte der denn schon wieder?Er hatte doch alles erreicht, was er wollte.
Er würde heiraten!
Heute!Er hatte sich gefügt, weil es sowieso egal war. Die Liebe war unerreichbar für ihn, was er wollte, wirklich wollte, würde er nie bekommen.
Lisa und er würden eine gute Ehe führen, zumindest hoffte er das.Sie waren Freunde fürs Leben, das war mehr, als andere Paare von sich behaupten konnten.
Und wenn es nicht klappte?
Auch kein Weltuntergang - nichts war mehr für die Ewigkeit, heutzutage.Noch immer tobte sein alter Herr im Flur, die leise, unterwürfige Stimme seiner Mutter war mittlerweile auch zu hören. „Heinrich-Gustav, mach jetzt endlich diese gottverdammte Tür auf!", brüllte sein Vater.
„Bitte!", flehte seine Mutter.Er schwang sich seufzend aus dem Bett, presste beide Hände an seinen Schädel, um ihn am Platzen zu hindern.
„Komme schon!", murrte er.Langsam schlurfte er in Richtung Tür, schloss auf.
„Deine Braut ist weg!", schrie Gustav-Albert los.
Henry sah ihn verständnislos an. Seine grauen Zellen schienen gestern ordentlich geschädigt worden zu sein.„Wie? Was? Warum?", stammelte er.
„Warum weiß ich nicht, aber sie hat sich an zusammengeknoteten Bettlaken aus dem Fenster abgeseilt", brüllte der Ältere.
Als diese Nachricht Henrys Gehirnwindungen durchlaufen hatten, fing er an zu lachen.
Er lachte und lachte und lachte.
Lisa!
War abgehauen!
Durchs Fenster!Er fasste es nicht!
Das war gut!
Das war der Gag des Jahres!Die halbe High Society seiner Heimatstadt war im Hotel versammelt, um dem gesellschaftlichen Ereignis beizuwohnen, und seine Braut hatte sich davon gemacht!
Er hatte ja schon eine Reihe von Filmen gesehen, zusammen mit Lisa, die von der Braut, die sich nicht traut, handelten.
Doch er konnte sich an keinen erinnern, bei dem die Frau aus dem Fenster geflüchtet war, an einem Bettlaken!Doch ihr traute er das voll und ganz zu.
An der Kletterwand hatte sie ihn immer geschlagen, leicht wie sie war, aber mit trainierten Armen.Lachtränen liefen ihm übers Gesicht.
Er schniefte seine Nase frei, sah seinen Vater offen an.
„Ja, das kommt davon, wenn man Menschen manipulieren will!", japste er.
Der Senior schien vor Wut zu platzen, schien kurz davor zu sein, seinem Sohn eine Ohrfeige zu geben, bremste sich gerade noch ein.„Bernie ist auch durchs Fenster raus!", flüsterte seine Mutter.
Alarmlichter der Liebe und Sorge gingen in Henrys Kopf an.
„Bernie?", fragte er nahezu atemlos. „War er hier?" Henry verstand die Zusammenhänge nicht.
Wollte oder sollte sein Bruder an seiner Hochzeit teilnehmen?„Im Heim hat es gebrannt. Die Kinder mussten alle abgeholt werden. Frau Schneider hat Bernie ins Hotel gebracht, ihn in ein Zimmer eingeschlossen, damit niemand ihn zu Gesicht bekommt", die Stimme seiner Mutter brach, ihr vorwurfsvoller Blick lag auf ihrem Mann.
„Das fehlte noch, dass der Behinderte hier rumläuft und alle Bescheid wissen!", tönte sein Vater ohne die Spur eines schlechten Gewissens. „Wir haben schon alles abgesucht, nicht, dass er irgendjemandem auffällt und quatscht - und alles fliegt auf!"Henry konnte nicht mehr. Dieser Mensch - obwohl Mensch ja eigentlich zu positiv war - würde sich nie ändern.
Er schob die Eltern aus seinem Zimmer, hörte, wie sie auf dem Flur zu streiten begannen. Der dröhnende Bass des Vaters gegen die leise, ängstliche Stimme seiner Mutter.
Schnell verschloss er seine Ohren, er musste sich um Bernie kümmern.
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Einfach nur weg (ONC 2024)
RomanceAm Vorabend ihrer Hochzeit mit Heinrich-Gustav von Wertheim, von allen außer seinem Vater Henry genannt, überfällt Lisa die schiere Panik. Ohne lange darüber nachzudenken, flüchtet sie aus dem Hotel, auf einem nicht gerade üblichen Weg. Doch diese I...