Kapitel Fünf: Das Leben ist eine Wundertüte

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Jana

Es war früh am Abend, als ich mit Arabella von unserem Spaziergang am See wieder kam.
Nachdem ich Arabella die Hufe ausgekratzt hatte, stellte ich sie in ihre Box zu den anderen vier Pferden, die gemächlich ihren Futtertrog leerten. Anscheinend hatte Benny ihnen das Abendessen gebracht. Außerdem stand Thunder wieder ganz entspannt in einer Ecke, döste vor sich hin und entlastete wieder ein Hinterbein.
Ich warf meinen Führstrick und meinen Hufkratzer in die Putzkiste hinein, verschloss sie sorgfältig und brachte sie anschließend weg. Ich verabschiedete mich dann von Arabella.
>> Tschüss, meine Süße. <<, flüsterte ich dem Pferd zu. Arabella schnaubte mir zustimmend in den Nacken.
Es kitzelte und ich gab der Stute ein Küsschen auf die weichen Nüstern.
Als ich aus dem Stall trat, sah ich, dass sich meine Mutter und Louis immer noch unterhielten.
Inzwischen hatten sie sich auf die Holzbank gesetzt, die Thomas und Richard aufgebaut hatten.
Die Bank stand unter der großen Eiche, die mitten auf dem Hof stand. Je näher ich den beiden kam, umso mehr konnte ich Gesprächsfetzen hören.
Überleg dir das, Jenny ... einen Schein dafür machen ...
Als mich dann meine Mutter entdeckte, stand sie hastig auf und sagte dabei zu Louis: >> Also Herr Schulze, entschuldigung - Louis. Ich werde mich noch mit meinem Mann besprechen. Wir werden dich dann anrufen. <<
>> Alles klar. Und vielen Dank, dass du uns geholfen hast. <<, antwortete Louis.
Während er aufstand, rieb er sich die Hände an der Hose. Louis wandte sich dann an mich. >> Na, tapferes Mädchen. Alles klar bei dir, nachdem du von Thunder hin und her geschliffen wurdest? <<
>> Ja, nur meine Hände brennen jetzt ganz schön. Aber das werde ich auch noch überleben. Thunder macht aber seinem Namen alle Ehre. Der hat richtig Speed drauf. <<, antwortete ich und lächelte müde.
Louis lachte. >> Das glaube ich dir gern. Vielleicht solltest du Thunder beim nächsten Mal auf einer Koppel trainieren. <<
>> Meinst du? Ich denke eher, dass er sich erstmal an sein neues Zuhause gewöhnen muss. Schließlich war es für ihn ein bisschen überfordernd, schon gleich am ersten Tag nach seiner Ankunft, noch was leisten zu müssen. Nur leider kann ich ihn Zukunft ja nicht mehr trainieren. Wärst du so nett und könntest selbst mit den Pferden trainieren? <<
>> Das werde ich zumindest versuchen. Ich werde mich in den nächsten Tagen nach einem Pferdeflüsterer umsehen. Aber Kopf hoch, ich werde es schon hinkriegen. Ich wünsche dir viel Spaß bei der Ausbildung. <<
Ich lächelte und umarmte Louis zum Abschied. Mama und ich gingen dann zu unserem Wagen, der neben Louis' Wagen auf dem Besucherparkplatz parkte.
Während meine Mutter noch mal unseren Anhänger überprüfte, ob auch alles fest verschlossen war, ließ ich meinen Kopf erschöpft gegen das Fenster fallen. Mein Blick fiel auf mein verdrecktes Outfit. Meine Reithose war vom Schleifen aufgerissen und es lohnte sich nicht mir wieder eine Neue zu bestellen. Ich würde auch nach meiner Ausbildung, wenn ich aus Nürnberg wieder kam, nicht mehr reiten können oder die fünf misshandelten Pferde trainieren können.
>> Ist wirklich alles okay bei dir? <<, fragte Mama unvermittelt. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie ins Auto geklettert war.
Ich hob meinen Kopf und drehte ihn zu ihr. >> Ja, alles gut. <<
Dann fuhren wir los. Langsam und konzentriert rangierte meine Mutter den Anhänger. Um im absoluten Notfall helfen zu können, schaute ich in den Seitenspiegel auf meiner Seite. Hinten beim Anhänger stand Richard und gab meiner Mutter Anweisungen.
Ich schaute wieder zu Mama. Ich bewunderte sie sehr für ihre Geduld, Intelligenz und das Bewahren der Ruhe.
Nach gefühlt endlosen Minuten standen wir dann so, dass Mama geradewegs vom Hof fahren konnte. Ich senkte meinen Kopf wieder und schaute nur vor mich hin. Ich ließ die Bäume an mir vorbeiziehen und merkte viel zu spät, dass ich meine Augen schloss.
Sanft ließ ich mich beim Fahren hin und her schaukeln. Diese Art beruhigte mich komischerweise.

