Kapitel 10

189 35 255
                                    

Zurück im Jetzt - Teil 4

Die Freundin kam Bernie entgegengerast, er umarmte sie, hob sie hoch, drehte sich mit ihr im Kreis. Sie hatte ihn auch vermisst, er fühlte das genau.
Er setzte sie wieder vorsichtig ab, fing an, wie ein Wasserfall auf sie einzureden. Er musste ihr doch alles erzählen, was passiert war in den letzten Stunden.

Doch sie wäre nicht Klara, wenn sie nicht auch etwas zu kritisieren gehabt hätte. „Du darfst nicht so schreien!", erklärte sie. Als sein Kopf allerdings etwas nach unten sank, fügte sie schelmisch grinsend hinzu: „Heute vielleicht schon!"

Das brachte sein glückliches Lächeln zurück.

Klaras Eltern kamen nach draußen, begrüßten Lisa und Henry, baten sie auf einen Kaffee ins Haus. Sie waren froh, dass sie Bernie gebracht hatten, Klara war sehr unruhig gewesen.

„Danke!", lehnte Henry das Angebot ab. „Wir wären Ihnen dankbar, wenn wir Bernie eine Stunde hierlassen könnten. Wir hätten dringenden Redebedarf."
Da erinnerte sich Klaras Mutter, dass ja heute die groß angekündigte Hochzeit der beiden hätte sein sollen. Aber diskret hielt sie sich mit Fragen zurück.

„Natürlich! Kein Problem! Holen Sie Bernie wieder ab, wann es Ihnen passt!", erklärte sie lächelnd.

Erleichtert fuhren Henry und Lisa zu ihrer gemeinsamen Wohnung. O ja! Redebedarf hatten sie.

Auf der Fahrt schwiegen sie, aber es war kein vorwurfsvolles, kein verbittertes Schweigen.
Im großzügigen Wohnzimmer ließ Lisa sich auf das riesige Sofa fallen.
Henry holte eine Flasche Wasser und zwei Gläser, setzte sich in den Sessel ihr gegenüber, schenkte ein, schob ihr lächelnd ein Glas über den Tisch zu.

Als sein Blick auf die Wanduhr fiel, wurde aus dem Lächeln ein Grinsen. „In einer Stunde würde die Zeremonie beginnen!" Er versuchte einen neuen Lachkrampf zu unterbinden. „Ich möchte zu gern die Gesichter der Leute sehen, wenn Vater ihnen erklärt, dass sie wieder nach Hause fahren können!"

Sie schüttelte den Kopf. „Was für eine Schnapsidee war das denn gewesen? Heiraten? Wir beide?" Jetzt im Nachhinein konnte sie das alles nicht mehr verstehen. Als sie den Plänen Gustav-Alberts zugestimmt hatte, war ihr eigentlich alles egal gewesen. Wenn es für Henrys Zukunft besser war, dann würden sie eben heiraten.

Danach hatten die überstürzten Vorbereitungen sie so gefordert, dass sie nicht mehr zum Denken, zum Hinterfragen gekommen war. Heute war ihr klar, dass sie das alles auch als Pflaster für ihre Seele gebraucht, als Kitt für ihr Herz, das einen ordentlichen Sprung bekommen hatte.

Dann musste eine Frage aus ihr, die wichtiger war als dieser Hochzeitsflop. „Warum wusste ich nichts von Bernie?"

Henry wand sich nur kurz, ihm war klar, sie musste heute eine Antwort bekommen. Er begann zu erzählen: Von der Schwangerschaft der Mutter, dem Streit der Eltern, den Ängsten eines Zehnjährigen, dem angeblich toten Bruder, wie er das Geheimnis um Bernie entdeckt hatte.

Von der Zeit danach, als der Junge seine Zuflucht geworden war, sein engster Vertrauter. Nur das, was er nur Bernie hatte erzählen können, kam noch immer nicht über seine Lippen.

Lisa war froh, endlich verstanden zu haben – auch darüber, dass es sich bestätigt hatte, dass Henry sich nicht wegen Bernie schämte.

Doch danach musste natürlich das eigentliche Hauptproblem angesprochen werden.
„Was machen wir denn jetzt mit uns Nicht-Verheirateten?", fragte sie lächelnd.

Henrys Blick schweifte ab, wurde dunkel, er atmete tief ein und wieder aus. Als er sie wieder ansah, bemerkte sie eine neue Entschlossenheit in seinen Augen. Sein Körper spannte sich an.
„Vielleicht endlich, was unsere Herzen sagen?", schlug er vor.

Einfach nur weg  (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt