Kapitel 24

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Gustav-Albert tobte durchs leere Haus. Er verstand die Welt nicht mehr. Seine Frau Rebecca, die Träne, schien sich davon gemacht zu haben. Einer seiner Söhne war ein Mongo, der zweite wahrscheinlich schwul!

Er hatte mit der jungen Lisa die perfekte Lösung gefunden, hatte alles gut geplant und eingefädelt, war der Meinung gewesen, eine Marionette geschaffen zu haben, an deren Fäden er nach Belieben ziehen konnte - und jetzt brach die Welt um ihn zusammen.

Seinem Sohn hatte er ein Ultimatum gestellt: Hochzeit oder Rausschmiss aus der Firma. Dann hatte Lisa alles platzen lassen, dieses dumme Ding. Wie sollte es nun weitergehen?
Er war zum Gespött der Stadt geworden.

Er war wütend, er war enttäuscht, und vor allem war er einsam. Das wurde ihm eben mit einem Mal bewusst. Seine Frau war abgehauen, seine Söhne eine einzige Enttäuschung, Freunde hatte er keine.

Stets war er überzeugt gewesen, dass er die nicht brauchte, dass es genügte, erfolgreich zu sein.

Erfolgreiche Männer brauchten niemanden. Doch hier in seinem großen Haus alleine zu toben, war nicht das, was er sich für sein Leben erhofft hatte. Er hatte stets geherrscht - in der Firma wie in der Familie, aber geliebt hatte er nie.

Da war es auch nicht verwunderlich, dass er nicht geliebt wurde. Gefürchtet ja, aber geliebt nicht. Zum ersten Mal in seinem Leben vermisste er jemanden, der ihm zuhörte, der ihn in den Arm nahm.

Geld war für ihn immer an erster Stelle gestanden.

Das Erbe seines Vaters verpflichtete ihn zum Erfolg.

Albert von Wertheim hatte während des Kriegs als Maschinenbauer in einem Rüstungsbetrieb gearbeitet, war vom Dienst an der Front verschont geblieben. Nach dem Zusammenbruch hatte er in einer provisorischen Werkstatt begonnen, für den Wiederaufbau des Landes notwendige Werkzeuge herzustellen. Schnell war er sehr erfolgreich gewesen, hatte das erste Unternehmen gegründet, das rasch gewachsen war.

Gustav-Albert war immer stolz darauf gewesen, dass es ihm gelungen war, diese Firma weiter auszubauen. Sein Sohn Heinrich-Gustav hatte dann innerhalb weniger Jahre daraus ein Weltunternehmen gemacht, hatte ein Händchen für erfolgreiche Zusammenschlüsse, Firmenübernahmen, Expansionen.

Die Menschen, die für sie arbeiteten, liebten den Junior wie sie den Senior fürchteten. Seit Henry – zum ersten Mal nannte er ihn im Geist bei diesem Namen – in der Firma etwas zu sagen hatte, gab es bei ihnen keinen Fachkräftemangel, denn sie bezahlten überdurchschnittlich gut, boten eine Menge an zusätzlichen Sozialleistungen wie Betriebsrente, Betriebskrankenkasse oder kostenlose Kita-Plätze.

Der neueste Plan Henrys sah den Bau von firmeneigenen Wohnungen vor, um den steigenden Mieten entgegenzuwirken.
Gustav-Albert wusste nicht einmal, wann der Junior das alles ausgearbeitet hatte.
Kroch da etwas wie Stolz in ihm hoch?

Mittlerweile war er bei seinem Rundlauf durch die überdimensionierte Hütte vor dem Spiegel im Badezimmer angekommen.

Ein Blick hinein zeigte ihm etwas, das er nicht sehen wollte: Ein aufgedunsenes feistes Gesicht, rotunterlaufene Augen, ein verbissener, dünnlippiger Mund, schütteres Haar, das seit gestern deutlich grauer geworden war.

Er würde sich jetzt erst einmal hinlegen. Morgen sähe die Welt dann sicher besser aus, besser für ihn.
Normaler.
Gewohnter.

Dann wären auch die Anflüge von Sentimentalität wieder vergangen, die sein überreiztes Gehirn heute produzierte.

