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Alexandra

„Lass mich in Ruhe.. bitte." Ich schaue ihm nicht in die Augen. Mein Blick ist auf meine Schuhe gerichtet. Ich weiß nicht wer mir gegenüber steht, doch die Person ist männlich. Ich merke es an seinem Geruch, seiner Kleidung und auch an seiner Stimme, sie ist tief, erinnert mich an jemanden, doch ich weiß nicht an wen.
Weißt du überhaupt etwas?
Anstatt Abstand von mir zu nehmen, sich zu entfernen, verharrt er an derselben Stelle. Meinen Blick würde ich mit Sicherheit nicht heben, lieber würde ich mich selbst ins kalte Meer stürzen.
Dann tu es doch!
Ich drehe mich nicht von der Person weg, als ich langsam beginne, rückwärtszugehen. Zu oft habe ich diesen Fehler bei Dad gemacht, zu oft hat er mich von hinten überrascht.
Ich erwarte, sehe, spüre wie er einen Schritt macht, wenn ich einen mache. Seine Hand ist von meiner Schulter gerutscht.
„Sieh mich an", bittet er mich, trotzdem erinnert seine Stimme mich an meinen Vater, wenn er mir dasselbe sagt.

Sieh ihn an Alexandra.
Sieh ihn an.
Sieh ihn an!
Sieh. Ihn. An. Jetzt!

„Bitte, sieh mich an. Ich möchte dir nichts tun."
Na los, vertrau ihm. Lass dich auf ihn ein. Lass dich von ihm an der Nase herumführen. Na los! Mach schon, du naives kleines Kind! Warum solltest du nicht auf ihn hören? Vertrau ihm.
In meinem Kopf herrscht Chaos. Der Dämon, die Gedanken, alles schießt unkontrolliert durch meinen Kopf, doch das ist kein Wunder mehr, nicht wahr? Ich bin doch nur noch ein naives, dummes Kind, das von ihrem Vater misshandelt wird. Daran ist doch nichts besonderes mehr, oder? Würde es einen Unterschied machen, wenn ich nicht mehr da wäre? Mit Sicherheit nicht. Es würde sogar niemandem auffallen, nicht wahr? Ich bin doch nur ein kleines unwichtiges, naives Mädchen. Was macht es da schon für einen Unterschied? Vermissen würde mich niemand, nicht mal die Leute, die mich seit Jahren kennen.
Ich liege richtig, oder?  

Es ist Montag. Der erste Tag der Woche, der erste Tag nach den Ferien. Der Kreislauf setzt sich fort. Ich decke meine Wunden ab, bringe Lizzi zur Schule, fahre weiter zu meiner. In der Schule bin ich sicher, oder? Ich habe neun Stunden, Lizzi sechs. Sie geht mit zu einer Freundin, ich begegne Dad. Abholen werde ich sie um sieben, wenn er mich nicht umbringt. Würde er das tun? Würde er seine eigene Tochter umbringen? Keine Ahnung. Danach werde ich mich den Rest des Abends in meinem Zimmer verschanzen, Lizzi wird direkt nebenan sein, Dad unten im Wohnzimmer. Gegen acht wird er Besuch bekommen.

Ich werde mich blicken lassen müssen, Lizzi ebenfalls. Ich werde die brave Vorzeigetochter spielen, die ich nicht bin. Aber das dürfen sie nicht wissen, würden sie es wissen würden sie unsere Familie für eine Schande halten. Dads Worte, nicht meine. Bei Lizzi würden sie es ihr nicht übelnehmen, sie ist ein Kind, warum sollten sie? Kinder sind süß, unschuldig. Ihnen sollte man doch nichts vorschreiben, nicht wahr? Sie sollten sich verhalten wie immer, nett und höflich. Aber das sind sie nicht immer, oder? Aber natürlich sind sie immer nett und höflich. Doch es ist nicht wichtig. Wichtiger ist es natürlich das ich mich benehme, weil ich die Schande in unserer Familie bin. Dads Worte, nicht meine. Ich soll mich benehmen, bloß nicht um aufmerksam bitten. Warum sollte ich das tun? Nach Aufmerksamkeit bitten. Man nimmt mich sowieso nicht wahr, ich in nur das fleißige Kind, welches sich um die Schule kümmern muss, das ist ja viel wichtiger.