Plötzlich wurde ich nicht mehr hin und her geschaukelt und der Motor war auch aus. Ruckartig öffnete ich meine Augen und riss den Kopf hoch. Dabei stieß ich mir den Kopf am Autodach.
Autsch.
Dies war der absolute Nachteil, wenn man eins fünfundsiebzig groß war. Während ich mir den Kopf rieb, schaute ich mich panisch um.
Rund um das Auto war es stockfinster. Als ich mich nach hinten drehte, sah ich unsere Villa.
Um mein Herz wieder zu beruhigen, legte ich mir eine Hand auf meine Brust.
>> Na, gut geschlafen? <<, fragte mich Mama. Meine Mutter schnallte sich gerade ab und öffnete die Autotür.
>> Ich bin eingeschlafen? <<, fragte ich und schnallte mich ebenfalls ab.
>> Ja. Aber es ist auch kein Wunder. Du sahst auch sehr erschöpft aus. <<, antwortete sie.
Ich musste lächeln und gähnen gleichzeitig. Ich war wirklich fix und fertig.
Trotzdem war ich auch unheimlich glücklich, weil das neue Zuhause für fünf misshandelte Pferde fertig geworden war. Als ich aus dem Auto stieg, spürte ich meine ganzen Muskeln.
Oje, das würde einen dollen Muskelkater geben.
Ich holte meinen Rucksack von der Rückbank und trottete Mama hinterher. Sie schloss die Haustür auf und ich stellte den Rucksack auf der Treppe ab.
Meine Füße waren heiß und brannten bei jedem Schritt. Meine Hände brannten auch, weil mir Thunder durchgegangen und davon galoppiert war. Ich war so dämlich gewesen und hatte die verdammte Longe nicht losgelassen, wie es mir Louis zugebrüllt hatte.
Die Folge davon war, dass ich mich eine Runde durch den Reitplatz schleifen lassen hatte.
Ich streifte mir meine Arbeitsschuhe von den Füßen.
Während ich die Treppe hoch lief, zog ich mir mein verschwitztes T-Shirt aus.
Ich nahm eine lauwarme Dusche und schäumte mir meinen Körper mit Bodyshampoo ein.
Meine Hände brannten ein bisschen, als das Shampoo daran hinab lief. Sie trugen zwar keine offenen Verletzungen, dennoch war die Haut gerötet und gereizt.
Nach der Dusche kämmte ich meine rechte Kopfseite zurück und klemmte sie mit einer goldenen Klammer fest, die von einem Pfau aus hellblauen Steinchen verziert wurde.
Ich zog eins meiner Lieblingssommerkleider an, das schwarz und schön luftig war. Dazu trug ich meine schwarzen Sandeletten, die einen Miniabsatz hatten. Kurz überlegte ich, ob ich mich noch schminken und Nagellack auftragen sollte.
Letztendlich entschied ich mich gegen ein aufwendiges Make-up. Ich brauchte mich ja gar nicht so aufzudonnern, da ich ja nicht auf eine Hochzeit ging.
Ich entschied mich für nur einen Lippenstift, der einen Korallen-Rot hatte. An der Tür am Kleiderschrank überprüfte ich noch einmal mein Outfit.
Langsam schlenderte ich die Holztreppe hinunter. Dabei musste ich verdammt gut aufpassen, um nicht über den Saum meines langen Kleides zu stolpern.
Das wäre ja eine echte Blamage, wenn ich vor dem Besuch meiner Eltern von der Treppe fliegen würde.
Vor mich hin grinsend, ging ich durch die Küche raus auf die Terrasse.
Das Erste, was ich sah, waren Milena und Justin. Sie saßen unten auf der Hollywoodschaukel, die sanft vor und zurück schwang. Milena hatte Mimi auf ihrem Schoß und kraulte zusammen mit Justin Mimis Fell. Sie machten dabei und Justin hatte einen Arm um Milenas Schultern gelegt. Er gab Milena ein kleines Küsschen auf ihren Haaransatz.
Die beiden sahen so vertraut und süß zusammen aus, fand ich.
Ich schaute nach links und erstarrte. Das war jetzt nicht Mamas und Papas Ernst ...
Das. Konnte. Jetzt. Nicht. Wahr. Sein.
Im nächsten Moment verschwamm die Silhouette des groß gewachsenen, jungen Mannes vor meinen Augen.
Ich schlug mir die Hände vors Gesicht und machte auf dem Absatz kehrt. Ich stürmte aus dem Garten, während mir die Tränen über das Gesicht liefen.
Ich achtete auch nicht mehr darauf, ob ich auf mein Kleid trat. Schluchzend verzog ich mich in die hinterste Ecke des Heubodens.
Was machte er hier mit seinen Eltern? Wieso war er jetzt hier? Hatte er nicht gesagt, dass er in Kanada lebte?
Ich war so überrumpelt von dem Besuch von den besten Freunden meiner Eltern. Jahrelang hatten wir nichts von ihnen gehört.
Ich zog meine Beine an meinen Oberkörper und umschlang sie mit meinen von der Sonne gebräunten Armen. Ich legte den Kopf auf meine Knie und wartete bis ich mich wieder beruhigte und keine Tränen mehr vergoss.

Jana & Nicki - Das schönste Jahr unseres Lebens ( Band 1 )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt