Kapitel 10

98 2 0
                                    

NORAH

Warum Diego sich verhält wie ein Arsch, ist mir unklar. Bei dem letzten gemeinsamen Einsatz vor dem Vorfall im Park war er wie immer. Aber jetzt? Ich habe keine Ahnung, was mit ihm los ist. Es könnte mir auch egal sein, wenn es mich nicht in meinem Beruf einschränken würde. Seit dem Vorfall mit seiner Nichte vor zwei Wochen, redet er nicht mit mir und ignoriert mich so gut er kann. Gerade, als er sich aus dem Staub machen will, stelle ich mich vor ihn.
„Was ist dein Scheiß Problem?!", fahre ich ihn an.
„Wieso?"
„Weil du dich verhältst wie ein Arsch, seitdem wir auf der Party waren."
„Weil ich einer bin."
„Oh, darauf bist du stolz, hm? Wie konnte ich etwas anderes erwarten? Du bist also einer, der die Frauen fickt und dann links liegen lässt. Du denkst nur an dich selber, du egoistisches Arschloch. Du bist ekelhaft, Diego.", ich will an ihm vorbei gehen. Auf den Müll habe ich keine Lust. Klar, gerade bin ich auf 180 und lasse meinen Frust an ihm aus, aber gerade hat er es verdient.

Er packt mich am Arm. „Was hast du gerade gesagt?"
„Einiges. Unter anderem, dass du ein egoistisches Arschloch bist."
„Wie kommst du darauf, dass ich ein egoistisches Arschloch bin?", hakt er nach und hält meinen Arm weiterhin fest wie ein Schraubstock.
„Weil du eins bist. Du vögelst eine nach der anderen und scheißt auf das „danach", wirst aber sauer, wenn ich auf einer Party in der Nähe eines Typen stehe. Schließlich hatte ich nichts mit dem, sondern war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.", ich erinnere ihn an die Party, die er in Zivil crashen musste, weil ein Kerl mit illegalem Zeug gedealt hat.

„Es kann dir doch egal sein, mit wem ich schlafe und mit wem nicht.", gibt er zurück. Und da hat er recht. Genauso gut kann es ihm egal sein, ob ich mit einem Drogenjunkie schlafe oder nicht.
„Es kann mir egal sein, wenn es mich nicht betrifft.", sage ich.
„Wovon sprichst du?", hakt er nach.
„Die Party. Ich war betrunken, du hast es ausgenutzt, weil du Befriedigung brauchtest, und hast mich danach nicht mehr mit dem Arsch angeschaut.", platzt es aus mir hinaus.

Er starrt mich an. Dann kneift er die Augen zusammen. „Willst du mich eigentlich verarschen?! Denkst du ernsthaft, ich hätte dich gefickt während du so betrunken warst, dass du nichtmal mehr deinen Namen sagen konntest? Hältst du mich für so einen Wichser?"
„Ähm... ja?"
„Wow. Toll. Pass auf. Ich mag noch so ein großes Arschloch sein und ich wollte dich in dieser Nacht wirklich sehr, aber du warst so betrunken, dass ich wusste, du würdest dich nicht mehr daran erinnern können. Wir hatten keinen Sex in dieser Nacht. Ich würde niemals auch nur den Gedanken daran verschwenden, das auszunutzen. Niemals. Das ist unter meiner Würde. Aber hey, danke dass du so von mir denkst."

Ich blinzle ein paar Mal. „Wir hatten also keinen Sex?"
Er schüttelt den Kopf. „Auch wenn du drauf und dran warst, dir zu holen was du willst."
„Halt die Klappe.", murmle ich. Scham krabbelt meinen Bauch hinauf.

Ich habe ihm gerade krasse Vorwürfe gemacht. Scheiße.
Er schaut mich abwartend an.
„Tut mir leid. Ich dachte...", murmle ich.
„Weniger denken hilft.", meint er, steigt ins Polizeiauto und fährt davon.

Ich bin so eine dumme Nuss. Tränen steigen mir in die Augen.
Nicht heulen, Norah, nicht heulen.

Als die Schicht beendet ist, gehe ich nach Hause und heule mich bei Jamie aus. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich heule wirklich. Ich heule über meine Dummheit, über Diego, über die Patientin, die wir heute nicht retten konnten und über den Gedanken, Sex mit Diego gehabt zu haben.

Jamie nimmt mich in den Arm und hört mir zu. Sie spendet mir stillen Trost und hilft mir damit mehr als alles andere. Sie verkneift sich sogar ihre dummen Kommentare, die mich sonst immer zum Lachen bringen sollen.

Am Abend besuche ich meine Eltern zuhause. Ich habe mich vorher nicht angekündigt. Meine Mutter reißt die Tür in dem Moment auf, in dem mein Vater im Hintergrund ein brummelndes „wolltest du nicht unbedingt diesen blöden Film schauen?" von sich gibt.
„Norah!", ruft meine Mutter überrascht. „Wie schön, dass du uns besuchen kommst."
Sie nimmt mich in den Arm.
„Hallo Mama", murmle ich an ihre Schulter.
Dann lässt sie mich los und schaut mich an. „Ist alles in Ordnung?"
Ich nicke und zwänge mir ein Lächeln auf.

Dann steht Dad hinter ihr.
„Hallo meine Lieblings Tochter.", sagt er und umarmt mich.
„Du hast nur eine Tochter, Papa, das setzt das ‚Lieblings' außer Kraft.", murmle ich und lache kurz auf.
„Ist doch egal. Du bist trotzdem meine Lieblings Tochter.", meint er grinsend.

Wir setzen uns ins Wohnzimmer, in dem meine Eltern alles für einen entspannten Filmeabend vorbereitet haben. Ich habe es ihnen kaputt gemacht.
„Das macht nichts. Wir werden noch viele weitere Abende zu zweit verbringen müssen...jetzt wo ihr alle ausgezogen seid.", sagt Mum und etwas Trauer schwingt in ihrer Stimme mit, als sie den letzten Satz von sich gibt.
„Wir kommen euch ja besuchen.", murmle ich. Mum lächelt mich an. „Ich kann mich noch erinnern als wäre es gestern gewesen, wie wir von der Schwangerschaft mit dir erfahren haben.", schwelgt sie in Erinnerung.
Dad nickt. „Ich mich auch. Es war genau wie heute. Deine Mutter wollte unbedingt einen Film schauen, ist aber einfach nicht gekommen. Ich bin richtig genervt gewesen. Und dann stand sie plötzlich mit Tränen in den Augen vor mir."

Ich lächle. Meine Eltern sind der Grund, weshalb ich glaube, dass es wahre Liebe tatsächlich gibt. Man muss nur immer bereit sein, dafür zu kämpfen.

„Du Norah, jetzt wo du schonmal hier bist... dein Chef ist auf mich zugekommen. Es ist vermehrt aufgefallen, dass Polizei und Sanitäter in letzter Zeit nicht gerade - wie soll ich sagen - kooperativ miteinander arbeiten. Dieses Feedback kam auch von Zivilisten zurück. Deshalb wollen wir ein Teambuilding-Wochenende veranstalten. Ich wollte dich schonmal vorwarnen, denn das wird vermutlich bei deiner nächsten Schicht Thema sein.", lässt mein Dad die unvorhergesehene Bombe platzen.

„Ein Teambuilding-Wochenende? Wie habt ihr euch das vorgestellt? Schließlich müssen wir trotzdem weiterhin Leute retten und behandeln. Und die Kriminalitätsrate wird auch nicht für dieses Wochenende abfallen.", sage ich skeptisch. Ein Wochenende mit den eingebildeten Polizisten? Ohne mich.
„Lass das mal unsere Sorge sein. Glaub mir, das wird super. Und es wird euch allen guttun."

just stay Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt