I L E N A
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Ich wollte mit Belisa gehen. Es gab nichts, was ich mir in diesem Moment mehr wünschte, als mit ihr zu gehen.
Aber jetzt war sogar sie dagegen.
»Er tut dir nichts, Ilena«, meinte sie und strich vorsichtig mein Haar zurück. »Ich weiß, er macht dir Angst, aber ich verspreche dir, er wird dir nichts tun.«
Wie konnte sie das so leicht sagen?
Sie hatte gerade meine Wunde neu verbunden, die er verursacht hatte, und sie hatte das Blut von meinen Händen gewischt, für das er verantwortlich war.
Wie konnte sie also tatsächlich glauben, Enzo würde mir nicht wehtun?
»Bitte bleib bei ihm. Es tut ihm gut.«
Aber es tat mir nicht gut.
Mit einem sanften Lächeln trocknete sie die Tränen auf meinen Wangen.
»Es wird besser«, sagte sie, »bitte sei nett zu ihm und ich garantiere dir, es wird besser. Enzo wird besser.«
Ich war eine gutgläubige Person. Ich glaubte immer an das Gute, doch als ich diesen Mann traf wusste ich, dass manche Menschen genauso grausam waren, wie sie schienen, und dass es in ihnen nichts Gutes gab, an das man glauben konnte.
Es fiel mir schwer, an eine bessere Version dieses Menschen zu glauben.
»Er tut so, als würde es ihm egal sein, als würde er nichts fühlen, und wahrscheinlich glaubt er das wirklich, und vielleicht war das die letzten dreißig Jahre auch so, aber jetzt nicht mehr.«
Hoffnungslos sah ich Belisa an.
Ich wollte einfach nur, dass sie mich von hier weg holte.
Ich wollte nicht darauf warten, dass Enzo eines Tages möglicherweise doch Gnade zeigte.
»Ich werde nach dir sehen.« Mit diesen Worten trat sie über die Türschwelle, von der ich wusste, dass ich mich niemals trauen würde, sie zu überschreiten, solange es nicht in seinem Willen geschah.
Einen Moment verharrte ich noch, ehe ich mit gesenktem Kopf in den Garten tappte.
Schwere Wolken hingen wie ein bleierner Mantel über dem Himmel, nur einzelne Sonnenstrahlen kämpften sich durch die dichte Decke und tauchten die Landschaft in ein fahles Licht..
Die Luft war drückend, ein beklemmendes Gefühl, das sich in meiner Brust festsetzte.
Mein Blick landete auf Nalas Leiche.
Ein Kloß, den ich nicht herunterschlucken konnte, formte sich in meinem Hals, und ich drehte mich schnell weg.
Mein Blick fiel auf die große Kiste neben der Feuerschale.
Langsam trat ich darauf zu und hob den Deckel an.
Eine kleine Schaufel lag zwischen anderem Werkzeug.
Kalt und schwer lag sie in meiner Hand. Ihr Gewicht drückte nicht nur auf meine müden Muskeln, sondern auch auf meine erschöpfte Seele.
Ich ging zu der Palme, hinter der sie sich versteckt hatte, als ich sie zum ersten Mal entdeckte.
Es fühlte sich richtig an, sie hier ruhen zu lassen.
Tief grub ich die Schaufel in den Boden.
Mit jedem Stoß in den Boden schaufelte ich nicht nur ein Loch für Nala, sondern auch ein Loch in mein Herz.
Als es tief genug war, legte ich ihren leblosen Körper vorsichtig hinein.
Ihre samtige Pfote berührte meine Haut und ich spürte erneut einen Stich in meiner linken Brust.
Die Erinnerungen an die letzten Tage mit ihr drangen in mein Bewusstsein – wie sie mir in der Dunkelheit Trost geschenkt hatte, mit ihrem sanften Schnurren und ihrem weichen Fell.
Und jetzt war sie tot.
Ich spürte, wie eine Träne über meine Wange kullerte.
Mit zitternden Händen streichelte ich ein letztes Mal ihr Fell, ehe ich die Erde zurück ins Loch schaufelte.
Mit jedem Körnchen, das auf ihren Körper fiel, schwand ein Stück von mir.
Jeder Hieb in die Erde grub mich tiefer in die Trauer.
Als das Loch schließlich gefüllt war, stand ich da und starrte auf den kleinen Erdhügel.
Nala war alles, was ich noch hatte, alles, was mir noch ein bisschen Freude bereitete, alles, was mich an ein Happy End glauben ließ.
Aber ihre Geschichte nahm ein tragisches Ende.
Und das würde meine auch.
Schluchzend drehte ich mich um.
In diesem Moment erblickte ich durch das Fenster des Arbeitszimmers die Augen ihres Mörders. Sie waren kalt und starr.
Die warme Luft Italiens hing schwer und schwül auf meiner Haut.
Der Himmel, der normalerweise in strahlendem Blau leuchtete, war grau.
Ein Tropfen landete auf meiner Stirn.
Schützend schlang ich die Arme um mich selbst und eilte ins Hausinnere.
Trauer, Verzweiflung und Schmerz umgriffen mein Herz.
Nala – mein einziger Lichtblick in unendlicher Finsternis – verloren zu haben, hinterließ eine klaffende Wunde in meinem Inneren, die mich daran erinnerte, bei was für einem Monster ich lebte.
Ich trat an das Fenster und sah hinaus in den düsteren Garten.
Die Blumen, die sonst so fröhlich in der Sonne blühten, hingen jetzt schlaff und bedrückt von den Stängeln.
Die Luft war still, kein Windhauch regte sich. Nur das leise Zirpen der Grillen war zu hören, ein monotoner Klang, der die drückende Schwere der Atmosphäre verstärkte.
Die Natur schien meine Trauer zu teilen, als ob sie meine innere Unruhe spüren konnte.
Mit einem tiefen Seufzer wandte ich mich vom Fenster ab, da stand Enzo auf einmal vor mir.
Japsend wich ich zurück und stieß gegen die Scheibe.
Er hielt mir sein Handy vor die Nase.
Auf dem Display war ein schillerndes Glitzerkleid mit Pufferärmeln und Beinschlitz. Es war champagnerfarben und wunderschön.
Und es kostete 6.500 Euro.
»Welche Größe?«, wollte er wissen.
Verdutzt guckte ich ihn an.
»W-was?«
»Welche Größe trägst du?« Er sagte es mit einer Eintönigkeit, die mich glauben ließ, er würde es ernst meinen.
Aber warum sollte er meine Größe wissen wollen? Warum sollte er mir etwas so teures kaufen? Warum sollte er mir überhaupt etwas kaufen?
Enzos Ausdruck blieb reglos. Er passte zu der Monotonie in seiner Stimme.
Sein durchbohrender Blick machte mich nervös.
Schwerschluckend sah ich zu den Größenangaben.
Eigentlich war ich eine 34, aber meine Brüste waren mindestens eine 38.
Also antwortete ich: »36.«
Er drehte das Handy wieder von mir weg, tippte ein paar Mal auf den Bildschirm, ehe er es wieder zu mir drehte.
Dieses Mal waren auf dem Bild Stöckelschuhe, die farblich auf das Kleid abgestimmt waren.
»37«, sagte ich.
Er wählte die Größe aus und ging wortlos.
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The Mancini Curse
Romance𝐈𝐋𝐄𝐍𝐀 𝐌𝐀𝐍𝐂𝐈𝐍𝐈 Seit Generationen wurden die Mancini-Frauen in der Nacht ihres 18. Geburtstags von ihnen mitgenommen. Ich wusste, dieser Tag würde kommen. Und ich hatte schreckliche Angst. Mein Leben lang kannte ich nichts anderes als die...