Kapitel Elf: Narben erinnern uns daran, dass die Vergangenheit Realität war

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Nicki

Als wir am Krankenhaus ankamen, kam ein Arzt in Begleitung eines Krankenpflegers und eines Assistenzarztes mit einem Rollstuhl angerollt. Ich half Alec in den Rollstuhl und half dann Jolina aus dem Rettungswagen zu klettern.
>> Hast du deine Handtasche dabei, Jolina? <<, fragte ich Jolina, bevor der Arzt mit den beiden verschwand. >> Dann kann ich euch schon mal ausweisen. <<
>> Ja, habe ich. Nehmen Sie sich einfach meine Handtasche. Unsere Ausweise sind in unserem Portmonnaies. <<, antwortete Jolina.
Ich nahm Jolinas Handtasche und die Zwillinge verschwanden mit den Ärzten zum Röntgen.
Ich suchte das Portmonnaie von Alec und Jolina aus der Tasche und wies die beiden aus.
>> Alles klar, die beiden sind eingetragen. Das sind die Zwillinge von Ehepaar Kronenholz, die einen schweren Unfall in der Nähe der Fußgängerzone hatten, richtig? <<, fragte die Krankenschwester hinter dem Tresen.
>> Genau, die Eltern wurden mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einer Milzruptur hier eingeliefert. Wissen Sie den aktuellen Zustand der beiden? <<, fragte ich.
>> Leider nein. Aber da Sie kein Angehöriger der Familie Kronenholz sind und aufgrund ärztlicher Schweigepflicht kann und darf ich Ihnen auch keine Auskunft geben. <<, erwiderte die Krankenschwester und entschuldigte sich mit einem Lächeln.
>> Natürlich, das verstehe ich. Aber trotzdem danke. <<
Die Krankenschwester gab mir die Personalausweise der Zwillinge wieder und ich verstaute sie ordnungsgemäß im Portmonnaie.
Ich wollte die Notaufnahme gerade wieder verlassen, um auf die Zwillinge zu warten, da wurde ich von der Krankenschwester aufgehalten.
>> Herr Neumann, was haben Sie denn da an Ihrer Seite? <<, fragte sie.
Shit. Die Verbrennung. An die hatte ich gar nicht mehr gedacht. Ich drehte mich um und lächelte.
>> Ich habe mich vor Ort bei der Rettung an die Motorhaube gelehnt, die noch heiß war. Mein eigener Fehler. <<, erklärte ich.
>> Das muss sich jemand mal angucken. <<, sagte die Krankenschwester, nachdem sie noch einmal meine Verbrennung begutachtet hatte.
>> Wenn's sein muss. << Ich zuckte die Schultern.
>> Da die Schockräume hier alle besetzt sind und auch sowieso die Unfallchirurgen gerade keine Zeit haben, müssen wir nach oben in die Ambulanz. <<, meinte die Krankenschwester.
>> Okay. <<
Als wir die Notaufnahme verließen, kamen uns der Oberarzt und der Assistenzarzt mit Alec und Jolina entgegen.
>> Hey, ihr zwei. Was gibt's? <<, erkundigte ich mich.
>> Doktor Auerbach hat bei uns beiden einen Knochenbruch festgestellt, der konservativ behandelt werden kann. <<, berichtete Alex, als er mit Krücken auf mich zu gehumpelt kam.
>> Das hört sich doch gut an. Ähm ... Hört mal, ich muss noch einmal hoch zur Ambulanz und etwas abklären. Setzt ihr euch solange in die Cafeter, ich komm nachher zu euch. <<, sagte ich den Zwillingen.
Die Zwillinge nickten. Ich gab Jolina ihre Handtasche zurück und beeilte mich der Krankenschwester zu folgen. Wir stiegen in einen Fahrstuhl und fuhren hoch.
Ich war bis jetzt nur einmal im Krankenhaus gewesen. Meine eigene Geburt war eine Ausnahme.
Ich konnte mich aber ziemlich gut an die Geburt meiner beiden Cousinen Lotta und Maja vor achtzehn Jahren erinnern.
Ich war damals erst vier Jahre alt gewesen, aber Mama hatte mir ein paar Jahre später erzählt, dass ich erst stinksauer war, als ich nach der Geburt erfahren hatte, dass ich ein Mädchen-Zwillingspaar als Cousinen hatte. Aber dann hatte Mama mir erzählt, dass ich richtig stolz auf meine Cousinen gewesen war. Maja und Lotta hatten sich damals einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht. Denn mein Onkel Benjamin und meine Tante Franziska hatten zu diesem Zeitpunkt in Berchtesgaden bei uns Urlaub gemacht, da sie eigentlich in der Schweiz lebten. Genau zur Halbzeit hatten sich Maja und Lotta entschieden auf die Welt zu kommen.
Einen Tag später hatte ich zusammen mit meinen Eltern meine Cousinen besucht.

Oben angekommen lief für Krankenschwester zu einem Counter.
>> Hallo. Kann sich jemand bitte Herrn Neumann ansehen? Er hat eine verbrannte Stelle an der Seite. <<, meinte sie.
>> Das kann ich machen. <<, meinte eine leicht genervte Stimme neben mir.
Neben mir war ein braunhäutiger Mann mit schwarzen Haaren aufgetaucht. Er trug einen weißen Kittel und knallte gerade ein Klemmbrett auf den Counter.
Neben mir zuckte die Krankenschwester kurz zusammen.
Sein Blick fiel auf meinen nackten Oberkörper. >> Machen sie einen auf selbstverliebt? <<
Bitte was? Was erlaubte sich der Kerl gerade? Sollte er nicht als Arzt, sein bestes Einfühlungsvermögen gegenüber seinen Patienten zeigen?
Für ihn gab es anscheinend eine Ausnahme.
Ein kleines bisschen war ich aber auch an der ganzen Sache beteiligt.
Ich hätte ja kurz nach Hause fahren, mir ein neues T-Shirt besorgen und dann erst zur Klinik fahren können. Aber nein, Neumann dachte immer erst nach, wenn es schon zu spät war.
Die ganzen Krankenschwestern schauten mich mit großen Augen an. Auch ein paar Ärztinnen waren darunter.
Es kam bestimmt nicht oft vor, dass halbnackte Polizisten mit einer Verbrennung ins Krankenhaus kamen, die ihren Sixpack präsentierten. Vielleicht gehörte ich gerade zu einen von vielen Frauenhelden, aber im Moment war mir das hier gerade etwas unangenehmen.
Aber die meisten beachteten mich nicht und waren mit sich selbst beschäftigt.
>> Piet. <<, zischte die Ärztin, die neben dem Knallfrosch stand.
Der Knallfrosch verdrehte die Augen. Ein typischer Leck-mich-doch-am-Arsch-Blick. Dann sah er mich wieder mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ich sah ein letztes Mal auf meinen Oberkörper und fing dann an mich zu verteidigen. >> Passen Sie schön auf, lieber Herr Doktor. Sie verhalten sich hier ganz schön respektlos gegenüber einem Polizisten. Hat Ihnen Ihre Mutter das etwa nicht beigebracht, wie man sich in der Öffentlichkeit benimmt? Vor allem gegenüber Polizisten, die ein paar Ränge höher sind, als Sie? Entschuldigung, dass ich oberkörperfrei hier auftauche. Aber ich war gerade an einem Unfallort und habe einem schwerverletzten Feuerwehrmann das Leben gerettet! <<
Mit jedem Satz war ich lauter geworden. Inzwischen starrten mich jetzt auch um uns herumstehende Patienten an. Aber das war mir jetzt sowas von scheißegal. Jemand musste dem Knallfrosch ja die Stirn bieten.
Der Knallfrosch sah mich ausdruckslos an und drehte sich dann einfach um. >> Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen. <<
Ich blieb fassungslos zurück.
Do legst di nieda! Der Kerl hatte ja wirklich echte Eier in den Hosen.
>> Doktor Ostermann! Sofort in mein Büro! <<, rief eine strenge Stimme.
Hinter mir stand eine Frau mittleren Alters in einem weiß-gelben Sommerkleid und weißen Kittel.
Sehr stylisch.
>> Kommen Sie, ich schau Sie mir an. <<, meinte die Ärztin, die den Knallfrosch zurechtweisen wollte, aber gescheitert war.
>> Vielen Dank. <<, antwortete ich und folgte der Ärztin in ein Behandlungszimmer.
Hinter uns kam eine weitere Assistenzärztin her gedackelt, die die erste Ärztin vorhin noch gebeten hatte, mitzukommen.
>> Ich bin Frau Doktor Braun und das ist Frau Doktor Krieger. <<, stellte sie sich vor. >> Entschuldigung für das Verhalten meines Kollegen. <<
>> Doktor Ostermann kann ein ganz schönes ... <<, wollte Doktor Krieger sagen, doch Frau Doktor Braun unterbrach sie mit einem kurzen mahnenden Blick. >> Äh, ich wollte sagen, dass Doktor Ostermann ganz schön hart sein kann. <<
Ich lachte auf. >> Merkt man. Ist der denn immer so drauf? <<
>> Es kommt immer drauf an, wie er Sie in seinen Augen sieht. <<
>> Ah, ja. <<
>> Doktor Krieger, schlagen Sie mal Ihr Tablet auf und Schauen Sie, was Herr Neumann hat. <<, forderte Frau Doktor Braun die Assistenzärztin auf.
>> Laut der Anamnese hat Herr Neumann eine Verbrennung an der Seite. <<, sagte Doktor Krieger.
Doktor Braun nickte. >> Und wenn Sie sich mal die Verbrennung selber genauer ansehen, was würden Sie sagen? <<
>> Herr Neumann hat eine Verbrennung zweiten Grades. Die Symptome sind eine Bildung geschlossener Blasen, stark gerötete Wundfläche und schwere Schmerzen. <<, zählte Doktor Krieger auf.
>> Dankeschön. <<, bedankte sich Doktor Braun.
>> Ist eine Verbrennung solchen Grades gefährlich? <<, fragte ich.
>> So eine Verbrennung ist nicht so gefährlich, wenn Sie nicht die frischen Brandblasen aufreißen. Dann besteht Infektionsgefahr. <<, erwiderte Doktor Krieger.
>> Was kann ich tun? <<, hakte ich nach.
>> Am besten ist, wenn Sie die Verbrennung mit lauwarmen Wasser von einer Temperatur von zehn bis fünfzehn Grad kühlen. <<, riet mir Doktor Braun.
>> Okay. Ähm ... Darf ich Ihnen eine Frage stellen? <<, fragte ich.
>> Ja, na klar. <<
>> Dürfen Sie mir sagen, wo sich ein Feuerwehrmann mit schweren Verbrennungen im Gesicht befindet? <<, fragte und ich rechnete mit einem Nein, aber Doktor Braun sagte etwas anderes.
>> Sie meinen Herrn Jansen? Herr Jansen wird gerade mit einem Hubschrauber in ein Verbrennungszentrum für Schwerverletzte nach München geflogen. <<, antwortete Doktor Braun.
>> Oh, kann man ihn denn besuchen? <<, fragte ich.
>> Ja, klar. <<
>> Danke für Ihre Mühe. Auf Wiedersehen. <<, bedankte ich mich und wollte nach meinem T-Shirt greifen, aber ich erinnerte mich daran, dass ich kein T-Shirt dabei hatte.
>> Nicht der Rede wert. Gute Besserung. <<, wünschten mir die Ärztinnen.
Ich verließ das Behandlungszimmer und fuhr mit dem Fahrstuhl runter in die Cafeteria.

Jana & Nicki - Das schönste Jahr unseres Lebens ( Band 1 )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt