Kapitel 5 - Ort der Verdamnis

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„Meldest du dich bei mir?", fragte Henry, der nicht bereit war, seine Arme von Louis zu lösen. „Versprochen", sagte Louis und schloss seine eigenen Arme noch fester um seinen neuen Kumpel. „Danke für die letzten vier Wochen. Wir sehen uns, sobald ich hier raus bin", sagte Henry. Louis wurde von Amelia nach draußen begleitet. „Alles Gute, Louis. Wir sehen uns bestimmt wieder", sagte Amelia mit einem Zwinkern.

Louis verstand die Aussage nicht, hatte er sich in den letzten vier Wochen doch hervorragend geschlagen und den Entzug erfolgreich beendet. Er verließ die Klinik und entdeckte bereits von weitem das Fahrzeug seines besten Freundes. „Entschuldigung?", hörte Louis eine männliche Stimme hinter ihm rufen. Er drehte sich zum Ursprung des Klanges um und entdeckte eine männliche Person mit kurzen Hosen, einer Daunenjacke und einer Sonnenbrille. Eine alberne Konstellation, dachte sich Louis, hob die Augenbrauen skeptisch nach oben.

„Das scheint dir aus der Tasche gefallen zu sein", sagte er und reichte Louis ein grünes Halstuch. Erschrocken riss er die Augen auf. Es war das Tuch, welches er vor einigen Jahren von seinem Ehemann geschenkt bekommen hatte. Es sollte Louis an ihn erinnern, wenn er beruflich unterwegs war. Die Farbe des Tuches entsprach der seiner Augenfarbe. Er ließ das Tuch nie aus den Augen. Umso erschrockener war er über die Tatsache, es beinahe verloren zu haben. „Danke. Das Tuch ist sehr wichtig für mich. Vielen Dank!", bedankte er sich bei dem Unbekannten, der seine Sonnenbrille nach oben schob und in seinen chaotischen Locken fixierte.

Louis sah direkt in die Augen seines Gegenübers, sie waren strahlend grün, ebenso wie die seines Mannes. Louis verlor sich für einen kurzen Moment in ihnen, bemerkte nicht, dass der Grünäugige weiter redete. „Was hast du gesagt?", fragte Louis. „Schon gut", sagte er mit zusammengekniffenen Augenbrauen und lief in die Klinik, ließ Louis stehen, der noch immer an die wunderschönen Augen des Unbekannten dachte.

Langsam näherte sich Louis dem Fahrzeug seines besten Freundes, klopfte vorsichtig und sichtlich eingeschüchtert an die Fahrerscheibe. Niall sah emotionslos durch das Glas, öffnete vorsichtig die Tür und stieg aus. „Hallo Louis", sagte er trocken. Louis atmete tief durch, die Tränen sammelten sich in seinen Augen. „Verzeihst du mir, dass ich dich wie das Allerletzte behandelt habe, obwohl du nur das Beste für mich wolltest?", fragte Louis, sah währenddessen peinlich berührt zu Boden.

„Wie geht es dir, Lou?", fragte er, ignorierte Louis' Frage. „Wesentlich besser. Ich habe sogar gelacht. Nur einmal, aber das ist mehr als in den letzten zwei Jahren. Mein Mitbewohner war super und ich habe die letzten Tage nicht einmal mehr an Alkohol gedacht", berichtete Louis. Niall nickte, lief einen Schritt auf Louis zu und nahm ihn in seine Arme. „Du hast ein paar fiese Sachen gesagt", sagte Niall. „Du glaubst nicht, wie leid mir das tut. Bitte verzeih mir. Ich war nicht ich selbst", stotterte Louis. „Weißt du, warum Philipp sich damals in dich verliebt hat? Warum ich dich als meinen besten Freund haben wollte?", fragte Niall.

Louis schüttelte den Kopf, sein Blick glitt zu Boden. „Du warst großartig. Du warst der sympathischste, charmanteste und witzigste Mensch, den wir je kennengelernt haben. Du warst lebensfroh und hast immer das Positive in allem gesehen, auch wenn es nichts Positives gab. Und sind wir mal ganz ehrlich, deine Haare sind so wuschelig, das ist schon ziemlich niedlich. Du hast eine beschissene Zeit hinter dir, das weiß ich, aber ich möchte meinen besten Freund zurück haben. Bitte fang an nach vorne zu schauen", sagte Niall, der seine Hand auf Louis' Wange legte und ihm tief in die Augen sah. Louis nickte leicht.

„Bitte sag mir, dass es jetzt bergauf geht. Wird es jetzt besser?", fragte Niall vorsichtig. Louis dachte einen kurzen Moment nach, nickte dann aber erneut. „Ich habe dich vermisst und ich hab dich lieb", sagte er leise, noch immer sichtlich eingeschüchtert, da ihm durchaus bewusst war, dass er sich seinen Freunden und seiner Familie gegenüber scheiße verhalten hatte. „Ich habe dich auch lieb, Kumpel", sagte Niall und gab seinem besten Freund einen Kuss auf die Wange. „Wo sind meine beiden Engel?", fragte er vorsichtig. „Wir fahren gleich zu ihnen. Ich will nur noch kurz Amelia begrüßen", sagte Niall und entfernte sich von Louis, der ihm sichtlich irritiert hinterher sah.

Mit seinen Schuhen zeichnete Louis Muster in den Boden, da die Begrüßung offenbar mehr Zeit in Anspruch nahm, als ursprünglich erwartet. Louis langweilte sich, wollte nur noch zu seinen Kindern und heute Abend in seinem eigenen Bett schlafen. „Schönes Wochenende", rief der kurze Hosen und Daunenjacken - Mann mit den grünen Augen. Louis nickte ihm kurz zu, blickte dann aber zu Niall, der freudestrahlend aus der Klinik trat.

„Ihr habt etwas miteinander?", fragte Louis, als Niall sich auf den Fahrersitz begab und seine Flasche Wasser ansetzte. Er spuckte die Flüssigkeit vor Schreck aus und sah mit aufgerissenen Augen zu Louis. „Wie kommst du darauf?", fragte Niall. „Dein Ernst?", fragte Louis mit einem Schmunzeln. „Ja. Wir haben was miteinander. Ich hab viel Zeit hier verbracht, eines führte zum anderen", gab Niall nickend zu und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Freut mich, ich mag sie", sagte Louis. „Und du? Dein Mitbewohner? Lief da was?", fragte er. „Hetero und Kokain. Er will mich mit seinem Bruder verkuppeln, scheint aber ein Freak zu sein", sagte Louis. „Zum Glück bist du normal", sagte Niall und tätschelte seinem besten Freund über den Kopf.

„Papa!", riefen Louis' Kinder, als er das Haus seiner Schwester betrat. Louis schossen sofort die Tränen der Freude in die Augen, „Ich hab euch so vermisst", hauchte Louis, der die Arme fest um sie schloss. Er warf seiner Schwester einen entschuldigenden Blick zu. Sie nickte ihm zu, was Louis beruhigte und mit noch mehr Glück erfüllte. „Wollen wir endlich nach Hause?", fragte Louis, woraufhin die beiden nickten. „Danke für alles", sagte er zu Niall und seiner Schwester, bevor er seine Kinder ins Fahrzeug trug, da sie sich nicht von ihrem Vater lösen wollten.

Louis ließ sich auf sein Bett fallen und wälzte sich zufrieden in der Bettwäsche. Für einen kurzen Moment dachte er darüber nach, das Bett nie wieder zu verlassen, aber vermutlich hätte Niall ein Problem damit. Louis richtete sich auf, als es an der Schlafzimmertür klopfte. „Können wir heute bei dir schlafen?", fragte Tess, ihren Bruder dabei im Schlepptau. „Kommt her, meine kleinen Bettwanzen", sagte Louis und breitete seine Arme aus, zog seine Kinder an sich und schlief zufrieden ein.

Die ersten Tage nach dem Klinikaufenthalt fielen Louis schwerer als gedacht. Er hatte gemeinsam mit seinem besten Freund sämtliche Alkoholvorräte in der Toilette heruntergespült. Zu diesem Zweck offenbarte Louis ihm sogar sein geheimes Versteck an Schnapsflaschen. Es war ihm unangenehm, denn er steckte weit tiefer in der ihm nachgesagten Alkoholsucht, als er sich selbst eingestehen wollte. „Jetzt müssen wir dir nur noch vernünftige Klamotten kaufen, aber für diesen Teil würde ich dich gern an deine Schwester übergeben", sagte Niall grinsend. „Was ist falsch mit meinen Klamotten?", fragte Louis schmollend und sah an sich herunter. Er trug einen Jogginganzug.

„Genau. Ich hab dich die letzten zwei Jahre ausschließlich in Jogginganzügen gesehen. Was willst du anziehen, wenn du mal ein Date hast?", fragte Niall. „Ich bin Sportlehrer und Trainer, natürlich trage ich Jogginganzüge", erwiderte Louis, verschränkte seine Arme vor seinem Körper. „Keine Widerrede, Tommo", sagte Niall. Louis gab sich geschlagen, ließ sich von Niall in die Innenstadt fahren und traf sich mit seiner Schwester. „Wir sehen uns beim Kindergeburtstag?", fragte Niall zur Verabschiedung. Louis nickte, schloss ihn in seine Arme und lief auf seine Schwester zu.

„Lass es uns hinter uns bringen", sagte Louis, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und den Blick gesenkt. Louis war sich sicher, dass er sich offiziell in der Hölle befand. Seine Schwester zog ihn in unzählige Ladengeschäfte hinterher. Es fehlte nur noch eine Leine um Louis' Hals und dann wäre das Bild perfekt. „Komm jetzt, du bist schlimmer als deine Kinder", meckerte Lottie, doch Louis zog weiter genüsslich an seiner Zigarette, bevor er ein weiteres Geschäft betrat. Er öffnete die Tür des Geschäftes, als er beinahe gegen eine männliche Person rannte.

Er musterte die Kleidung der Person, kurze Hosen und Daunenjacke. Louis kam diese alberne Kombination bekannt vor und sah nach oben, direkt in die grünen Augen des Mannes, den er vor kurzem an der Klinik traf. „Hi", sagte Louis, doch sein gegenüber zog die Augenbrauen zusammen und nickte nur. „Darf ich?", fragte er. Louis sah ihn fragend an, wusste nicht, worauf er hinaus wollte. „Du stehst im Weg", sagte er und schob Louis sanft an der Schulter aus dem Bereich der Eingangstür. Louis drehte sich um und sah ihm für einen kurzen Moment hinterher. Seine Augen waren wirklich wunderschön, so empfand Louis.

„Würde sich eure Hoheit endlich in die Umkleidekabine begeben?", fragte Louis' Schwester genervt und zeigte auf die zahlreichen Kleidungsstücke, die sie für Louis rausgesucht hatte. Er atmete tief durch. „Würde ich dich nicht so sehr lieben, würde ich dich vermutlich hassen", sagte er, gab seiner Schwester einen Kuss auf die Wange und lief direkt in die Umkleide, die Louis fortan als Ort der Verdammnis betitelte.

Through the Dark | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt