16. Kapitel - Hard

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Als der Wecker läutete – ja ich habe tatsächlich noch so ein antiquiertes Ding auf meinem Nachttisch, weil ich mit meinem Handy-Akku auf Kriegsfuß stehe -, hatte ich das Gefühl, höchstens eine Stunde geschlafen zu haben.

Wahrscheinlich war es auch so gewesen.
Sofort hellwach zogen sich meine Mundwinkel nach oben. War das einen Nacht gewesen! Noch immer dröhnte die Musik in meinen Ohren – oder war das mein Herz, das sofort zu rasen begann, wenn ich an die süße Rina in meinen Armen dachte?

Es hat sich so verdammt gut angefühlt, ihren weichen Körper so nah bei mir zu fühlen, als wir uns zu der tollen Musik bewegt haben, ganz klassisch, sie in meinen Armen, ich führte.

Dann hat sie sich sogar von mir nach Hause fahren lassen, doch nach einem vorsichtigen, zarten Abschiedskuss habe ich klar die Grenze gefühlt, die sie zog.
Natürlich habe ich das gefühlt, bei dieser Frau fühle ich so viel!

Und dieser Kuss, dieser Kuss war ...
So ab jetzt in die Dusche, meine innig geliebte Chefin hatte heute auch Dienst, und ich hatte keinen Bock, mir meine überbordend gute Laune von ihren zickigen Anspielungen verderben zu lassen.

Apropos Chefin ...

Nach dem, was Rina mir über Sandra, ihre persönliche Heimsuchung als Vorgesetzte geschrieben hat, habe ich es noch gut erwischt.

Während der lauwarme Wasserstrahl mich ins Hier und Jetzt zurückbrachte, kamen mir so meine Gedanken an diese Xanthippe.
Vielleicht sollte ich sie mal verhaften?
Schließlich war ich Polizist!

Wegen fortwährender Verstöße gegen die Menschenwürde einer Untergebenen?

Oder wegen Diebstahl von Lebensqualität?

Während ich mich abtrocknete, spann ich den Faden weiter, auch um die Erinnerung an Rina in meinen Armen etwas aus meinem Kopf zu bekommen – natürlich nur etwas.
Ich könnte aber auch Jennifer umbringen und den Mord Sandra in die Schuhe schieben, da wären dann zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Aber nein! Ich war ja Gesetzeshüter und kein – brecher.
Singend und tanzend erreichte ich meine Küche, sehnsüchtig nach einem Kaffee gierend.
Dann machte ich mir noch eine Flasche SaftExtrem zurecht, in der Hoffnung, dass mein Lebenselixier heute in meinem Magen landete und nicht auf dem Rock meiner Chefin.

Auf dem Weg zum Revier dachte ich wieder an den gestrigen Abend. Wir hatten so viel Spaß, ich war froh, dass ich das Taschentuch meiner Oma dabei hatte, um uns die Lachtränen aus dem Gesicht zu wischen.

Die von Rina hätte ich natürlich lieber weggeküsst.
Tausend Reime – oder sagen wir, hundert – gehen mir durch den Kopf, wenn ich an die wunderhübsche, süße Frau denke, die ich mit meinem Skateboard eingefangen habe.

Ein paar davon muss ich unbedingt heute noch auf meinem Block notieren. Vielleicht lese ich sie ihr ja mal vor?

In der Kantine holte ich mir noch schnell meinen Vorrat an Wurstsemmeln für den langen Arbeitstag, da hörte ich den Alarm, der uns alle ins Dienstzimmer beorderte.
Eine ziemlich aufgeregte Jennifer empfing uns mit einer Meldung, die mein Blut in den Adern gefrieren ließ: „Überfall auf das Daily T&C auf dem Marktplatz! Geiselnahme, zwei bewaffnetet Personen. Benjamin und Leonhard, ihr fahrt gleich los, checkt die Lage, ich informiere das SEK, wir halten Funkverbindung!"

Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da hatte ich schon meine Heckler & Koch und zwei Magazine aus dem Waffenschrank geholt und stand Sekunden später am Einsatzfahrzeug.

Das Daily T&C war Rinas Stammcafé! Mein Herz raste, das Blut rauschte in meinen Ohren. Es durfte nicht sein, dass sie heute da war. Sicher schlief sie noch. Aber ihre Freunde lagen mir ja auch sehr am Herzen.

Mit heulender Sirene und Blaulicht rasten wir durch die Stadt.
Mit quietschenden Reifen brachte ich das Dienstfahrzeug auf dem Platz vor dem Café zum Stehen, Benjamin löste seinen Klammergriff von der Halteschlaufe.

Fuck! An einem Samstagvormittag waren natürlich unheimlich viele Menschen unterwegs.
Rina! Bitte lieg zu Hause in deinem Bett und träum von mir! dachte eine meiner Gehirnhälften voller Furcht.

Die andere scannte den Einsatzort blitzschnell.
Vier uniformierte Kollegen hatten zum Glück den Bürgersteig schon weiträumig mit Flatterband abgesperrt.

Ich wandte mich an den wohl dienstältesten Kollegen, der mir eine kurze Zusammenfassung gab.

„Zwei Täter, sechs Geiseln, drei männlich, drei weiblich, die auf dem Boden liegen. Mehr konnten wir nicht erkennen. Es gibt einen Hintereingang, der auf den Innenhof hinausgeht, der wiederum vom Nachbarhaus aus erreicht werden kann. Wir haben geprüft, ob er von einem dritten Täter überwacht wird, aber er ist frei zugänglich."

„Gut gemacht, Kollege!", dankte ich ihm und war schon unterwegs. Benjamin rannte mir nach. „Wir warten auf das SEK!", versuchte er mich aufzuhalten.

Doch ich schüttelte seinen Arm ab. „Ganz sicher nicht!"

Zum Glück konnte ich die Türe zu dem Altbau neben dem Gebäude, in dem das Café lag, aufdrücken. Mein Polizistenherz schimpfte zwar mit den leichtsinnigen Bewohnern, mein Männerherz dankte ihnen.

Ich schlich mit gezogener Waffe leichtfüßig durch den düsteren Gang, erreichte die Tür, die auf den Hinterhof führte. Ich überquerte ihn, sah über meine Schulter, dass Benjamin mir folgte.

Auch wenn er manchmal ein loses Mundwerk hatte, im Job konnte ich mich immer zu hundert Prozent auf ihn verlassen.

Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Café, stand in einem Lagerraum. Durch eine Glastür konnte ich ins Innere der Gaststätte sehen. Dave und Peggy lagen hinter der Theke, Till halb im Gastraum, eine Frau hatte sich zitternd an seinen Arm geklammert, sie war dunkelhaarig.

Den dritten Mann konnte ich nicht ausmachen, aber als ich einen blonden Lockenkopf unter einem der Tische erkannte, blieb mein Herz einen Augenblick stehen. Die beiden Täter standen vor der Eingangstüre, was mir zeigte, dass sie Anfänger waren. Sie schienen zu diskutieren, was gut war, so waren sie abgelenkt.

In diesem Augenblick raste das Einsatzfahrzeug des SEK vor das Gebäude, und ich musste den Überraschungseffekt nutzen.

„Waffe fallen lassen, auf die Knie, Hände über den Kopf!" brüllte ich, so laut ich konnte, während ich in den Gastraum stürmte und mich zwischen die Täter und Rina stellte.

Vollkommen überrumpelt folgten die beiden meinem Befehl, ich behielt sie im Auge, während Benjamin die Waffen mit dem Fuß wegschob und den Maskierten Handschellen anlegte.

Auf den zweiten Blick - Ein Wattpad Community ProjektWo Geschichten leben. Entdecke jetzt