„Theresa hat heute eine Eins bekommen. Sie ist schon jetzt so viel besser und klüger, als wir es je hätten sein können. Sie hat allerdings angefangen, von diesem Jungen aus ihrer Klasse zu schwärmen. Darling, ich möchte nicht, dass sie einen Freund hat, bevor sie 18 ist", sagte Louis und streichelte über den kalten Grabstein. Manchester hat seit gestern die Minusgrade erreicht und obwohl Louis eine Frostbeule ist, ließ er sich den Besuch bei seinem Ehemann nicht ausreden. Wäre Philipp gerade hier, würde er Louis grinsend, aber mit rollenden Augen seine Jacke übergeben. „Ich habe dir dreimal gesagt, du sollst eine weitere Jacke mitnehmen", würde er jetzt vermutlich sagen. Aber er liebte Louis zu sehr, um ihn frieren zu lassen.
In Louis' Augen sammelten sich Tränen. „Timothee hat den Wettbewerb gewonnen, er wird Balljunge bei Manchester United während der Champions League. Seitdem er das weiß, schläft er wieder in unserem Bett, da er vor Aufregung allein nicht schlafen kann. Ich mag das, dann bin ich wenigstens nicht allein", erzählte Louis weiter, während die ersten Tränen über sein Gesicht liefen. „Die Woche war ansonsten hart, es war schließlich dein Geburtstag. Ich habe dir und den Kindern eine Reise nach Disneyland geschenkt, vielleicht möchtest du ja mitkommen?", fragte er den Grabstein und schüttelte den Kopf über sich selbst.
Er setzte sich im Schneidersitz auf den kalten Boden, zündete sich eine Zigarette an und zog den Rauch tief in seine Lungen. „Der Unbekannte aus dem Starbucks hat mich heute wieder angesprochen. Ich habe natürlich abgelehnt, du brauchst also nicht eifersüchtig zu sein. Lottie war allerdings dabei, sie drängt mich ein wenig. Philipp, du bist doch erst zwei Jahre weg. Was sollen die Kinder denken, wenn ich auf einmal mit einem neuen Freund ankomme? Sie würden mich hassen. Außerdem liebe ich nur dich", sagte Louis leise. „Lou, das Training fängt gleich an. Kommst du?", fragte Louis' Schwester, die sich vorsichtig ihrem Bruder näherte und ihre Hand auf seiner Schulter ablegte.
Louis nickte leicht. „Darling, ich muss jetzt leider wieder los. Timmy hat gleich Training. Du müsstest ihn sehen, er wird immer besser. Leider wirst du ihn nie sehen", sagte Louis leise und schluchzte. Lottie streichelte über Louis' Gesicht, wischte die Tränen vorsichtig weg. „Okay, ich geh jetzt wirklich, aber ich komm morgen wieder vorbei. Schlaf gut, ich liebe dich", sagte Louis und richtete sich langsam auf. „Tschüss Philipp", rief Lottie, bevor sie ihren Arm um Louis legte und ihn auf dem Weg zum Fahrzeug zu stützen.
Mehrere Minuten der Fahrt vergingen, bis Louis sich langsam beruhigte. Er musste stark sein. Seine Kinder sollten nicht sehen, dass er schwach ist. Er fühlte sich nie schwächer. Louis' Sohn hat seinen Vater zu oft weinen sehen in letzter Zeit. Es war ihm unangenehm, aber er konnte es nicht ändern. Er vermisste seinen Ehemann. „Lou, was hältst du davon, wenn ich die Kinder heute zu mir nehme?", fragte Lottie vorsichtig. Louis nickte. „Versprichst du mir, Niall anzurufen und nicht allein mit der Schnapsflasche auf der Terrasse einzuschlafen?", fragte Lottie, als sie das Trainingsgelände erreichten.
„Versprochen", log Louis, denn er würde seinen besten Freund sicher nicht anrufen. Er wollte allein sein, seine Gedanken benebeln und irgendwann einfach einschlafen. Louis' mochte sein Leben schon lange nicht mehr, aber seine Kinder hielten ihn darin fest, denn sie waren das Licht, das Louis durch die Dunkelheit führte. „Wehe, du lügst mich an", sagte Lottie. Louis schüttelte den Kopf und stieg aus dem Fahrzeug. „Viel Spaß mein Schatz, mach sie fertig!", sagte Louis seinem Sohn und schloss ihn fest in die Arme. „Hab dich lieb, Papa", sagte der kleine Mann und lief auf den Kunstrasen zu.
Lottie und Louis setzten sich auf die Tribüne. „Warum triffst du dich eigentlich nicht mit Starbucks - Mann?", fragte Lottie. „Weil ich verheiratet bin", sagte Louis, ohne überhaupt über seine Antwort nachzudenken. „Bitte sag jetzt nichts", flüsterte Louis, als er in Lottie's Gesicht sah, dass sie etwas erwidern wollte. Sie hätte ihm gesagt, dass Philipp tot ist und Louis sich nicht weiter daran klammern sollte, doch Louis konnte Philipp nicht aufgeben, er wollte ihn nicht aufgeben.
„Doch, ich möchte etwas sagen", sagte Lottie. Louis wollte es nicht hören. „Philipp hat dich geliebt, mehr als alles andere. Er würde nicht wollen, dass du unglücklich bist. Und du bist unglücklich. Das sehe nicht nur ich, sondern auch deine Kinder. Tess hat mich heute gefragt, was sie machen kann, damit du wieder lachen kannst. Lou, wir vermissen dein Lachen alle", sagte sie. „Ich kann das nicht, Lott's. Das fühlt sich falsch an. Ich gehöre zu Philipp", sagte Louis. „Ich verstehe dich, aber ich hoffe, dass du das irgendwann anders siehst", sagte sie. Das restliche Training schwiegen sie, denn Louis war nicht nach Reden zumute.
„Ich frage mich wirklich, woher sie das hat", sagte Lottie grinsend, als sie die Bibliothek erreichten, um Louis' Tochter einzusammeln. „Na, mein kleiner Einstein", begrüßte Louis sie und schloss sie in die Arme. Er lächelte, auch wenn das Lächeln seine Augen nicht erreichen konnte. „Tante Lottie passt heute Abend auf euch auf, wir fahren nur kurz nachhause und holen ein paar Sachen", sagte Louis, drehte seinen Körper währenddessen zur Rücksitzbank und sah seine Kinder an. Theresa zog es die Mundwinkel nach unten. „Süße, was hältst du davon, wenn wir morgen eine Pyjamaparty machen? Nur wir drei? Als Entschuldigung, dass ihr heute bei Lottie bleiben müsst", scherzte Louis und fing sich einen bösen Blick von Lottie.
„Ruf Niall an", sagte Lottie zur Verabschiedung. „Ja. Bring den beiden keinen Blödsinn bei", sagte Louis und drehte sich zu seinen Kindern, schloss seine Arme um sie. „Ich hab euch lieb", sagte er. „Wir dich auch, Papa", sagten seine Kinder beinahe im Chor, bevor sie das Haus verließen und Louis zurückließen. Louis tat, was er immer tat, wenn er allein war. Er nahm sich sein Hochzeitsalbum und eine Flasche Whiskey, trank das erste Glas in einem Zug aus.
Er blätterte durch das Buch. Es war lange her, dass Louis so glücklich wie auf diesen Bildern war. Er verlor sich in seinen Gedanken, ließ seinen Hochzeitstag Revue passieren, als es an der Wohnungstür klingelte. „Komm rein", rief Louis laut, denn er wusste, dass es nur Niall sein konnte. Niall hatte einen Zweitschlüssel. „Lottie hat dich angerufen?", fragte Louis, als Niall das Haus betrat. Er nickte. „Harten Tag gehabt?", fragte er mit Blick auf die Whiskey Flasche. Er nahm sich selbst ein Glas und füllte das Getränk hinein. Louis nickte nun ebenfalls.
Sie ließen sich nebeneinander auf die Couch sinken und tranken wortlos ihre Gläser. „Wir sollten mal wieder ausgehen. Etwas nur für dich tun, was immer du möchtest", sagte Niall nach mehreren Minuten. „Ich möchte nicht", sagte Louis. „Was möchtest du nicht?", fragte Niall. „Anfangen, mein Leben zu genießen, wenn Philipp das nicht auch kann", sagte Louis, der sich von der Couch aufrichtete und in einem versteckten Fach eines obersten Schrankes etwas Gras hinausnahm und sich einen Joint drehte.
Louis begann sofort, sich zu entspannen, als der Rauch seine Lungen fällte. „Starbucks hat dich also wieder angesprochen?", fragte Niall. Louis nickte. „Geh mit ihm aus", sagte Niall. Louis schüttelte den Kopf. „Was hält dich ab? Du hast nach dem ersten Treffen gesagt, dass du ihn attraktiv findest", sagte Niall. „Ja, ist er. Aber es ist meine Sache, wann ich mich mit wem verabredet. Ob ich mich überhaupt verabrede", sagte Louis, der zunehmend wütender wurde.
Niemand verstand ihn, verstand die Dunkelheit in seinem Körper. Louis dachte nicht nur einmal darüber nach, dem allen ein Ende zu setzen, doch seine Kinder haben schon einen Vater verloren. Sie sollten nicht auch noch ihren zweiten Vater verlieren. Dann würden sie bei Lottie aufwachsen. Lottie würde sich zwar ganz sicher fantastisch um sie kümmern, aber Louis wollte nicht, dass seine Kinder die Social Media Plattformen seiner Schwester zierten. Kinder hatten im Internet nichts zu suchen.
Niall zuckte mit den Schultern. „Lou, ich weiß langsam nicht mehr weiter. Ich würde dir so gern helfen, wirklich. Aber es sind nun zwei Jahre und dein Zustand hat sich keineswegs verbessert. Bitte sag mir, was ich tun kann", flehte Niall. „Bring ihn mir zurück. Sorge dafür, dass Philipp nicht krank wird und wir gemeinsam alt werden können", sagte Louis. „Du weißt, dass das nicht geht", sagte Niall mit trauriger Miene. „Dann kannst du nichts für mich tun, außer mein Haus zu verlassen und mich alleine lassen", sagte Louis, dem gerade jede Anwesenheit zu viel war.
„Ich werde dich nicht allein lassen", sagte Niall. Louis sah in die Augen seines besten Freundes, während seine eigenen sich mit Tränen füllten. „Ich vermisse ihn so schrecklich", sagte Louis, der kaum noch an sich halten konnte. Niall zog ihn in seine Arme, bis Louis' Fassade bröckelte und er bitterlich zu weinen begann. „Irgendwann wird es besser", flüsterte Niall. Irgendwann. Wann sollte das sein, frage Louis sich, der seit zwei Jahren jeden einzelnen Tag durch die Hölle ging. Louis nickte, wohlwissend, dass es ihn irgendwann zu Grunde richten würde. „Egal, was wir dafür tun müssen, wir schaffen das", sagte Niall, der durch die wuscheligen Haare seines besten Freundes streichelte.
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Through the Dark | L.S.
FanfictionDas plötzliche Ableben seines Ehemannes machte Louis zum alleinerziehenden Vater ihrer beiden Adoptivkinder. Für Außenstehende scheint er sich gut zu schlagen, doch die Dunkelheit und die Einsamkeit holen ihn jede Nacht aufs Neue ein. Auf der Suche...