„Da geht es ja total tief hinunter!", stellte ich fest, als wir endlich nach einem langen Fußmarsch am Ende der Plattform angekommen waren. „Du hast es erfasst", sagte Charlie schnippisch.
Ich war mir relativ sicher, dass er sauer auf mich war, weil ich ihn auf dem Weg bis hier her ganz schön zugetextet hatte - während er nur immer wieder ein „Aha" oder ein „Mhm" von sich gab.
Die Nervosität und meine Angst verwandelten mich in eine anstrengende Plaudertasche und im Nachhinein betrachtet, konnte ich verstehen, weshalb er so genervt von mir war und den Eindruck machte, dass er mich erwürgen wollte.
„Siehst du die andere Plattform schon? Sie ist ein wenig vom Nebel bedeckt, aber wenn du genau hinsiehst, siehst du es lila schimmern", meinte er und ich sah konzentriert in die Ferne. Er hatte recht. Tatsächlich konnte ich etwas erkennen. Doch es schien mir so weit weg, dass es mir unmöglich vorkam da - so wie Charlie die ganze Zeit nannte - hinüberzuspringen.
„Jetzt sind deine sportlichen Fähigkeiten gefragt, sagte er, beinahe so, als hätte er meine Gedanken gelesen. Blöd nur, dass ich nie so richtig sportlich gewesen bin. Ich saß lieber zu Hause vor dem Fernseher und wenn der aus war, laß ich ein Buch. Ab und zu spielte ich mit meinem Cousin Romeo Fußball, wenn meine Tante ihn wieder mal vor die Tür gesetzt hatte, weil er ihr zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbrachte.
Weil wir nicht weit voneinander entfernt wohnten, kam er meistens bei mir vorbei und wir kickten dann wenig in unserem Garten, bis er das Gefühl bekam, dass er genug draußen gewesen war und der Meinung war, er sollte sein Handy wieder bekommen.
„Das werden wir unmöglich schaffen! Kein Mensch kann so weit springen!", behauptete ich und Charlie schmunzelte. „In deiner Welt vielleicht!"
Er macht ein paar Schritte zurück und rannte auf den Abgrund zu. „Bist du verrückt?", brüllte ich erschrocken und sah ihn in meinen Gedanken schon in die Tiefe stürzen. Er sprang ab und im nächsten Moment landete er unelegant auf der gegenüberliegenden Plattform. Der Nebel war und nun lichter und ich konnte ihn nicht nur lachen hören, sondern auch sehen.
„HAHAHA! Siehst du?", rief er mir zu und wegen seiner aufgebrachten Stimme nahm mich an, dass er voll mit Adrenalin gepumpt war, auch wenn er versuchte so zu wirken, als würde er da jeden Tag hin und her hüpfen. „Komm! Du bist dran!", er winkte mir zu und ich biss meine Zähne zusammen. Ich sah hinunter zu meinen Füßen vor welchen sich der Abgrund befand. Es fühlte sich so an, als würde ich auf einer Klippe stehen.
Würde ich es wirklich schaffen? Mein Herz begann zu rasen und ich versuchte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken. „Ich kann das nicht!", jammerte ich.
„Doch, komm du schaffst es! Nimm Anlauf und spring!", ermutigte mich Charlie und ich blickte angsterfüllt hinunter in den Abgrund. Ich hatte keine andere Wahl. Ich konnte nicht hierbleiben. Ich musste springen. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und machte ein paar Schritte zurück.
Reflexartig hielt ich den Atem an und sprintete los. Kurz vor dem Ende der Plattform sprang ich und hatte dabei mein Ziel genau vor Augen. Meine Hände hatte ich ebenfalls in dessen Richtung gerichtet und als ich in der Luft war, merkte ich, dass ich immer tiefer fiel. Mein Herzschlag setzte für eine Sekunde aus und ich sah schon mein ganzes Leben an mir vorbeiziehen. Es war doch von Anfang an klar, dass ich es nicht schaffen würde!
Schnell warf ich einen Arm in die Höhe und griff nach der Plattform. Ich hatte sie gerade noch erreichen können. Panisch begann ich zu schreien, während ich das erste Mal einen Blick unter eine sogenannte „Plattform" werfen konnte. Es wirkte so, als wäre es eine Art Ebene, so, wie ich sie aus dem Matheunterricht kannte - nur waren sie nicht unendlich.
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Hinter dem Bildschirm
PertualanganEndlich ist es so weit! Elodies altes Nokia ist Geschichte, als ihr ihre Tante gegen den Willen ihrer Mutter zum 15ten Geburtstag ein brandneues Smartphone schenkt. Sie freut sich riesig darüber sich endlich mit ihren Freunden über soziale Medien un...