Womöglich wäre er morgen in der Lage, endlich einmal mit seinem Sohn zu sprechen.
Er verstand sowieso nicht, warum er diesen Schritt bisher nicht hatte durchziehen können, wütend wie er war.
Wahrscheinlich hatte er Panik vor dessen Antwort.
Schließlich hatte er selbst mit seinem Ultimatum die Verbindung zwischen ihnen gekappt. Gleich nach Lisas Flucht hatte rasend vor Wut immer wieder Henrys Handynummer gewählt.

Doch schließlich hatte er den für ihn eher außergewöhnlichen Entschluss gefasst, sich erst einmal etwas zu beruhigen.

Eigentlich war er ja noch wütender auf diese Lisa, das dumme Mädchen, das eine glänzende Zukunft in den Wind geblasen hatte, warum auch immer.
Bei dem Gedanken an die Kleine musste er unwillkürlich lächeln.

Irgendwie mochte er sie.
Hatte sie gemocht! rief er sich zur Räson.
Sie hatte immer wieder Widerworte für ihn gehabt, etwas, das er nicht gewohnt war, das er aber schon auch ein wenig bewundert hatte.
Ohne es sich natürlich einzugestehen.
Ob er eine Tochter wie sie hätte lieben können?

Er sprang wieder aus dem Bett.
Verdammt! Warum war er heute so eine Memme?
Wahrscheinlich war ihm einfach alles zu viel geworden.
Die jungen Leute und seine Frau hatten gefälligst zu tun, was er befahl!

Seine Frau ...
Sie war eine Hübsche gewesen, erinnerte er sich lächelnd. Aber sie hatte kein Feuer in sich, nicht von der Art, die seine Leidenschaft entflammen konnte.
Aber dafür hatte es ja andere weibliche Wesen gegeben.

Er hatte Rebekka schon geliebt, irgendwie, auf seine ganz besondere Weise. Ihre Gesellschaft war angenehm gewesen. Sie hatte nie viel gesprochen, hatte ihm immer zugehört. Am Sex schien sie nicht viel Spaß gehabt zu haben, also hatte er nach der Geburt seines Stammhalters die Bemühungen um sie eingestellt.

Bis auf diese eine Nacht, als sie den Mongo gezeugt hatten. Wie alt war der jetzt wohl? Er versuchte sich zu erinnern. Sechzehn? Siebzehn? Er hatte keine Ahnung, hatte ihn aus seinem Gedächtnis gestrichen, vom Tag seiner Geburt an.
Wie es ihm wohl ergangen war?

Bei diesem Gedanken angekommen griff er nach der Whiskey-Flasche. Jetzt half wohl nur noch Alkohol, wenn er schon über den Behinderten nachdachte.

Morgen würde er versuchen, Henry zu erreichen oder zu finden. Vielleicht drang er bei seinem Sohn durch, konnte sein Ultimatum etwas abschwächen, ohne sein Gesicht zu verlieren.
Er brauchte ihn in der Firma, das musste er sich ohne Wenn und Aber eingestehen.

Mit dem zweiten Glas in der Hand ließ er sich auf einen Terrassenstuhl fallen, hörte Lachen und fröhliche Kinderstimmen, die aus den Nachbargärten zu ihm herüberdrangen. Hatte es das in seinem Garten je gegeben?

Wieder diese sentimentalen Gedanken. Er schenkte sich noch einmal nach. Die Bauers fielen ihm ein, Lisas Eltern, die ihre Tochter mehr oder weniger an ihn verkauft hatten. Er sollte sie aus dem Haus werfen, die Speichellecker, auf deren Schleimspur man leicht ausrutschen konnte.

Doch dann drang eine neue Einsicht in sein leicht benebeltes Gehirn. Er selbst hatte sie zu den Menschen gemacht, die sie heute waren. Natürlich waren sie empfänglich für seine intriganten Angebote gewesen.
Letztendlich allerdings waren sie Geschöpfe seiner Verlockungen geworden. Er würde keinen Gedanken mehr an sie verschwenden, würde einfach alles lassen, wie es war. Dann kostete es ihn auch keine Kraft.

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Einfach nur weg  (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt