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Alexandra

Eine Sache steht fest: sollte ich es irgendwann mal aus dieser Hölle schaffen, dann werde ich so weit wegziehen wie es nur geht. Auch wenn es am anderen Ende der Welt sein sollte, die Genugtuung das er mich immer wieder sehen kann, wann immer er will, stellt in meinem Kopf einiges an.
Sollte ich es hier raus schaffen werde ich ein kleines Haus an irgendeinem Strand kaufen mit einem wunderbaren Blick auf das Meer und die dort entstehenden Sonnenuntergänge. Nur für mich und Lizzi. Niemand anderes nur wir beide.
Sollte ich es aus dieser Hölle schaffen, werde ich nie wieder an diesen Ort zurückzukehren. Ich werde einen Ort für uns schaffen an dem wir uns sicher und geborgen fühlen können. Vielleicht dauert es ein paar Jahre, bis ich hiermit abschließen kann.
Werde ich es überhaupt jemals hieraus schaffen?
Was würde passieren, wenn ich abhauen würde?
Was würde passieren, wenn ich es schaffen würde? Würde Lizzi dabei sein?
Was würde passieren, wenn ich nie wiederkommen würde? Wenn ich von einen auf den anderen Tag verschwunden wäre?
Was würde passieren, wenn?

Es ist Montag. Eine Woche ist schon vergangen, eine steht mir noch bevor. Wenn man diese mitzählt, sind es noch zwei.
„Sofie! Alex! Jetzt beeilt euch doch mal!", ruft Vicky aus ihrem Zimmer in das angrenzende Bad. „Jetzt hetz doch nicht so! Wir haben noch genug Zeit!", erwidert Sofie neben mir. Leiser fügt sie hinzu: „Außerdem solltest du mal eine Pause einlegen." Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen und ich stimme ihr stumm zu. Ich höre, wie Vicky etwas erwidern will, sich jedoch dagegen entscheidet. Wahrscheinlich ist ihr gerade eingefallen das Sofie insgeheim recht hat. Es ist nicht das erste Mal, das so etwas passiert.

2 Stunden und 20 Minuten. So lange sitze ich nun schon hier fest. Um mich herum wird getanzt, getrunken und gelacht. Hin und wieder sehe ich Vicky tanzen und Sofie die, wann immer es nur möglich ist, jedem einen Todesblick zuwirft, der ihr zu nahekommt. Man könnte meinen, dass sie es genießt.
„Hey Schönheit", höre ich jemanden neben mir sagen. „Willst du mir vielleicht deinen Namen verraten?"  Ich nippe an meinem Becher, der mit irgendeiner dunklen Flüssigkeit gefüllt ist. Keine Ahnung, was mir Vicky da in die Hand gedrückt hat. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Mich überreden zu lassen auf diese Party zu gehen war ein Fehler. Ich hätte ablehnen sollen und vernünftig seien sollen, doch stattdessen habe ich das getan, was ich nicht hätte tun sollen. Ich habe zugestimmt und nun muss ich meinen Fehler einsehen. Ich halte es nicht aus in einem Raum voller fremder Menschen, die zusätzlich noch betrunken sind und habe Angst davor, was mein Vater tun wird, wenn ich wieder nachhause komme.
Warum habe ich mich nur dazu überreden lassen?
Die Anwesenheit von fremden Personen und Männern macht es nicht besser.

„Also meine schöne, wie heißt du?", drängt er zur Antwort. Aus den Augenwinkeln sehe ich wie sich jemand von der Wand abstößt. Ich stutze. Er kommt geradewegs zu mir rüber. Ich mustere ihn kurz. Er hat braunes wuscheliges Haar, braune, an einen Teddybären erinnernde, Augen und trägt ein weißes T-Shirt mit einer schwarzen Hose. Er stützt sich mit einem Arm an der Wand in meinem Rücken ab. Augenblicklich fühle ich mich unbehaglich, eine vertraute Angst steigt in meinem Körper auf. Urplötzlich schießen mir Bilder von meinem Vater in den Kopf, der vor mir steht, auf mich herabschaut und mich höhnisch angrinst. Obwohl der Junge vor mir rein gar keine Ähnlichkeit mit ihm hat, erinnert es mich an ihn. Es erinnert mich an diesen einen Tag vor ein paar Monaten an dem er mich an meinen dunkelbraunen Haaren gepackt und in unseren Keller gezerrt hat. Er hat mich in die Abstellkammer geschubst. Am Anfang habe ich ihn noch angefleht mich rauszulassen, habe es dann aber nach einer Weile gelassen. Das Schlimmste daran war das es kein Licht gab. Ich war Stunden dort eingesperrt. Schließlich hat er mich irgendwann rausgelassen, nur um mich dann zu misshandeln, weil ich geweint und Panik gekriegt hatte. Ich konnte engen und dunklen Räumen noch nie etwas ab, dass wusste er, und um mich zu quälen und meine Ängste schlimmer werden zu lassen hatte er mich in einen solchen Raum gesperrt.

Ich antworte der Person mir gegenüber nicht. Ich schaue starr an ihm vorbei und beobachte stumm die anderen Menschen in diesem Raum. Es scheint ihn zu stören das ich ihm nicht antworte. Sein Kiefer spannt sich an, seine Augen weiten sich kurz und er atmet einmal tief ein als mein Blick ihn kurz streift. Er beugt sich zu mir herunter, ich erstarre. Alles in mir schreit danach abzuhauen und ihn stehen zu lassen. Aber ich kann nicht. Meine Muskeln haben ihren Dienst quittiert, sie sind wie eingefroren. Mein Herz klopft wie wild in meiner Brust und mein Kopf kann nur noch daran denken, was jetzt alles passieren könnte. Mein Atem geht stoßweise, meine Muskeln sind angespannt. Ich spüre die aufkommende Panik.

„Süße, jetzt verrat mir doch mal deinen Namen", flüstert er mir leise ins Ohr. Ich beiße mir auf meine Unterlippe. Er richtet sich wieder auf und mustert mich genauso wie ich es vor ein paar Minuten getan habe. Ich trage ein schwarzes Kleid mit langen, ebenfalls schwarzen, Ärmeln, die an meinem Handgelenk enden. Meine Haare fallen in leichten Wellen über meine Schultern. Um meinen Hals trage ich eine schlichte goldene Kette mit einem Herzanhänger. Alles in mir zieht sich zusammen. Ich schlucke schwer, auf einmal ist mein Hals ganz trocken. Ich bin unfähig irgendetwas zu tun, habe das Gefühl, dass meine Beine jeden Moment einknicken und ich auf den Boden sinke. Aber ich bleibe stehen. Mein Griff um den Becher wird fester. Hektisch schaue ich mich um.
Wo sind Sofie und Vicky?
Mein Herz schlägt immer noch wie wild in meiner Brust. Es fühlt sich so an, als würde es jeden Moment rausspringen und in tausend Teile zerbrechen.
Ich will hier weg, endgültig.
Aber ich kann nicht.

Der Junge neben mir hat aufgehört mich zu mustern. Jetzt ist er damit beschäftigt mein Gesicht in Augenschein zu nehmen. Er lässt seinen Blick einmal ganz über mein Gesicht wandern. Dann schaut er kurz in meine Augen, wendet sich dann aber anderen Teilen meines Gesichts zu. Meine Haut brennt unter seinem Blick. Es fühlt sich so an, als hätte jemand eine Hand um meinen Hals gelegt und würde festzudrücken und nicht mehr loslassen. Meine Hände beginnen zu zittern. Ich halte es nicht mehr aus neben diesem Fremden zu stehen der mich eingehend mustert und dessen Blicke die schlimmsten Gefühle in mir auslösen.
Angst, misstrauen, Panik, Unbehagen.
Diese Gefühle prasseln alle auf einmal auf mich ein.
Angst, misstrauen, Panik, Unbehagen.
Es ist fast wie ein Code.
Angst, misstrauen, Panik, Unbehagen.
„Süße, jetzt verrate mir doch einfach deinen Namen", fängt er wieder an zu sprechen. Diesmal genervter. Ich rühre mich nicht. Ich kann, darf, ihn meinen Namen nicht sagen. Warum? Keine Ahnung, mein Körper hat sich dazu entschieden. Auf einmal entweicht mir ein leises Wimmern.

Nein, nein, nein! Du darfst jetzt nicht schwach werden Alex!
Hahaha! Und schon wieder gibst du schwach bei, anders habe ich es gar nicht erwartet! Dummes Luder! Wenn deine Mutter das Sehen würde, würde sie sich für dich schämen, und dein Vater erst! Denk doch mal dran, was er später wieder machen wird!
Nein, nein, nein. Das kann doch jetzt nicht wahr sein! Nein!
Meine zwei inneren Welten prallen ungebremst aufeinander.

Survive instead of life - I'm Alex not Alexandra Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt