Das erste, was ich hörte, als ich langsam zu mir kam, war ein schleifendes Geräusch.
So, als ob jemand ein Messer an einem Stein schärft. Ich versuchte mich zu orientieren, doch aufgrund der hämmernden Kopfschmerzen fiel es mir unglaublich schwer, meine Umgebung einzuschätzen. Ein beißender Geruch nach Desinfektionsmitteln stieg mir in die Nase und ließ mich röcheln. Meine Kehle war wie ausgetrocknet. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich bewusstlos gewesen war. Wo war ich hier?
Woher kam dieses Geräusch? Und warum fühlte ich mich dermaßen miserabel?
Oh Gott, mein Kopf... Ich kniff schmerzverzerrt meine Augen zusammen. Verdammt, das war hundertpro eine commotio cerebri.
Der medizinische Begriff, der nichts anderes als Gehirnerschütterung bedeutete, hämmerte lautstark gegen meine Schädeldecke.
Ich blinzelte und versuchte, meine Gedanken zu sammeln. Ich dürfte definitiv nicht hier sein. Das war nicht gut. Überhaupt nicht gut...
Was war das Letzte, woran ich mich erinnerte...? Ich war, es war ... Was war für ein Tag heute?
Ich musste mich konzentrieren. Komm schon, Aurela. Also, ich war als letztes auf dem Heimweg von der ... Bibliothek!! gewesen. Ich habe auf meinen Dad gewartet. Vor dem Eingang. Und dann... Nur ein schwarzes Loch. Totale Leere.
Wo war mein Dad jetzt gerade? Wusste er schon, dass ich weg war? Er dreht vor Sorge wahrscheinlich gerade durch. Am liebsten hätte ich angefangen zu weinen, so überfordert war ich von dem Alptraum, der sich mit bot.
Langsam versuchte ich mich aufzusetzen. Dabei schoss mir ein höllischer Schmerz durch den Oberarm. Ich stöhnte leise auf. Himmel, was war das? Wieso brannte das so unfassbar?
Ich blickte nach unten und tastete gleichzeitig mit meiner Hand nach der schmerzenden Stelle. In dem Dämmerlicht konnte ich nur erahnen, aber nicht wirklich sehen. Als ich meinen Arm berührte, spürte ich eine warme, zähflüssige Feuchtigkeit zwischen meinen Fingern.
Blut.
Alles war voller Blut. Da war eine tiefe Schnittwunde in meinem Arm.
Ich hatte mich bereits durch das Kursmaterial für die Medizinstudenten im dritten Semester durchgearbeitet und wusste, dass sie mir bis in die Hypodermis reichte.
Verdammt, das heißt, sie war tief.Der Schnitt war akkurat und gerade gesetzt und genau an der richtigen Stelle durchgeführt worden, um meinen eingesetzten Peilsender zu entfernen. Wer auch immer das Skalpell geführt hat, wusste, dass ich einen besitze und wo er sich befindet. Und er hat Erfahrung beim Umgang mit dem scharfen Messer.
Ich konnte an meiner Wunde keine Spuren für ein Zittern oder Zögern feststellen.
Übelkeit machte sich in mir breit. Das hier war nicht gut. Ich wusste nicht wo ich war und mein Dad konnte mich ohne den Sender nicht finden. Ich lag in meinem eigenen Blut, hatte eine tiefe Schnittwunde, die dringend gereinigt und mit sterilen Verbänden versorgt werden musste und was am Schlimmsten war: derjenige, der sie mir zugefügt hatte, schleift irgendwo hier gerade ein Messer oder etwas anderes Krankes, mit dem er mich noch mehr verletzen könnte.
Ich musste hier dringend raus. Sofort!
Mittlerweile hatten sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt und ich konnte die Umrisse meiner Umgebung genauer ausmachen.
Ich befand mich in einem Raum ohne Fenster. Die einzige Lichtquelle war eine kleine Glühbirne, die von einer grob gezimmerten, maroden Holzdecke hing. Der einzige Weg aus diesem Loch war ein mannshoher Durchgang mir gegenüber.
Es roch muffig und süßlich. Ich hatte mich oft heimlich in das Bestattungshaus von Onkel Esteban geschlichen, um ihm bei der Versorgung der Toten zu helfen.
Ich wusste also, wie totes Fleisch roch. Und irgendwo hier verweste definitiv etwas. Ich spürte Panik in mir aufkommen. Durchatmen Aurela! Denk logisch! Blende alles andere aus!
Das war leichter gesagt als getan. Ich war zwar eine Zwölfjährige, mit einem unfassbar hohen Intellekt, aber dennoch war ich keine Maschine. Ich hatte Gefühle. Eine Menge sogar. Viele davon sehr oft gleichzeitig, auch, wenn ich ziemlich isoliert mit meinem Dad und unseren Leibwächtern aufgewachsen bin. Naja, und meinem echt schrägen Onkel Esteban, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Onkel Fester aus der „Addams Family" aufwies.
Aber dennoch hatte ich Gefühle, auch, wenn das Hochbegabten in der Regel immer ein wenig abgesprochen wurde und sie als „Kopfmenschen" bezeichnet werden. Was auch oft so war, doch ich ich bin auch hier anscheinend wieder die Ausnahme.
Aber nichts hier machte Sinn in dieser mega Scheiße und die Angst verursachte einen bitteren Geschmack in meinem Mund.
Das hier war neu. Nicht logisch. Und einfach furchteinflößend.
Ich atmete tief und ruhig mehrere Male Ein und Aus.
Was echt kein Genuss war. Dieses fensterlose Loch mit seinem Gestank war wie der Warteraum zur Hölle. Außerdem begann mir dieses ständige Schleifgeräusch auf die Nerven zu fallen.
Andererseits machte es mir fast noch mehr Sorge, wenn es plötzlich enden würde. Scheiße, scheiße!!!! Atmen! Atme!Langsam atmete ich weiter und spürte, wie sich mein hämmernder Puls etwas beruhigte. Ich schloss die Augen und ließ meine Hände über den Boden fahren, auf dem ich saß.
Es war kein gedielter Kellerboden, sondern nur lose Erde. Ich nahm eine handvoll und roch vorsichtig daran. Es war eine Mischung aus Lehm und Sand.
Ich war also richtig am Arsch (dieser Ausdruck hätte mir auf jeden Fall einen Straf-Abwaschdienst eingebracht), denn das, zusammen mit der Decke und der ganzen Aufteilung des „Raumes" ließ mich darauf schließen, dass ich nicht in irgend einem Keller gefangen war, sondern unter einem Keller.Dieser Psychopath hatte sich ein Loch unter seinem Keller gebuddelt, wie ein geistesgestörter Maulwurf, um hier seine schrecklichen Schleif-Skalpell-behafteten Fantasien auszuleben.
Das war schlimm, das war richtig schlimm. Ich musste hier sofort verschwinden. Langsam krabbelte ich in Richtung des Schleifgeräusches. Es befand sich natürlich gleich neben dem einzigen Weg aus diesem Raum. Toll. Wie hoch waren die Chancen, da ungesehen vorbei zu kommen? Ich beantwortete mir diese hypothetische Frage besser nicht... Aber hierbleiben war definitiv keine Option. Im Gegenteil. Ich hätte schon viel eher aus diesem Keller abhauen sollen. Was habe ich stattdessen getan? Sinnlose Atemübungen und fast losgeheult...
Meine langen Haare klebten mir schmutzig und verschwitzt im Nacken. Doch bevor ich überhaupt ein nennenswertes Stück Richtung Freiheit krabbeln konnte, stieß ich mit dem Kopf unsanft gegen etwas Hartes. Meine Gehirnerschütterung meldete sich prompt zurück und mir wurde kurz schwarz vor Augen. Ich wartete, ob ich mich übergeben musste, doch nach weiteren Atemübungen, konnte ich mich weites gehend wieder fassen. Verfluchter Mist, was war das denn? Tastend streckte ich meinen unverletzten Arm nach vorn und tatsächlich: Vor mir befanden sich Gitterstäbe. Schwarze Gitterstäbe, kaum in dem Dämmerlicht zu erkennen. Die Erkenntnis ließ mich zurückfahren.
Ich saß in einem Käfig. In einem beschissenen Käfig, wie ein Tier aus dem Zoo.
Schutzlos und Ausgeliefert.
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wild swallow #1
Storie d'amore"Was glaubst du, was du hier tust?", fuhr ich ihn an. "Ich rette uns das Leben. Du kannst dich später bedanken, principessa", erwiderte er jovial. Er legte seine große Hand auf meinen Rücken und drückte mich Richtung Ausgang. "Du läufst davon", zisc...