13.

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Tyler

Verwundert schaue ich auf das zierliche Mädchen vor mir herab. Ihre dunkelbraunen Haare passen gut zu ihren blauen Augen, die an gefrorenes Eis erinnern. Als ich sie vor über einer Stunde auf dem Boden liegen sah dachte ich mir nichts dabei, wendete meinen Blick einfach ab und ging weiter. Ich dachte es wäre nichts Schlimmes. Nachdem ich ein weiteres Mal an ihr vorbeigekommen war und sie noch immer an genau derselben Stelle lag, wurde ich misstrauisch. Trotzdem dachte ich mir nichts. Aber als ich nach etwa einer Viertelstunde noch immer dort liegen sah schrillten in mir alle Alarmglocken. Sie reagierte nicht als ich an ihrer Schulter schüttelte und auch auf sonst nichts. Schlussendlich hob ich sie hoch und verfrachtete sie in das Zimmer meines Kumpels. Ich legte sie auf das Bett und verließ den Raum wieder, um ein Glas Wasser zu besorgen. Ich suchte ebenfalls nach Kopfschmerztabletten. Bis dahin wusste ich nicht, dass sie anscheinend kaum einen Tropfen Alkohol angerührt hatte. Nachdem ich das Zimmer wieder betreten hatte, war alles anders. Sie ist noch immer desorientiert und verängstigt. Der Versuch ein Gespräch mit ihr aufzubauen, scheiterte kläglich und auch auf meine Fragen antwortet sie nicht. Irgendetwas stimmt mit diesem Mädchen nicht. Ich weiß nicht, was es ist, und sie will es mir auch nicht sagen, aber ihre Körpersprache spricht Bände. Sie wirkt wie ein verängstigtes junges Reh. Hilflos und mutterseelenallein.

„Was ist mit dir los?", wiederhole ich dieselbe Frage zum zigsten Mal. Ich bemühe mich um einen freundlichen Ton, aber trotzdem scheint es nichts zu bringen. Ihr ganzer Körper zittert, als würde sie frieren, doch das kann nicht sein. Im ganzen Haus steht abgestandene Luft von der Party und die halboffenen Fenster bringen auch nicht gerade viel. Kurzum: es ist nicht kalt.
Ich schaue mir ihr Gesicht genauer an und erkenne eine kleine Narbe an ihrem Haaransatz. Ich nehme ihr Gesicht genauer in Augenschein. Ich Lippen zittern und ihre Augen zeigen die verschiedensten Gefühle, deuten kann ich sie trotzdem nicht. Mein Blick wandert ihren Körper hinab. Ihre Finger krallen sich in ihr Handgelenk, ihr Herzschlag ist nicht zu überhören und das schwarze Kleid mit den langen Ärmeln macht es mir nicht gerade einfach den Grund für ihr Zittern zu erspähen. Sie wird ja kaum Angst vor mir haben, das wäre lächerlich. Aber auch nicht ganz abwegig, wenn man darüber nachdenkt, wie viel Angst Frauen und Mädchen vor älteren Männern haben können. Allein wenn man nur mal darüber nachdenkt, wie viele Mädchen Massen von Männern meiden. Mein Entschluss bleibt trotzdem der gleiche: sie hat keine Angst vor mir.

Ich nehme meine Arme von der Tür, schaue ihr erneut in die Augen und halte dennoch etwas Abstand. Wissen tut man nie. Ihre Augen zucken von einem Punkt zum anderen, verharren nie länger als ein paar Sekunden bei mir. Sie wirkt aufgelöst, nervös, vielleicht sogar ein bisschen panisch.
Aber warum?
Warum ist das so?
Was ist mit diesem Mädchen passiert, das es ihr so geht?
Ich gehe ein paar Schritte zurück und vertraue darauf das sie nicht einfach verschwindet.
„Warum bist du vorhin zusammengebrochen?" Ich ändere meine Frage, vielleicht kriege ich so etwas aus ihr heraus.
„Ich..."
Zum ersten Mal seit fast einer Stunde beginnt sie zu sprechen. Ihre Stimme ist sanft und zart zugleich.
„Mir geht es gut, ich brauche deine Hilfe nicht." Genau wie ihr Körper zittert auch ihre Stimme, als sie weiterspricht. Nach diesen Worten dreht sie sich um und verschwindet. Es wirkt, als würde sie flüchten.

Seit der Party vor ein paar Tagen geht mir das Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Egal ob ich versuche mich abzulenken oder zu schlafen, sie verfolgt mich wie ein Schatten in meinen Gedanken. Ihre Haare, ihr Duft, der Ausdruck in ihren eisblauen Augen, ihr Körper, das alles verschwindet nicht aus meinem Kopf.

Ich sitze auf der Couch im Wohnzimmer meines Elternhauses, Pearl hat ihren Kopf auf meinen Schoß gebettet und ich versuche mich mit einem der Filme aus unserem Regal abzulenken. Funktionieren tut das nur semi gut. Gedankenverloren fahre ich durch das weiche Haar meiner Hündin.
„Was meinst du, Süße? Was denkst du darüber?", frage ich sie, obwohl sie nicht einmal weiß, wovon ich spreche. Nichtsdestotrotz bellt sie einmal kurz auf.
„Ja, das denke ich auch. Wie fändest du es, wenn wir einen Spaziergang machen? Hm? Hört sich das gut an?" Zustimmend bellt sie erneut.
„Ja, das hört sich fein an, nicht wahr?" Ich schalte den Fernsehe aus, lasse die DVD aber drin liegen, vielleicht schaue ich ihn später weiter. Pearl springt inzwischen schon ganz aufgeregt auf dem Boden herum. Brav folgt sie mir in den Flur. Vorsichtig lege ich ihr ihre Leine an, bevor ich mir meine Schuhe anziehe und einen Pulli überstreife.
„Na komm, lass uns ein bisschen Spaß haben."

Auf dem Weg durch die Straßen von Santa Monica kommen mir unzählige Menschen entgegen. Ein paar kleine Kinder zeigen immer wieder auf meine kleine Hündin und schauen sie verträumt an. Als wir schließlich an unserem Ziel ankommen, lasse ich sie von der Leine und hole ihren kleinen Liebling hervor.
„Schau mal, was ich hier habe, Pearl! Naa, was hab ich da?" Sie springt um mich herum. Nach ein paar Minuten werfe ich den Ball und augenblicklich flitzt sie ihm hinterher. Den Vorgang wiederholen wir ein paar Mal. Sie ist eindeutig verrückt nach diesem alten Ding. Sie kommt wieder vor mir zum Stehen, den Ball lässt sie auf den Boden fallen und schaut mich abwartend an.Langsam hebe ich den Ball auf und drehe ihn hin und her.

„Hmm, was denkst du? Ob ich wohl schneller bin als du, Süße?" Pearl bellt. „Sicher? Ganz sicher? Ich glaube wohl nicht." Meine Stimme ist höher als sonst, ihr gefällt es. „Na dann wollen wir mal sehen." Ich werfe den Ball erneut, bleibe aber nicht wie zuvor stehen, sondern jage ihm ebenfalls hinterher. Pearl ist schneller als ich, das wusste ich schon vorher, trotzdem lasse ich mich immer wieder auf ein Wettrennen mit ihr ein, da ich weiß, wie sehr sie es liebt. Schließlich hat sie wieder ihren Liebling im Mund und läuft stolz umher.
„Wer hat gewonnen, ja, wer?"
Pearl rekelt sich im warmen Sand und mir wird bewusst wie glücklich ich sein kann sie zu haben. Auch wenn meine Schuhe mittlerweile voller Sand sind.

Survive instead of life - I'm Alex not Alexandra Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt