Kapitel 4 - Welpenschutz

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Louis schwankte zur Tür, stieß währenddessen mit seinem Körper an alle auf dem Weg befindlichen Möbelstücke. „Niall!", rief er seinem besten Freund zu. „Du stinkst wie eine Kneipe", sagte Niall angewidert. „Komm rein, Kumpel", lallte er. Niall sah die zwei leeren Whiskeyflaschen in der Küche. „Deine Party ging noch weiter?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Louis nickte mit zuckenden Schultern. „Hast du mal auf die Uhr geguckt? Deine Kinder stehen gleich auf und wie willst du sie zur Schule bringen? Willst du besoffen ins Auto steigen?", rief Niall immer wütender werdend.

„Du bist nicht mein Aufpasser, ich weiß, was ich tue", blaffte Louis ihn an, verlor jedoch aufgrund seines Pegels das Gleichgewicht und konnte sich lediglich mit dem Festhalten an Niall's Arm davor retten, zu Boden zu gehen. „Es reicht, Tommo. Wir wissen alle, dass du leidest. Aber das Recht auf Welpenschutz verspielst du, wenn du deine Familie in Gefahr bringst", sagte Niall, der seinen Arm von Louis wegzog und eine Nummer in seinem Telefon wählte. „Was tust du?", schrie er Niall schon beinahe an. „Ich ruf deine Schwester an. Sie bringt Timmy und Tess zur Schule. Und dich bring ich in eine Entzugsklinik", sagte Niall.

Es hatte keinen Sinn. So sehr Louis sich auch mit einfacher körperlicher Gewalt zu wehren versuchte, war Niall doch schlichtweg stärker, denn Louis hatte die letzten Tage wieder häufiger auf Nahrung verzichtet. „Ich hasse dich", sagte Louis mit Wut in seinen Augen. „Damit muss ich wohl klarkommen", sagte Niall, der Louis lieblos hinter sich herzog, nachdem sie der Parkplatz des Krankenhauses erreichten. Sie erreichten den Wartebereich. „Du setzt dich hier hin und wartest", forderte Niall ihn auf und begab sich zur Rezeption.

„Mr. Tomlinson, würden Sie mir bitte folgen?", fragte eine zierliche Brünette in weißer Kleidung. „Nein", sagte Louis. Die Brünette sah fragend zu Niall. „Lou, beweg dich", sagte Niall. „Willst du mich verarschen? Ich habe Kinder. Soll ich sie allein lassen? Wie lange soll die Scheiße hier gehen?", fragte er außer sich. „Lass sie lieber für vier Wochen bei deiner Familie, als dass du ihnen perspektivisch ihren zweiten Vater nimmst", sagte Niall. Louis' Blick schnellte zu Niall, sein Gesicht voller Wut. „Verpiss dich aus meinem Leben", sagte Louis in bedrohlich ruhiger Stimmlage, der ganze Körper verkrampft. Niall nickte mit besorgter Miene und verließ den Warteraum.

Die Brünette, die Schwester Amelia zu heißen schien, erklärte Louis den Ablauf der nächsten Wochen. Er hörte ihr nicht zu, spielte es ihr allerdings auch nicht vor. „Dann möchte ich Ihnen Ihren neuen Mitbewohner vorstellen, Henry", sagte sie und hielt die Tür zu Louis' neuen Zimmer auf. „Wann kann ich wieder gehen?", fragte Louis. „Kommen Sie erstmal an und dann sehen wir weiter", sagte sie und schloss das Zimmer. Louis sah seinen Mitbewohner an. „Ich wollte schon immer mit 32 in einer WG leben", sagte Louis und ließ sich auf das unbequeme Bett fallen. „Wenn's dich tröstet, ich habe auch keinen Bock auf dich", sagte Henry.

Louis verbrachte den Tag damit, zu schmollen und auszunüchtern. Vor allem aber verbrachte er seine neugewonnene Freizeit damit, Niall aus tiefstem Herzen zu verachten. „Alkohol?", fragte Henry. Louis sah mit zusammengekniffenen Augen zu seinem Mitbewohner. „Ob ich welchen will?", fragte Louis. „Ob du wegen Alkohol hier bist?", fragte Henry weiter. „Ich bin hier, weil mein bester Freund ein Arschloch ist. Und vielleicht auch ein bisschen wegen Alkohol", antwortete Louis in seinen Augen wahrheitsgemäß.

„Witzig. Ich bin hier, weil mein Bruder ein Arschloch ist. Und vielleicht auch ein bisschen wegen Kokain. Zumindest wenn es nach ihm geht", sagte er. Louis' rechter Mundwinkel ging leicht nach oben. Sie teilten offenbar das gleiche Leid. „Mr. Styles, Mr. Tomlinson, kommen Sie bitte in den Aufenthaltsraum?", fragte Amelia. „Nein", riefen Louis und Henry im Chor. „Na da haben sich ja zwei gefunden", sagte der braunhaarige Oberarzt, der die beiden Männer aufmerksam musterte. Louis, der vermutlich immer noch circa einen Promille im Blut hatte, richtete sich auf und sah auf das Namensschild des Arztes. ‚Payne'. „Komm, Kumpel", sagte Henry und reichte Louis die Hand. Louis ergriff sie.

Louis hasste die ersten Tage seines Ferienlager Aufenthaltes. Er verstand nicht, wieso Niall ihm so etwas antat, schließlich hatte er kein Problem. Er durfte seine Kinder die nächsten Wochen nicht sehen. Sie waren der einzige Grund, warum Louis überhaupt noch am Leben war. Er wäre mit Philipp gegangen, wenn sie nicht wären. Und jetzt waren sie weg. Louis' Gedanken wurden dunkler. Niall besuchte ihn jeden Tag, doch er wollte ihn nicht sehen. Lediglich mit seiner Schwester sprach er, um nach dem Wohlbefinden der Kinder zu fragen. Mehr war für Louis nicht interessant, denn seine Familie war für ihn gestorben.

Er hatte die ersten zwei Wochen bereits überstanden. Er hoffte darauf, bald nach Hause gehen zu dürfen. „Louis, du hast Besuch. Niall ist hier", sagte Amelia, die nach der ersten Woche auf die Förmlichkeiten verzichtete und Louis mit Vornamen ansprach. „Möchtest du ihn heute sehen?", fragte sie weiter, nachdem Louis nicht reagierte. Zögerlich nickte er, lief ihr nach in den Aufenthaltsraum. „Lou", sagte Niall mit großen Augen. Er hat nicht mit seinem besten Freund gerechnet. „Hi Niall", sagte Louis und setzte sich ihm gegenüber. „Wie geht es dir?", fragte er. „Beschissen. Wo sind Timmy und Tess?", fragte Louis. „Denen geht es gut. Ich will wissen, wie es dir geht", sagte Niall. „Und ich will wissen, wie es meinen Kindern geht", fuhr Louis ihn an.

Niall betonte noch einmal, dass es ihnen gut gehen würde. Louis war unzufrieden mit den oberflächlichen Antworten und verließ ohne Verabschiedung den Tisch, an dem beide gerade noch saßen. Er drehte sich noch einmal um und sah Henry, der ebenfalls Besuch hatte. Louis sah nur den Hinterkopf seines Gesprächspartner. Seine großen braunen Locken lagen kreuz und quer. Henry sah ihn böse an, vermutlich sein Bruder. Louis lief weiter, am Musikzimmer vorbei. Er blickte auf das Klavier. Früher hatte Philipp oft für Louis gespielt. Er setzte sich auf die Klavierbank und brach unvermittelt in Tränen aus.

Louis hatte kein Zeitgefühl mehr, er wusste nicht, wie lange er vor dem Klavier saß. Es schien niemanden zu interessieren, da Louis' seine Existenz als überflüssig empfand. „Hey, alles okay?", hörte er Henry plötzlich hinter sich fragen. „Lass mich bitte allein", sagte Louis. „Auf keinen Fall", sagte Henry und setzte sich neben Louis auf die Klavierbank und zog ihn in seine Arme. Louis, der sich versuchte, aus Henry's Griff zu lösen, gab nach mehrfachen erfolglosen Versuchen auf und erwiderte die Umarmung, was seinen Tränenfluss nur noch stärker werden ließ.

„Komm mit, wir gehen ins Zimmer und dann erzählst du mir, was los ist", sagte Henry, doch Louis schüttelte sofort den Kopf. „Keine Widerrede", sagte Henry, zog Louis hinter sich her. „Rede mit mir", sagte er erneut, als sie das Zimmer erreichten und sich nebeneinander auf dem Bett fallen ließen. Und Louis redete. Er erzählte Henry von Philipp. Wie sehr er ihn liebte, wie sehr er ihn vermisste. Er erzählte von seinen Kindern, Niall und seiner Schwester. Selbst von Zayn erzählte er. Henry lauschte aufmerksam, riss hin und wieder erschrocken die Augen auf. „Dagegen klingen meine Gründe für das Kokain schon beinahe lächerlich", kommentierte er nach Abschluss von Louis' Ausführungen.

Henry hatte seine Geschichte bereits am zweiten Tag erzählt. Er wurde vor dem Altar stehen gelassen. Es folgten eine Reihe finanzieller Schwierigkeiten und anwaltschaftliche Auseinandersetzungen. Henry begann, den Kummer mit Alkohol herunterzuspülen. Als dies nicht mehr half, griff er zu Cannabis und irgendwann zu Kokain. Sein Bruder fand ihn eines Tages halbtot im Haus seiner Eltern. Er zwang ihn zu einem Entzug, den er erfolgreich durchzustehen schien. Henry war nun bereits drei Monate in der Klinik. Ein weiterer und letzter Monat stand ihm bevor. Louis wollte nicht so lange hier bleiben. Er wollte nachhause.

„Louis, wir sollten Freunde sein", sagte Henry. „Sollten wir das?", fragte Louis irritiert. Er hasste sein Leben, wusste nicht, warum jemand ein Teil davon sein wollte. „Auf jeden Fall! Wir könnten uns gegenseitig helfen. Du könntest mich zum Beispiel mit deiner heißen Schwester verkuppeln", sagte Henry. Louis versuchte mimisch zum Ausdruck zu bringen, dass er sich bei der Beschreibung seiner Schwester übergeben musste. „Du kannst auch meinen Bruder dafür haben. Wir könnten tauschen", sprach er weiter. „Dein Bruder, das Arschloch? Ich glaube nicht, dass ich interessiert bin", lachte Louis. „Was war das gerade?", fragte Henry irritiert.

Louis sah fragend zu Henry. „Du hast gelacht. Das hast du in meiner Gegenwart noch nie", sagte er leise. „Scheinbar helfen wir uns gegenseitig", sagte Louis und zog seine Mundwinkel leicht nach oben, bis das Grinsen seine Augen erreichte.

Through the Dark | L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt