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Alexandra

Inzwischen sind zwei Tage seit der Party vergangen. Den Moment, als ich das Haus betrat, werde ich wohl nie vergessen. Vater wartete mit einem diabolischen Grinsen, einer Whiskeyflasche in der einen und seinem Gürtel in der anderen Hand im Flur auf mich. Ich wusste ich sollte nicht so lange wegbleiben, aber jedes Mal, wenn ich mich von Vicky und Sofie lösen wollte hielten sie mich zurück. Panik und Angst regierten den ganzen Abend lang meinen Körper.
Er kam auf mich zu, ich konnte nichts tun. Er packte mich am Hals und zog mich bis ins Wohnzimmer. Dann ließ er von mir ab, fast so, als hätte er sich an mir verbrannt. Ich zitterte am ganzen Körper und Tränen liefen ungehindert an meinen Wangen hinunter. Immer wieder schnappte ich nach Luft, ich bekam einfach nicht genug. Als er schließlich zu sprechen anfing meldete sich zeitgleich mein Dämon. Neben den Worten meines Vaters verspottete er mich, sagte mir, dass es alles meine Schuld war und dass, wenn ich nicht bald aufhöre so zu sein, er sich Lizzi schnappen würde.

„Auf n Boden!", schrie mein Vater. „Ich hab gesagt du sollst dich auf den Boden legen!" Ich kam seinen Worten nach. Hoffentlich wacht Lizzi nicht auf. Ich schickte ein kurzes Stoßgebet gen Himmel.
Als ich schließlich zusammenkauernd auf dem Boden lag, trat er auf mich ein, schüttete den Whiskey über mich und schrie mich immer wieder an. Der Alkohol in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Wo hast du dich wieder rumetrieben? Huh? Wo? Du Schlampe von Mädchen! Wo warscht du? Hast du disch etwa mit Jungsch vergnügt? Willscht anscheinend so enden wie deine elende Mutter! Schwanger und minderjährig!"
Schlampe, Schlampe, Schlampe.
Das hast du es, das bist du! Hast du das gehört? Du bist eine Schlampe, ein nichts, dich braucht man nicht, niemand braucht dich!

Die Stimmen vermischten sich zu einem. Immer wieder trat Dad zu, schlug mich. Bei jedem Mal stöhnte ich auf, der Schmerz war unerträglich. Immer wieder vergnügte er sich an mir, als wäre ich ein Boxsack. Er trat nach mir, schlug mich und zog mich wieder und wieder auf die Beine nur um das gleiche zu tun. Jedes einzige Mal fiel ich zurück auf den Boden, kauerte mich erneut zusammen.
Wann würde er endlich damit aufhören? Wann?
Er verpasste mir Schlag um Schlag, Tritt um Tritt. Er holte mit seinem Gürtel aus, schlug auf mein Gesicht ein. Ich spürte, wie Blut von meinem Gesicht tropfte. In meinem ganzen Körper hatte sich Angst, Panik und Hilflosigkeit breit gemacht.
Ich bin verloren.
Ich werde sterben, wenn er nicht aufhört.
Es tut mir so leid, Lizzi.

Als er irgendwann von mir abließ, schrie er mich an ich solle doch endlich verschwinden. Voller Schrecken in meinen Gliedern rappelte ich mich auf und ging langsam aus dem Raum. Anscheinend war ihm das zu langsam, er schmiss sein Glas nach mir. Es prallte an meinem Rücken ab, zertrümmerte in unzählige Scherben.
„Das ist alles deine Schuld! Deine und die deiner Mutter! Hast du gehört!" Mit einem Mal klang seine Stimme wieder glasklar.
Es tut mir so leid.
Mit geröteten Wangen und Augen voller Tränen stehe ich vor dem Spiegel in meinem Zimmer und schaue mich selbst an. Mein Körper ist übersät mit Blutergüssen, blauen Flecken und offenen Wunden. Zischend ziehe ich die Luft ein, als ich vorsichtig meine rechte Seite berühre. Über die ganze Hüfte und Taille erstrecken sich unzählige große und kleine Blutergüsse.

Ein zaghaftes Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken. Hastig streife ich einen zu großen Pulli über, bevor ich die Person leise hereinbitte. Es ist Lizzi. Sie schlüpft durch den kleinen Spalt von Tür und Wand, schließt sie hinter sich und kommt geradewegs auf mich zu.
„Was gibt's, Süße?" Ich schließe sie in die Arme, drücke sie fest an mich und versuche die Schmerzen zu unterdrücken. Zum Glück hat sie nicht mitbekommen, was gestern Abend passiert, ist.

„Können wir später an den Strand, Alex?" Ihre Stimme ist beruhigend.
„Was immer du willst. Wir müssen nur noch ein bisschen warten."
„Warum?" Es wäre ein Fehler ihr die Wahrheit zu sagen, das weiß ich. Ihr aber immer wieder dasselbe zu erzählen wird auch nicht glaubwürdiger.
„Weil wir noch unsere Sachen packen müssen, etwas essen und ich noch, was für die Schule machen muss." Es tut mir so leid.
„Du musst ständig was machen. Das ist blöd!" Sie löst sich von mir, verschränkt ihre Arme vor ihrem Körper.
„Ich weiß."
„Ich will jetzt zum Strand!"
„Das geht nicht, Lizzi."
„Warum?" Ich seufze.
„Das habe ich dir doch gerade schon erklärt."
„Das ist nicht fair!" Nein, das ist es nicht. Doch wenn ich dir die Wahrheit erzähle, schade ich dir nur noch mehr.
„Tut mir leid." Sie schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. Sie ist wütend.
„Liz-", setze ich an, doch sie dreht sich um, verschwindet aus meinem Zimmer. Ich höre ihre Zimmtertür zuschlagen und bete innerlich das Dad es nicht gehört hat. Stocksteif verharre ich an Ort und Stelle, warte, bis nichts zu hören ist. Erst dann stoße ich die angehaltene Luft aus.

„Bitte lass ihn nichts gehört haben", murmle ich leise vor mich hin. Ich senke meinen Blick auf meine Handgelenke. Die Wunden sind tief, manche Stellen plagen nur Kratzer. Ein lautes Poltern lässt mich meinen Blick abwenden. Ruckartig drehe ich mich mit meinem Gesicht zur Tür. Mein Herz klopft schneller als es sollte, meine Handflächen fangen an zu schwitzen. Mit einem Mal fliegt die Tür zu meinem Zimmer auf und Dad taucht dort auf. Seine Augen beobachten mich. Sie sind genauso blau wie meine, doch sie erinnern eher an den Himmel statt an Eis. Sein Blick wandert über mich, er kommt auf mich zu. Mein Herzschlag hallt in meinen Ohren wider. Er hebt seine Hand, sie landet auf meiner Wange. Er beginnt erneut auf mich einzuschlagen, wieder und wieder. Ich beiße mir so fest auf die Lippe, bis ich schließlich Blut schmecke, trotzdem tue ich es weiter.
Bitte lass Lizzi nichts hören..

Es ist schon wieder passiert. Schon wieder hat er mich geschlagen, schon wieder hat er mich misshandelt, schon wieder hat er mich wie eine Puppe behandelt.
Ich liege auf dem Boden meines Zimmers. Zusammengekauert. Meine Beine sind so eng an meine Brust gezogen das ich sie bei jeder kleinsten Bewegung spüren kann. Meine Brust hebt und senkt sich bei jedem Atemzug heftig. Meine Augen tun vom vielen weinen weh. Ich spüre das Blut, das aus der Innenseite meines Unterarms tropft. Meine Beine tun weh, in meinem Kopf spielen sich immer wieder die Bilder von meinem Vater ab. Immer wieder schlägt er auf mich ein, immer und immer wieder.
Zitternd klammere ich mich an meinen Körper. Alles tut weh, bis in die letzte Ecke. Mein ganzer Körper ist mit Schmerz ausgefüllt, für nichts anderes ist mehr Platz. Mein Leben ist nichts mehr wert, er hat recht. Mein Dämon und mein Vater, beide haben recht. Ich bin für nichts gut genug, mein Platz ist nicht hier. Ich gehöre hier nicht hin, ich bin nur eine Last für sie. Sie lieben mich nicht, sie tuen nur so. Meine Gedanken steigern sich immer weiter, bis mir schließlich ein leises Wimmern entfährt.

Bitte, lass Lizzi nichts gehört haben. Bitte..
Im ganzen Haus ist es mucksmäuschenstill. Dad hat sich, nachdem er von mir abgelassen hat, dorthin zurück verzogen, wo er herkam. Lizzi ist noch immer in ihrem Zimmer, hoffe ich zumindest. Das einzige Geräusch, das durch die erdrückende Stille hallt, ist das Geräusch von den vorbeifahrenden Autos.
Warum hat mich niemand gehört? Warum ist niemand dem Geräusch gefolgt?
Warum hat niemand meine stummen Hilferufe gehört?
Weil es keine gab.
Mein Verstand flüstert die Worte. Mein Herz rast noch immer, wild und unkontrolliert. Es beruhigt sich nicht, kein bisschen. Es tut noch immer dasselbe wie vor den vergangenen Minuten.
Bumm, bumm, bumm.

Mein ganzer Körper liegt angespannt und stocksteif dar.
Warum muss das Leben so grausam sein? Warum?
Warum tut er das? Warum lebe ich noch? Warum? Warum bin ich noch nicht tot? Warum? Warum tut er es nicht endlich? Warum? Er kann es doch.
Warum tut er es also nicht?
Tausende von Fragen jagen durch meinen Kopf und rauben mir meinen Verstand. In meinem Kopf ist kein Platz für andere Sachen. Er ist komplett ausgefüllt mit Gedanken und Fragen rund um das Leben, um mich, um meinen Vater.
Warum bin ich noch hier, warum?
Warum tut er es nicht?
Warum?

Survive instead of life - I'm Alex not Alexandra Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt