Am nächsten Tag saß ich im Daily T & C auf meinem Lieblingsplatz und rührte mit einem Löffel das Schaumherz in meinem Cappuccino unter, um den zugegebenen Zucker aufzulösen. Meine Augen brannten von den vielen Tränen, die ich heute Morgen vergossen hatte und ich traute mich schon nicht mehr, aufs Handy zu sehen, als es mit einem Vibrieren vor mir auf dem Tisch den Eingang einer neuen Nachricht ankündigte. Schon wieder. Obwohl es gestern Nacht spät geworden war, stand ich schon bei der Öffnung des Cafés, völlig übermüdet, an der Tür, als Till endlich aufschloss. Peggy kam kurz darauf, überrascht mich zu sehen, war dann aber zum Glück zu beschäftigt damit, diejenigen abzufertigen, die für ihre morgendliche Dosis "Ich-brauch-dich-zum-wachwerden" Café-ToGo hier waren und so für eine endlose Schlange an der Theke aber einen leeren Gastraum sorgten.
Kaum einer schien Zeit zu haben sich hinzusetzen und wer es doch tat, sah mindestens alle zehn Sekunden auf die Uhr, bevor er nach spätestens fünf Minuten den letzten Kaffee runter- und selbst hinaus stürzte, auf dem Weg nach wer weiß wohin. Ich war froh, dass ich samstags nicht arbeiten musste und auch sonst keine dringenden Termine hatte. Das und mein Platz hier gaben mir die Möglichkeit zu reflektieren, was in den letzten Stunden alles passiert war.
"Darf ich mich zu dir setzen?" Die besorgte Frage von Dave, dessen Schicht gleich erst anfangen würde und der es mal wieder geschafft hatte sich anzuschleichen, brachte mich dazu, meine Blicke vom Kaffee zu lösen und zu ihm aufzusehen. Das freche Funkeln in seinen Augen vermischte sich mit Sorgen, die er sich eindeutig über meine Stimmung machte, also zwang ich mich zu einem breiten, wenn auch schmerzhaften Grinsen. "Ich bin dir nicht böse, Dave."
Dann lachte ich sarkastisch auf und schüttelte meinen Kopf über meine eigene Dummheit. Als ob ich nicht genau gewusst hätte, dass an Daves Einladung gestern etwas nicht stimmte. Mal abgesehen von seinem komischen Verhalten und den merkwürdigen Fragen stank die ganze Geschichte fünf Meilen gegen den Wind nach einer Lüge. Dave hatte schon lange keine Dates mehr mit anderen und ohne Till. Aber ich vertraute Dave und ich war, um ehrlich zu sein, neugierig. Und auch ein wenig trotzig. Mir war ein Date mit viel Spaß versprochen worden und Dave war ein guter Freund und ein lustiger Geselle, also warum nicht?
"Ich hab dich noch nie so lange und so breit Grinsen gesehen", kam nun auch Till hinzu, nachdem der erste Ansturm an der Theke vorbei war und Peggy alleine zurechtkam. "Du hattest also einen guten Abend, gestern?"
Ich legte mir meine Hände an die Wangen, die so sehr schmerzten, weil ich seit Stunden nicht aufhören konnte, mit diesem dämlichen Grinsen. "Die Nacht war super", bestätigte ich seufzend und erzählte ihnen dann von der Kino-Meets-Music-Nacht in der Party-Fabrik, einer alten Fabrikhalle, die schon vor Jahren in eine Event-Location für besondere Veranstaltungen verwandelt worden war. Über den steinernen Mauern flimmerten riesengroß erst Tanz- und später Action-Szenen aus verschiedenen Filmen und Epochen und begleiteten wie Geister die Live-Musik, die dazu passend von einer beliebten Band zum Besten gegeben wurde. Es war eine bunte Musikmischung, zu der man zuerst gut tanzen und später hervorragend mitgrölen konnte. Hard hatte mich damit überrascht, dass er mich an sich zog und dann Old Style mit mir tanzte und es war so einfach mit ihm. Er führte so selbstsicher und alles, was ich tun musste, war ihm zu vertrauen. Dazu gab es ein riesiges Buffet mit Fingerfood in einer Ecke, viel kaltes Wasser und wenig Alkohol. Es war toll.
"Wir haben getanzt, gelacht, Lieder mitgegrölt und noch mehr gelacht. Nur geredet haben wir nicht, weil es dafür viel zu laut war", beschrieb ich den Jungs den Abend.
"Wer weiß, wozu das gut war", kommentierte Dave mit einem Augenrollen. "Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so schlecht mit Worten umgehen konnte wie dein Hard."
"Das stimmt aber nicht", begehrte ich auf und öffnete den Chat mit ihm, wobei mein Blick auf seine letzte Nachricht fiel.
"Ich schwöre, Jennifer ist regelrecht auf der Suche nach SEX!"
Neue Lachtränen drängten sich aus meinen Augen und liefen schnurstracks meine Wangen herab, auf ihrem Weg zum Kinn, von dem aus sie sich todesmutig in meinen Ausschnitt stürzten, wenn ich sie nicht schnell genug wegwischte.
"Der Arme muss heute arbeiten", erklärte ich Dave, der mir über die Schulter hinweg zusah, wie ich im Chat ganz nach oben zur ersten Nachricht scrollte, die Hard mir schon gestern Nacht gesendet hatte um mir kurz zu erklären, wer diese Jennifer war und dass diese prüde Zicke mit Sicherheit keine Konkurrenz für mich sei. Ich hab dann auch was über Sandra geschrieben, meine Chefin.
"Ich schwöre dir, es gibt zu viele Cruellas auf der Welt und keine davon ist richtig gepolt!" Das war meine Lieblingsnachricht von ihm, kurz bevor wir die Handys endgültig wegsteckten und uns in die Party stürzten.
Dave reagierte mit einem Kopfschütteln auf die Erklärung, wieso Hard diese Jennifer überhaupt im Auto hatte. "Warum hat er das gestern nicht so gesagt? Sieht nicht so aus, als hätte er was falsch gemacht!"
Ich schauderte und zog die Nase hoch, weshalb Till mir eine Serviette und Dave mir eine seitliche Umarmung gab. "Hat er dich wenigstens anschließend nach Hause gebracht?" Dave wirkte besorgt, aber Till wackelte mit seinen Augenbrauen, als ich nickte. "Hat er dich geküsst? Das war doch schließlich ein echtes Date!"
Ich verschloss meinen Mund, indem ich meine Tasse an die Lippen führte und den Cappu genoss. Von dem, was vor meiner Haustür passierte, wollte ich jetzt wirklich nicht reden.
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Auf den zweiten Blick - Ein Wattpad Community Projekt
De TodoDieses Buch ist im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes entstanden, bei welchem viele Autorinnen und Autoren gemeinsam eine Geschichte geschrieben haben. Florina, eine eher schüchterne junge Frau, trifft unverhofft auf Leonhard, der das genaue Gegen...