In der Schule bin ich unsichtbar, nur nicht für Sophie und Vicky. Die anderen drehen sich weg, wenn sie uns sehen. Bestimmt liegt es an mir, oder bilde ich mir alles nur ein? Im Unterricht bin ich leise, falle nicht auf. Ziehe bloß keine Aufmerksamkeit auf dich, Dads Worte spuken mir den Tag über im Kopf umher. Von außen sehe ich aus wie ein Engel, nicht wie ein verdorbenes Kind. Ich lächle, bin freundlich, wenn jemand mit mir spricht, aber sei nur nicht zu aufdringlich. Zuhause fällt meine Maske in sich zusammen. Mein Vater zerrt mich zu sich. Schlägt mich, schreit mich an, wirft Gläser nach mir. Tränen fließen über mein Gesicht, tropfen auf den Boden, auf meine Haut. Er lässt von mir ab, eine halbe Stunde bevor die Gäste kommen.

Lizzi ist schon wieder zuhause, sie ist in ihrem Zimmer. Die Mutter ihrer Freundin setzte sie hier ab, da hatte Dad gerade von mir abgelassen. Natürlich hat er danach wieder angefangen, aber erst sobald die Frau weg war. Mit den Worten ich solle mich hübsch machen schickte er mich nach oben, nicht ohne mich noch einmal zu schlagen. Er sagte auch ich solle mich um Lizzi kümmern, das ist schließlich wichtig. Deswegen habe ich jetzt ein Kleid an. Es ist schwarz, bodenlang. Meine Wunden und Flecken an meinem Körper sind mit einer neuen Lage Make-up abgedeckt. Lizzi hat ein kindliches Sommerkleid mit Blumen an, es ist weiß und die Blumen rosa. Ihr Haar ist offen, genau wie meines. Schließlich gehört es sich so. An der Tür klingelt es. Ich öffne die Tür, begrüße die Gäste freundlich. Das Lächeln auf meinem Gesicht ist so falsch wie die Person, die ihnen vorspiele, aber sie kaufen mir alles ab. Den ganzen Abend werde ich für meine Disziplin bewundert. Mein Vater kann ja nur stolz auf mich sein, meinten sie beim Essen.

Beim Dessert klingelt es ein zweites Mal an der Tür. Ich soll sie öffnen, also tue ich dies. Die Person, die dort steht, kenne ich. Es ist dieser Typ von der Party. Er schaut mich verwundert an, sagt nichts, folgt mir einfach nur zu den anderen Leuten. Im Wohnzimmer begrüßen sie ihn freundlich. Seine Mutter schließt ihn in die Arme, ich denke es ist seine Mutter. Anzuzweifeln ist es eigentlich nicht, die Ähnlichkeit ist unübersehbar. Die Erwachsenen reden über ein Projekt, worum es sich handelt, weiß ich nicht. Wir Kinder sollen uns doch an den Tisch setzen und etwas spielen, also tun wir es. Lizzi nehme ich an die Hand, setze sie auf einen Stuhl. Ein paar Personen seufzen wohlig darüber, wie aufmerksam ich doch sei. Den ganzen Rest des Abends mustert mich der Junge, von dem ich erfahren habe, dass er Tyler heißt. Meinen Namen weiß er jetzt auch, Lizzis ebenfalls. Nachdem die Gäste gegangen sind, Lizzi im Bett liegt und ich etwas anderes trage, fängt Dad wieder an mich zu schlagen. Er kann nun mal nicht ohne. Ich lasse es somit stumm über mich ergehen, was kann ich auch schon dagegen tun.

Survive instead of life - I'm Alex not Alexandra Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt